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Durch Klimaänderungen und menschliche Eingriffe fallen weltweit immer mehr Flächen der Wüste zum Opfer, und fruchtbare Böden werden zerstört – in diesem einen Punkt sind sich Wissenschaftler, Entwicklungshelfer und Politiker einig. In allen anderen Fragen aber, die die Desertifikation betreffen, gehen die Meinungen weit auseinander. Beruhend auf den komplexen Verflechtungen von meteorologischen, ökologischen und anthropogenen Vorgängen ist Desertifikation in vielen Fällen noch unverstanden. Unproduktive Debatten, die die politischen Entscheidungsfindungen behindern, sind die Folge. Auf dem 88. Workshop der Dahlem Konferenzen der Freien Universität Berlin vom 10. bis 15. Juni 2001 haben führende Wissenschaftler aus aller Welt ein konzeptionelles Modell entwickelt, das mehr Transparenz bei der Analyse der Desertifikation schafft und eine klare Kommunikation ermöglicht. Es bietet Orientierung bei der Konzeption von Entwicklungshilfeprogrammen und hilft, Wissenslücken und weiteren Forschungsbedarf auszumachen.

Die vielfältige Vegetation auf dem Land – Wiesen, Wälder und Felder – und alles Leben dort verdanken wir der dünnen obersten Erdschicht. Wie eine fruchtbare Haut überzieht sie die Kontinente. Aber nicht überall ist sie gesund, in vielen Regionen der Welt entstehen einem Ausschlag gleichend Flecken verödeten Landes; sie dehnen sich aus, wachsen zusammen und führen so zu einer Verwüstung großer Landstriche. Der Name dieser Krankheit lautet Desertifikation. Sie findet auf allen Kontinenten statt. Trockengebiete, die rund vierzig Prozent der gesamten Landoberfläche bedecken, sind extrem gefährdet. In ihnen ist der Boden besonders empfindlich, die Vegetation spärlich und das Klima unwirtlich. Rund ein Fünftel der Weltbevölkerung lebt in diesen Regionen – über eine Milliarde Menschen. Mit der Zerstörung der Böden wird auch ihre Existenzgrundlage zerstört. Nach Schätzungen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen verursacht die Wüstenbildung pro Jahr Kosten von 42 Milliarden Dollar, allein in Afrika sind es neun Milliarden Dollar. Und Desertifikation führt nicht nur zu Hunger und Armut, sie verursacht auch politische Instabilität und den Zusammenbruch sozialer Gefüge – Krisen, die zu gewalttätigen Konflikten emporlodern können. Um diesen Bedrohungen entgegenzuwirken, sind Entwicklungshilfeprogramme nötig, die nicht nur die Symptome behandeln, sondern an den tiefer liegenden Ursachen ansetzen. Beispiel Ostpatagonien an der südlichen Spitze Südamerikas: Hier verhindern Trockenheit und starke Winde weitgehend den Baumwuchs, magere Steppen bedecken das Land, die den Bewohnern fast ausschließlich zu extensiver Schafhaltung dienen. Durch Überweidung wird die Vegetation zerstört, der Boden erodiert, die Schafherden werden dezimiert. Verarmung der Bevölkerung und Abwanderung ist die Folge. Die verbleibenden Bauern reduzieren die Schafhaltung aber nicht auf ein erträgliches Maß, da ein Verfall der Wollpreise auf dem Weltmarkt sie zusätzlich unter Druck setzt.


Drei-Boxen-Modell schafft Klarheit

Ein sinnvolles Entwicklungshilfeprogramm muss das ganze Wirkungsgefüge berücksichtigen: Die natürlichen Wind- und Niederschlagsverhältnisse, die eine Mindestvegetation zur Verankerung des Bodens erforderlich machen, die sozialen und politischen Verhältnisse und die wirtschaftlichen Einflüsse wie zum Beispiel die Weltmarktpreise für Agrargüter. Diese Aufgabe macht das Zusammenspiel vieler unterschiedlicher Fachdisziplinen nötig. Wie lässt es sich dabei erreichen, dass alle Beteiligten gleichberechtigt ihre Ergebnisse beisteuern können, gleichzeitig aber das Resultat nicht genauso verwickelt und unüberschaubar wird, wie das Ausgangsproblem? Wie können anschließend die Dreh- und Angelpunkte herausgefunden werden, an denen ein Hilfsprogramm ansetzen muss?

40 international führende Wissenschaftler haben auf dem 88. Workshop der Dahlem Konferenzen „Integrative Bewertung der ökologischen, meteorologischen und menschlichen Faktoren der globalen Desertifikation” ein konzeptionelles Modell entwickelt, mit dem diese Transparenz erreicht werden kann. Das Modell unterscheidet drei Bereiche (sogenannte Boxen in den Farben rot, gelb und grün), in die jede beliebige Region dieser Erde einsortiert werden kann. Wenn Schwankungen des Klimas, der Bevölkerungsdichte oder die Auswirkungen durch fallende Weltmarktpreise das Ökosystem aus dem Gleichgewicht zu bringen drohen, sind die Bewohner dieser Regionen in der Lage, die Entwicklung ohne fremde Hilfe zu stoppen oder umzukehren. Es gibt beispielsweise soziale Sicherungssysteme, die Bauern dem Zwang entheben, trotz verschlechterter klimatischer Bedingungen am bisherigen Umfang der Viehhaltung festzuhalten. Es ist auch denkbar, dass in diesen Gebieten die Vegetation so robust ist, dass fallende Weltmarktpreise durch eine Ausweitung der Produktion ausgeglichen werden können, ohne zu einer Verwüstung zu führen.

Sind jedoch bestimmte Schwellenwerte bezüglich Einkommen der Bauern, Bevölkerungs- oder Vegetationsdichte über- oder unterschritten und kommen dann äußere Einflüsse wie Klimaschwankungen, ein Preisverfall oder eine Zunahme der Bevölkerung dazu, können Prozesse ausgelöst werden, die die Wüstenbildung beschleunigen. Regionen, auf die dies zutrifft, werden der gelben Box zugeordnet. Bei ihnen kann die ansässige Bevölkerung nicht mehr aus eigener Kraft in den stabilen Bereich zurück gelangen. Im Gegensatz zu den Landstrichen im roten Bereich, die unwiederbringlich tot sind, ist hier aber mit äußerer Unterstützung in Form von gezielter Entwicklungshilfe eine Therapie möglich. Dieses absichtlich einfache Modellkonzept beugt der Versuchung vor, den vielschichtigen Vorgang der Desertifikation als einen ausschließlich naturräumlichen Prozess aufzufassen. Die einzelnen Dimensionen – biophysikalische wie soziale – bleiben erhalten und lassen sich nachvollziehen. Durch das Festlegen der Schwellenwerte (was nicht trivial ist, zumal es unter Umständen keine scharfen Werte sind), lässt sich ausmachen, wie gefährdet eine Region oder wie weit sie vom grünen Bereich schon entfernt ist, aber auch, wo eine Entwicklungshilfe ansetzen sollte und welche Auswirkungen auf die einzelnen Faktoren, die bei der Desertifikation eine Rolle spielen, zu erwarten sind.

Gabriele André

Foto: Winckler

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