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FU|Nachrichten 11-12/99
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Salman Rushdie erhält im Beisein von zwei Literaturnobelpreisträgern die Ehrendoktorwürde der FU
Nimm und lies

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Salman Rushdie erhält im Beisein von zwei Nobelpreisträgern die Ehrendoktorwürde


Nimm und lies

Von Felicitas von Aretin

"Ich aber erinnere mich nur an die Stille, die Stille tiefsten Entsetzens. Um genau zu sein, die Stille der Fotografie, denn das war mein Beruf, und so griff ich in dem Moment, in dem das Erdbeben begann, natürlich darauf zurück", las der 1947 in Bombay geborene Schriftsteller Salman Rushdie aus seinem neuesten Roman "The ground beneath her feet" vor. Und in der Art, wie der ganz in schwarz gekleidete neue Ehrendoktor der Freien Universität aus seinem Roman vortrug, die Stimme dem Text melodisch anpassend, gelang es Rushdie für Minuten, dem Hörsaal im Physiologischen Institut die Stille wiederzugeben: Die rund 350 geladenen Gäste, unter ihnen die beiden Nobelpreisträger für Literatur, Kenzaburo Oe und Günter Grass, vergaßen die Anspannung, die den Tag auf Grund der Sicherheitsmaßnahmen begleitet hatte. Auch von Rushdie schien ein Stück Spannung abzufallen, fast als sei er in das imaginäre Reich der Fantasie zurückgekehrt.

"Ein eigenartiges Gefühl" habe ihn schon beschlichen, sagte Rushdie und wendete seinen Blick auf Grass und Oe in der ersten Reihe, schließlich sei er der "einzige Schriftsteller hier im Raum ohne Nobelpreis". Auch wenn soviel Bescheidenheit den Dichter ehrt, wies der Anglist Prof. Dr. Manfred Pfister in seiner Laudatio darauf hin, dass "Rushdie ein besonders würdiger Empfänger des Ehrendoktortitels ist", sei der zehn Jahre lang von der Fatwa bedrohte Schriftsteller doch "gleichzeitig Schriftsteller und intellektueller Theoretiker". Der Erste Vizepräsident der Freien Universität, Prof. Dr. Dieter Lenzen, betonte in seiner Rede nachdrücklich die künstlerischen Verdienste Rushdies und sagte: "Die Freie Universität ehrt nicht jemanden dafür, dass er verfolgt wird, sondern sie ehrt einen ehrenswerten Menschen besonders und gerade dann, wenn er verfolgt wird." Die Freie Universität wolle eine Station auf dem Weg Rushdies "vom Politikteil der Zeitungen zurück ins Feuilleton" sein. Ausdrücklich distanzierte sich Lenzen in seiner Rede von dem Brief eines ungenannten Honorarprofessors an die Leitung der FU, der als einziger gegen die Preisverleihung protestiert habe. Die Freie Universität beabsichtige nicht, die Gefühle von Gläubigen einer Religion zu verletzen, Freiheit bedeute aber, dass "sie die Freiheit eines jeden umschließt, die Welt auf seine Weise zu sehen und diese Sicht mitzuteilen". Dazu seien Orte wichtig, wo in Freiheit geforscht und geschrieben werden könnte, oder um es knapp mit Augustinus zu sagen: "tolle et lege – nimm und lies".

Dennoch bestimmte der starke Polizeischutz, der auf Wunsch von Scotland Yard betrieben wurde, die Stimmung an diesem Tage mit. Das Präsidialamt, in dem ein gemeinsames Essen der drei großen Schriftsteller mit dem englischen Botschafter Sir Paul Lever stattfand, glich einer besetzten Botschaft. Die Presse kam nur auf verschlungenen Wegen zu Pressekonferenz und Verleihung. Wie sie wurden auch die geladenen Gäste einem ausführlichen Sicherheitscheck unterzogen. "Unser besonderer Dank gilt den Sicherheitsbeamten", sagte Lenzen auf dem Empfang nach der Ehrendoktorverleihung, sie hätten es geschafft, Rushdie diskret und unauffällig zu schützen.

Rushdie selbst bekannte auf der Pressekonferenz am Mittag, dass "es schon ein bisschen besser ist mit den Heimlichkeiten". Erstmals in seinem Leben habe er deshalb auch gleich mehrere neue Geschichten im Kopf. Ob er ein Buch über die zehn Jahre der Bedrohung durch das islamische Regime veröffentlichen wolle, wisse er noch nicht. "Ich will nicht die nächsten zwei Jahre meines Lebens damit verbringen, die vergangenen zehn Jahre Revue passieren zu lassen", sagte Rushdie, dem trotz oder gerade wegen seiner ausgesuchten Höflichkeit deutlich anzumerken war, dass ihm die Frage, wie er sich denn als Gejagter fühle, inzwischen zutiefst zuwider ist. Die Politik des Iran wolle er nicht kommentieren, wann er nach Indien fahre, ebenfalls nicht. Die Tragik seiner Existenz bestehe "nicht so sehr in der Verfemung selbst als vielmehr darin, dass sich die Leute daran gewöhnt haben", sagte der Autor der "Satanischen Verse", die ihm wegen angeblicher Blasphemie vor zehn Jahren das Todesurteil eingebracht hatten.

Foto: Dahl