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Neu an der FU: Der Seismologe Serge Shapiro


Die Erde zum Beben bringen

Von Steffi Barbirz

Foto: Dahl

"Stellen Sie sich einen Sandhaufen vor", sagt Prof. Serge Shapiro, "der einstürzt, wenn Sie noch eine einzige Handvoll Körner darauf streuen. Sie wissen bloß nicht, welches Sandkorn schließlich den Zusammenbruch verursacht." Mit diesem Modell beschreibt der Seismologe, wie sehr ein Erdbeben vom Zufall abhängig ist. Doch für die Arbeitsgruppe von Prof. Shapiro sind Erdbeben keine Glückssache. Die Forscher benutzen seismische Wellen zur Erforschung der Erdkruste. Denn seismische Wellen sind nichts anderes als von Menschenhand geschaffene "Minierdbeben", die wie ein gigantisches Ultraschallgerät eingesetzt werden können.

Shapiro, seit Februar auf einer C4-Professur im Fachbereich Geowissenschaften, Fachrichtung Geophysik, ist hochmotiviert: "Ich möchte an der FU Forschung auf Weltniveau betreiben", seine Absolventen sollen sich mit denen aus Stanford oder vom MIT vergleichen lassen. Dass man für gute Forschung seine ganze Kraft braucht, weiß Shapiro. Er stammt aus Russland und hat an der Universität Moskau Geophysik studiert. Bis sich zusammen mit seiner Promotion am Geoinformsysteminstitut 1987 der Beginn der Perestroika in der Sowjetunion abzeichnete, hatte er keine Pläne gemacht, in den Westen zu gehen. "Ich war immer ganz idealistisch", erzählt Shapiro, in Russland gebe es exzellente Forscher auf seinem Gebiet. Dennoch waren die wirtschaftlichen Umstände entscheidend, und nach der Öffnung der Sowjetunion wäre der Lebensunterhalt nicht mehr allein durch wissenschaftliche Arbeit zu bestreiten gewesen. Mit einem Alexander-von-Humboldt-Stipendium ging Shapiro deshalb 1991 nach Karlsruhe und habilitierte sich 1995. "Das war großes Glück", sagt er, denn heutzutage sind die Forschungsbedingungen in Russland nicht gut. Umso mehr pflegt er Kontakte zu russischen Kollegen, mit denen er Forschungsaufenthalte und Zusammenarbeit organisiert.

1997 erhielt Shapiro eine Professur am Institut Nationale Polytechnique de Lorraine in Nancy, "sozusagen meine zweite Emigration", lacht er. Diesmal blieb seine Familie aber im nur 200 km entfernten Karlsruhe wohnen. Und die Zusammenarbeit mit der Universität in Karlsruhe führte 1997 zu einem Projekt, auf das Shapiro besonders stolz ist: Der Aufbau eines Hochschul-Konsortiums aus Gruppen der Universitäten Campinas (Brasilien), Hamburg, Karlsruhe und Berlin. Denn die Arbeit mit seismischen Wellen ist besonders für die Ölindustrie interessant. Für das Auffinden und Ausbeuten von unterirdischen Gas- oder Erdölreservoirs erzeugen sie diese Wellen mit Hilfe von großen Vibratoren. Das "Echo", das aus der Tiefe zurückschallt, gibt dann Aufschluss, ob eine Lagerstätte vorhanden ist. Dabei ist die Auswertung dieser Signale sehr kompliziert, und die Seismologen beschäftigen sich vor allem damit, aus den Daten immer bessere Bilder des Untergrunds zu erzeugen. Diese Forschung wird finanziell von Firmen unterstützt, die sich auf die Forschungsergebnisse des Konsortiums abonnieren, die die Wissenschaftler jederzeit konsultieren können und gemeinsam mit ihnen Tagungen abhalten. Deshalb schätzt Shapiro auch die Berufsaussichten seiner Absolventen vielversprechend ein: "Die Ausbildung ist mit Physik, Mathematik, Geologie und Informatik sehr breit angelegt, und die gesamte Technologie ist sehr computerorientiert." Seismologen könnten sich z.B. auch mit der zerstörungsfreien Prüfung von Materialien beschäftigen. Schließlich geht es auch hier darum, Wellen auszusenden. Mit dem reflektierten Signal kann dann die Qualität eines Werkstoffes geprüft werden.

An Berlin und Umgebung schätzt Shapiro vor allem die gute geowissenschaftliche Forschung verschiedenener Einrichtungen wie der Potsdamer Universität, der TU Berlin, des Potsdamer Geoforschungsinstituts, nicht zuletzt aber der FU: "Ich hoffe, wir können ein Zentrum werden, in dem sich die Forschungsaktivitäten ergänzen", und als "sehr motiviert und fähig", lobt Shapiro seine deutschen Studenten. Dabei hatten er und seine Familie sich darauf eingestellt, dass er noch länger zwischen Karlsruhe und Frankreich hin- und herpendeln müsse. "Der Ruf an die FU war eine tolle und riesige Überraschung."