Der erste Tag

An den ersten Tag erinnere ich mich noch genau. Es war ein sonnendurchtränkter Oktobervormittag, als ich das erste Mal das kunsthistorische Institut in Frankfurt a. M. betrat - glücklich über die Freiheit, sich den ganzen Tag mit Kunstgeschichte, Literatur und Geschichte beschäftigen zu können und doch beklommen bei der Idee, im Uni-Moloch alleingelassen mit der Wissenschaft zu sein. Wahrscheinlich ähneln sich erste Tage immer. Noch ist der Blick unverstellt, geschärft für Kleinigkeiten und Empfindungen. Die Zeit, die Kunst des Bogenschießens zu erlernen ist im ersten Semester ebenso da, wie die Möglichkeit, Veranstaltungen anderer Fachgebiete zu besuchen, Portugiesisch zu lernen oder in einer Theatergruppe mitzuspielen. Die Freie Universität bietet fast un überschaubare Möglichkeiten.

Herzlich werden alle "Neuen" und alten Semester von FU-Präsident Johann W. Gerlach begrüßt, der eine Bilanz der desolaten Berliner Hochschulpolitik der vergangenen Monate zieht. Der neue Kanzler der Universität, Wolf-D. von Fircks, zieht eine Bilanz seiner Eindrücke der ersten FU-Wochen. Die Einleitung zum Titelthema "Frauenforschung" an der FU kommt von der im Juli gewählten neuen Vizepräsidentin, Christine Keitel-Kreidt. Niemand anderes als der britische Star-Architekt Norman Foster wird die Rostlaube neugestalten.

Der Berliner Wissenschaftssenator Peter Radunski hat uns in den Semesterferien zwar ein neues Papier "Hochschulstandort 2000" beschert, das aber im Kern wenig Neues enthält. Dafür wird amtlich bestätigt, daß die neue Bundeshauptstadt im Jahr 2000 nur noch über 75.000 finanziell abgesicherte Studienplätze verfügt - falls die Universitäten nicht weitere Einsparkapazitäten finden, die sie nicht haben. In dieser Situation besinnt sich die Freie Universität auf ihre Wurzeln und wagt neue Wege.

Visionen von einer anderen Universität sind gefragt und damit Selbstbesinnung im besten Sinne. Im nächsten Jahr, wenn die Freie Universität 50 Jahre wird, wird hierzu Gelegenheit sein. Die Rückbesinnung auf die Anfänge der FU als demokratisches Gegenstück zur Universität Unter den Linden steht dabei ebenso auf dem Programm, wie die Auseinandersetzung mit der 68er-Bewegung und der Blick nach vorn.

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