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Gefährliche Allianzen?

Tim Trampedach

Wie groß war der sowjetische Einfluss auf China wirklich?

Im Lit-Verlag erschien kürzlich ein Dokumentenband unter dem Titel "KPdSU (B), Komintern und die Sowjetbewegung in China, 1927-1931". Es ist bereits der dritte, der im Rahmen einer Kooperation zwischen der FU Berlin und der Russischen Akademie der Wissenschaften erschienen ist. In einem gemeinsamen Forschungsprojekt arbeiten seit 1992 Wissenschaftler des Moskauer Instituts für den Fernen Osten und des Ostasiatischen Seminars der FU Berlin unter Leitung von Professor Mechthild Leutner zusammen, um bisher weitgehend unbekanntes Material über die russische Chinapolitik zwischen 1920 und 1937 aus den Moskauer Archiven zu erschließen, auszuwerten und der Öffentlichkeit in russischer, deutscher und chinesischer Sprache zugänglich zu machen.

In jüngster Zeit häufen sich Berichte, wonach die politischen Eliten Russlands und Chinas, unterstützt von einflussreichen Wissenschaftlern, ein strategisches Bündnis zwischen beiden Ländern anstreben, das sich vor allem gegen das Vormachtstreben der USA richten soll. Solche Vorstellungen lösen im Westen immer wieder Besorgnis aus. Doch spricht viel gegen ein chinesisch-russisches Bündnis – nicht nur die wirtschaftliche Abhängigkeit beider Länder von den reichen Industriestaaten, sondern auch die historische Erblast.

Gerade auf chinesischer Seite bestimmt die nationale Vergangenheit noch stark das Verhalten der Akteure in der Gegenwart. Deshalb muss der Blick zurück gehen: Am 1. Oktober 1949 rief Mao Zedong in Peking die Volksrepublik China aus. Zuvor hatten die Kommunisten ihren Hauptgegner, die Nationalisten (Kuomintang) unter Chiang Kai-shek, nach Taiwan vertrieben. Hilfe auf ihrem Weg zur Macht hatte die 1921 gegründete Kommunistische Partei Chinas (KPCh) vor allem von ihrer sowjetischen Schwesterpartei KPdSU und der von Moskau kontrollierten Kommunistischen Internationale (Komintern) erhalten. Folgerichtig bildete sich 1949 zum Schrecken des Westens eine enge sowjetisch-chinesische Allianz, die allerdings gut zehn Jahre später unter großem Getöse wieder zerbrach.

Was aber nur Wenige wissen: Schon die 20er Jahre, als Moskau durch finanzielle Unterstützung den Aufbau und die Entwicklung der KPCh ermöglichte und die Abgesandten Lenins und Stalins in China wirkten, waren eine Zeit der Irritationen, Spannungen und Missverständnisse zwischen chinesischen und sowjetischen Genossen (bzw. denen der Komintern). Zur ersten schweren Krise kam es 1927, als Chiang Kai-shek gewaltsam gegen die KPCh vorging, diese in den Untergrund trieb und damit die von Moskau geförderte Einheitsfront zwischen chinesischen Kommunisten und Nationalisten zerstörte. Ungeachtet der schweren Fehler Stalins wurde der KPCh für diese Niederlage die Schuld zugeschoben.

In den folgenden Jahren mehrten sich die Streitigkeiten sogar noch. Dieser Entfremdungsprozess zwischen den beiden kommunistischen "Schwesterparteien" wird in dem gerade erschienenen Band nun erstmals ausführlich illustriert.
Für diese Jahre haben sich die Archive als wahre Schatzkammern erwiesen. Die Dokumente widerlegen zunächst die im Westen gängige These einer gezielt und vorrangig von Moskau gesteuerten KPCh. Natürlich war der russische Einfluss nicht gering. Jedoch offenbart sich ein erstaunlich stark ausgeprägtes Selbstbewusstsein auf chinesischer Seite, ja sogar Widerstandsgeist. Dabei war die Lage für die KPCh denkbar schwierig: Einerseits brauchte man die Hilfe von KPdSU und Komintern zum Überleben, andererseits wollte man sich aber nicht von "ausländischen" Genossen bevormunden lassen, sondern beharrte auf einer gewissen Eigenständigkeit. Folgerichtig wurde permanent gestritten: über die Existenz be-drohende Finanzkrise der KPCh, über ihren Einflussverlust in den großen Städten, über unvorbereitete und deshalb opferreiche Aufstände der chinesischen Kommunisten sowie über ihre brutalen Methoden auf dem Lande zur Mobilisierung der Bauern. Wegen der Rückschläge in den ländlichen Sowjetgebieten erfuhr auch Mao Zedong Kritik aus Moskau: Dieser sei selbstherrlich und agiere "wie ein Militärdiktator".

Wie die Dokumente offenbaren, wurden die zwischen chinesischen und Komintern-Kommunisten geführten Kontroversen überraschend heftig und unerbittlich ausgetragen – ein weiterer Beleg für die fatal schlechte Diskussionskultur in der kommunistischen Bewegung dieses Jahrhunderts. Beide Seiten unterstellten sich gegenseitig rechte Tendenzen, Opportunismus und Versöhnlertum gegenüber dem Feind; während die Komintern-Vertreter ihre chinesischen Partner zunehmend für starrsinnig und unbelehrbar hielten, fühlten sich Letztere von Besserwissern bevormundet, machten auch aus ihrer Überzeugung kein Hehl, dass die "Ausländer die chinesischen Probleme eben noch nicht richtig verstehen". Diese Meinung bekommen Westler in China übrigens immer noch häufig zu hören.

Insgesamt 412 Dokumente der Periode 1927-1931 werden in vier Kapiteln auf rund 1900 Seiten präsentiert. Auch der noch ausstehende Band für die Jahre 1931-37 ist bereits in Arbeit – ein Rennen gegen die Zeit, denn leider haben sich die Arbeitsbedingungen in den russischen Archiven wieder erheblich verschlechtert. Die Quellensammlung illustriert – wie kein wissenschaftliches Werk zuvor – die gewichtige und umstrittene Rolle sowjetischer und internationaler Kommunisten in der Anfangsphase einer Revolution, die schließlich unter Führung Mao Zedongs in die Gründung der Volksrepublik China mündete. Und diese wiederum ist inzwischen schon über 50 Jahre alt. Doch eine neue Allianz Peking-Moskau liegt in weiter Ferne ...

 
 
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