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[Das UN-Planspiel simulierte eine Sondersitzung des Weltsicherheitsrates]

[Foto]

Seine Exzellenz Faisal Al Ghais, Botschafter von Kuwait, eröffnete die Sitzung. Rechts neben ihm die „Präsidentin“ des UN-Planspiels Peggy Wittke. Links Prof. Dr. Ferhard Ibrahim, Universität Erfurt.

Evgeny Revyakin ist Mitglied der amerikanischen Delegation im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen. Für seinen russischen Namen gibt es eine erstaunlich einfache Erklärung: Er ist Russe. Und der Wechsel in den diplomatischen Dienst des einstigen Feindes scheint ihm zu behagen: Mit geschäftiger Miene verfolgt er, wie ein anderes Delegationsmitglied immer wieder neue Anträge stellt oder die amerikanische Position zu den UN-Sanktionen gegen Irak erläutert: Der Sicherheitsrat debattiert darüber, ob diese Sanktionen nicht abgeschafft oder gelockert werden sollten. Wir sind nicht in New York, sondern in Berlin, an der Freien Universität im Henry-Ford-Bau. Russen als Vertreter der amerikanischen Regierung, Weltsicherheitsrat an der FU? Keine Angst: Die Weltrevolution steht noch aus. Die Mission des Russen in amerikanischen Diensten endet noch am selben Abend des 9. Juni. Dann ist das Planspiel zu Ende, das die Sitzung des UN-Sicherheitsrates zum Irak nur simuliert hat. Es kehrt wieder Ruhe in das etwas angestaubte Ambiente des Sitzungssaals des Akademischen Senats ein, das vorübergehend mit blauer UN-Fahne einen Hauch von New York und großer weiter Welt versprüht hat. Diejenigen, die sich während der Debatte noch mit „Verehrte Exzellenzen“ anreden, sind dann wieder was sie auch vorher waren: Studierende der Freien Universität, dabei nicht etwa nur Juristen, sondern beispielsweise auch Studierende aus der Physik und Publizistik, und zur anderen Hälfte junge Diplomaten und Diplomatinnen einiger ost- und mitteleuropäischer Staaten. Die Diplomaten machen eigentlich einen dreimonatigen Lehrgang, den das Auswärtige Amt bereits seit zehn Jahren veranstaltet und sind bereits mehr oder minder Profis im diplomatischen Geschäft. Ob Profi oder nicht, macht aber keinen Unterschied, wenn es darum geht, im Plenum des Sicherheitsrates Anträge zu formulieren oder Nachfragen korrekt zu stellen: Wird die Geschäftsordnung der Vereinten Nationen nicht eingehalten, schreitet Peggy Wittke, von den Delegierten als „Frau Präsidentin“ tituliert, rigoros ein. Ihre Autorität wird durch die beiden Vizepräsidenten Irene Weinz und Michael Stahl noch gesteigert. Einige der Regelungen sind allerdings nur FU-intern, damit die Simulation nicht allzu realistisch gerät und die Sitzungen bis spät in die Nacht dauern: Die Eröffnungsreden der 15 Sicherheitsratsdelegationen, der fünf ständigen und zehn derzeitigen Mitgliedsstaaten dauern jeweils zwei Minuten und nicht länger. Hat eine Delegation eine Nachfrage, muss die Präsidentin zuerst die anzufragende Delegation fragen, ob sie die Nachfrage zulässt. Ganz schön schwierig. Einige der Delegierten sind ganz verdutzt, als sie die Frau Präsidentin mit Hinweis auf die Geschäftsordnung bereits im Auftakt zu einem unangemeldeten Einwurf unterbricht und zum Schweigen bringt.

Außerhalb des Plenums wurde heftig
um den diplomatischen Kompromiss gerungen.

