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[Auf Umwegen gelangte das Gästebuch aus der Gelfertstraße zurück an die Freie Universität]

Diese Villa in der Gelfertstraße dient der Freien Universität
nach wie vor als eines ihrer Gästehäuser.

Für manchen war es wie das Paradies auf Erden. „Ich kam müde und erschöpft hier an und habe mich in dem Sanatorium „Gästehaus der Freien Universität“ wunderbar erholt, dank der liebevollen, bis auf das Kleinste besorgten Behandlung und Versorgung“, schrieb Eduard Fraenkel am 19. Dezember 1961 in das braun gebundene Gästebuch des Gästehauses in der Gelferstraße. Lange Jahre war das Gästebuch mit Goldschnitt verschwunden: Bis vor einiger Zeit ein Brief aus der Schweiz kam, der den Fund des Gästebuches für die Jahre 1957 bis 1963 meldete. Ein Neffe der Leiterin des Gästehauses in der Gelfertstraße, Hans-Peter von Haken, hatte das Buch im Nachlass seiner Tante, Anna Clara Wedding, entdeckt und es freundlicher Weise der Universität mit den Worten zur Verfügung gestellt: „Ich habe für das Gästebuch keine Verwendung. Ich kann mir jedoch denken, dass es für die Universität interessant sein könnte, dieses Buch zu besitzen und daraus zu ersehen, wer alles im Gästehaus zu Gast war und was diese Gäste so von sich gegeben haben“.

Und das ist es in der Tat. Wer das Glück hat, das Gästebuch durchzublättern, kann sich der eigenen Atmosphäre der Freien Universität und seines Gästehauses nicht entziehen. Es muss ein eigener, sehr familiärer und freundschaftlicher Geist geherrscht haben. Kaum jemand, der sich nicht für die liebenswürdige und persönliche Betreuung, den Frieden und die Stille des Gästehauses bedankte.

Aufgereiht wie auf einer Perlenkette finden sich in dem Buch renommierte Namen aus dem In- und Ausland, aber auch viele Unbekannte: Lise Meitner, die gemeinsam mit Otto Hahn und Fritz Straßmann im Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in den dreißiger Jahren die Kernspaltung erprobte und als Jüdin 1938 heimlich aus Berlin floh, kam 1957 für zehn Tage von Stockholm nach Berlin. Die Meinungsforscherin aus Allensbach, Prof. Dr. Elisabeth Noelle-Neumann schreibt mit kräftiger schwarzer Tinte, sie käme einmal zu den Ferien her. Der Historiker Gordon Craig bedankt sich für das „charming guest house“. Und die Studentin Diana Robin spricht von einem „solches schön Willkom in Berlin war eine grosse Hilfe für eine kleine Student.“

Wer kam, egal ob Gelehrter, Student oder Ehefrau, wurde vorzüglich behandelt und herzlich umsorgt. Dabei verfügte die Leiterin des Gästehauses Anna Wedding offensichtlich über das nötige Fingerspitzengefühl, damit auch Emigranten, die nach Jahren erstmals nach Deutschland reisten, sich wohlfühlten. So schreibt beispielsweise Ignaz Maybaum, Dozent am berühmten Leo Baeck-Institut in London: „Nach 19jähriger Pause nach Berlin zurückkehrend, finde ich hier Gastfreundschaft und warmes Verständnis. In Dankbarkeit für acht Tage Zusammenseins deutscher Freunde, die als Christen zu den Vorlesungen jüdischer Theologen kamen, spreche ich das Wort des Segens: Friede, Friede, dem der nah und dem´, der fern.“

  
     

Frohe Tafelrunde

Von Tokio ins Gästehaus: Ein Eintrag aus dem Gästebuch

Quasi fuori della realtá

Gerade in der politisch angespannten Situation Berlins kurz vor und kurz nach dem Mauerbau erschien die Gelfertstraße, wie es ein italienischer Gast beschrieb, „quasi fuori della realtá“ – außerhalb der Realität zu liegen. Das lag auch, an der vorzüglichen Küche und den guten Weinen, die in der Gelfertstraße konsumiert wurden. Anna Wedding legte Wert darauf, dass sich ihre Gäste wie zu Hause fühlten, folglich wurde gerne und lange gemeinsam getafelt.