Learning by doing

Peggy Wittke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsstelle für internationale Wettbewerbe des Fachbereichs Rechtswissenschaft und leitet die zwei- bis dreimal im Jahr stattfindenden Planspiele seit 1998. „‘Learning by doing‘ lautet das Konzept der Veranstaltung“, erläutert die dynamische Juristin und braucht nicht viele Worte, um von den Vorteilen dieser didaktischen Methode zu überzeugen: Wer sieht, mit welchem Engagement sich die Jungdiplomaten und -diplomatinnen in ihre Rolle vertiefen, ist begeistert. Die Arbeit im Plenum nimmt dabei nur einen kleinen Teil der Arbeit ein, die wichtigen Absprachen und das Formulieren von Anträgen verläuft in den Hinterzimmern. Und wie in der Realität sind Journalisten dort nicht gern gesehen. Wer sich in diese Hinterstübchen verirrt, wird von den Qualitäten des Diplomatenlehrgangs des Auswärtigen Amtes überzeugt: Eine Vertreterin aus einer aufstrebenden Demokratie Osteuropas hat bereits gelernt, wie man mit Fußvolk umgeht: Man möge bitte nicht bei dieser wichtigen Besprechung stören, man würde doch wohl sehen, dass sie zu tun hätten, Fotos wären aber OK. Ihr Verhandlungspartner, offenbar ein Student, begreift ebenfalls blitzschnell und probt zu der Auskunft seiner Kollegin den abschätzigen Blick und ergänzt ihr Schweigen wortreich. Lieber wieder zurück ins Plenum also, wo sich die Diplomatie von ihrer freundlichen Seite zeigt: Exzellenzen in geregeltem Dialog, Kleinigkeiten sind nur scheinbar unwichtig, nur für den, der keine Ahnung vom wahren Wesen des Metiers hat. Welcher Punkt zuerst auf die Tagesordnung gesetzt wird, hatte die Runde bereits den halben Vormittag beschäftigt, doch was zuerst beredet wird, ist auch am Wichtigsten. Die Delegationen versuchen dabei die Anweisungen ihrer jeweiligen Regierungen umzusetzen, die in Personalunion von Mitorganisator Arne Breitsprecher repräsentiert werden. So versuchte Bangladesch das Problem der Kriegsgefangenen auf die Tagesordnung zu setzen, scheiterte damit aber überraschend.

Ruhig schlafen neben dem Elefanten

Nicht alle Exzellenzen waren übrigens unecht an den beiden Tagen des Planspiels: Am Freitagabend wurde die Sitzung bei einer Feierstunde durch Seine Exzellenz Faisal Al Ghais eröffnet, seines Zeichens Botschafter des Staates Kuwait. In einem kurzen Einführungsvortrag erläuterte der Botschafter die Position Kuwaits zu den Irak-Sanktionen: „Wir haben kein Problem mit Irak, Irak hat ein Problem – mit allen Ländern“, sagte Al Ghais. Kuwait fordere nur „das Recht, neben dem Elefanten ruhig schlafen zu dürfen.“ Außerdem habe die irakische Führung gar kein Interesse daran, dass die Sanktionen aufgehoben werden, da ansonsten die Rechtfertigung für die Armut im Lande wegfiele. Trotzdem beschlossen die Delegationen am nächsten Tag eine Resolution, in der dem Irak die kontrollierte Einfuhr von Gütern gestattet wird. Der wirkliche Sicherheitsrat war noch gar nicht so weit, denn er hatte die entscheidende Sitzung auf Anfang Juli vertagt. Aber es ist gar nicht so unwahrscheinlich, dass die dann gefasste Resolution der des Spiels gleicht. Schließlich waren die Teilnehmer ja schon fast Profis, als sie am Samstagabend ihr Spiel mit einem kleinen Diplomatenempfang ausklingen ließen. Ein Erfolg war es für beide Seiten, die Studierenden wie die Lehrgangsteilnehmer. Deswegen soll die noch junge Kooperation mit dem Auswärtigen Amt bei den nächsten Planspielen fortgesetzt werden. Vorher steht aber noch eine größere Aufgabe vor dem diplomatischen Corps der Freien Universität. Im nächsten Frühjahr geht es zur Großausgabe des UN-Planspiels nach New York. Wer mitmachen will, kann sich bewerben: „Exzellenz“ für eine Woche, das wär‘ doch schon mal was.

Niclas Dewitz

Fotos: Kundel-Saro

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