Das einzige Foto des Gästehauses zeigt denn auch eine Gruppe von Gästen im Sommer 1957, die sich sowohl angeregt unterhält, als auch angeregt im Kaffee rührt. Eine Seite später erfährt der Betrachter in Gedichtform, um wen es sich handelte: „Vereint war um die Mittagsstunde, wie alltags, frohe Tafelrunde: Der Ehrenbürger erster, Herr Jacobsthal mit seinem Herzen, aus Gold und Stahl und mit ihm sein Duzfreund aus Mathematik, Herr Gelberg mit dem Norwegerblick, und Mister Anthon, der im Verein mit Herrn de Ferdinandi in die Welt hinein der Gegenwart und Vergangenheit schaut, dass es manchen vor Angst schon graut, vor der Ereignissen langer Schnur, abbwesend war nur Herr de Latour. Und fragt man, wer´s geschrieben – Nun, bescheiden tat es, Alois Lenn. Auch wenn es sicher begabtere Dichter gegeben hat, spiegeln die Zeilen doch wieder, welche Bedeutung in der Nachkriegszeit die Freundschaft über Fächer und Ländergrenzen hinaus hatte. Eine beachtliche Zahl der Gäste kam aus dem Ausland nach Berlin, von Wien, Paris, Helsinki, Bern, Stockholm, Ann Arbor, Zürich, dem Libanon, der Türkei und Japan reisten die Gäste an und lobten vor allem die offene, internationale Atmosphäre. Wieder einmal erwies sich der nach der Gründung der Freien Universität herrschende Mangel an Gebäuden auch als Vorteil. „Am Anfang gab es einfach keine Räume für Geselligkeiten“, erzählt Dr. Michael Engel, Leiter des Universitätsarchives, der berichtet, dass die Villa in der Gelfertstraße früh von der Freien Universität genutzt wurde.

Doch nicht allein die schöne Villa im trauten Dahlem machte jeden Besuch rund. Dies lag vor allem an der 1903 in Berlin-Lichterfelde Ost geborenen Professorentochter Anna Wedding, die nach Aussagen ihres Neffen Hans-Peter von Haken eine „richtige Familientante“ war. Da ihr Vater den Standpunkt vertrat, dass Töchter keinen Beruf zu erlernen hätten, hatte die unverheiratet gebliebene Anna Wedding keinen, sieht man von einer kurzen Ausbildung in der Haushaltungsschule für höhere Töchter in Pforzheim ab.

Nach dem Krieg, als die Familie mittellos geworden war, arbeitete die allseits beliebte Anna Wedding als Haushälterin, ersetzte diverse Mütter und wurde schließlich Hausmutter im Kinderheim Felicitas. Immer wieder musste sie sich von ihrer Familie „dreinreden lassen“, die Anna Wedding vorschreiben wollte, dass sie besser an sich und ihre Altersversorgung denken solle. Dies wurde besser, als Anna Wedding Leiterin des Gästehauses wurde und damit finanziell unabhängig war und obendrein eine Aufgabe erhielt, die sie in jeder Weise erfüllte und ausfüllte. Anna Wedding machte den Speiseplan, kaufte ein, empfing die Gäste zu möglichen und unmöglichen Zeiten und kümmerte sich um alles. In ihrer wenigen Freizeit spielte sie Klavier. Die Zeit im Gästehaus hat sie als eine „der glücklicheren Phasen in ihrem Leben betrachtet“, so ihr Neffe, der sie 1963 gemeinsam mit seiner Frau in der Gelfertstraße im Urlaub besuchte.

Nach der Pensionierung lebte Anna Wedding von einer sehr bescheidenen Pension zunächst in Berlin, später in Frankfurt, dann in Kellinghusen in Holstein. Im hohen Alter wanderte Anna Wedding aus und zog zu ihrem Neffen nach Paraguay auf das Land in die Nähe von Asuncion. Dort starb sie mit gut 88 Jahren, fern von dem von ihr so geliebten Berlin liegt sie auf einem Friedhof der Mennoniten-Siedlung begraben.„Sie war einer jener Menschen, welche die persönlich betroffenen Opfer des Krieges waren, aber ihre Würde bewahrten, sich nicht beklagten und für andere da waren“, fasst ihr Neffe das nicht immer leichte Leben der Anna Wedding zusammen.

Felicitas von Aretin

Foto: Dahl

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