131 Lehrveranstaltungen zum Thema Frauen- und Geschlechterforschung

Das Bild "der Frau" an der Universität


Seit Anfang der 70er Jahre wird an der Freien Universität die gesellschaftliche Situation von Frauen explizit in Lehrveranstaltungen thematisiert, ein Erfolg der in der neuen Frauenbewegung aktiven Studentinnen. Die Fachbereiche Rechtswissenschaft, Philosophie und Sozialwissenschaften, Politische Wissenschaft und Erziehungswissenschaft, das Osteuropa- und das John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien boten als erste "frauenspezifische Veranstaltungen" an.

Im Sommer 1978 beauftragte das Berliner Abgeordnetenhaus den damaligen FU-Präsidenten, Eberhard Lämmert, die inhaltliche und organisatorische Konzeption für einen "Frauenstudien und -forschungsbereich" an der FU zu erarbeiten. 1980 war die Freie Universitä t die erste westdeutsche Universität, die als Aufgabe der Hochschule sowohl die Förderung von Frauen als auch von Frauenstudien in einem Beschluß des Akademischen Senats festschrieb. Damit verbunden war 1981 die Gründung der Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauenstudien und Frauenforschung, die entsprechende Aktivitäten in Ergänzung zu denen der Fachbereiche und Zentralinstitute initiieren und unterstützen soll.

Am Ende ihrer zweijährigen Arbeit entschied sich die Planungsgruppe" Frauenstudien und -forschungsbereich" anstelle eines zentralen Forschungsinstituts für eine dezentrale Verankerung von Frauenstudien und Frauenforschung in den einzelnen Fachbereichen. Ein zentrales Forschungsinstitut hätte möglicherweise eine zu bequeme Lösung bedeutet: ausgestattet vielleicht mit nur wenigen Stellen für Frauen hätte es keine Veränderungen auf der Ebene der Fachbereiche und Zentralen Forschungsinstitute bewirken können. Außerhalb der Fachbereiche institutionalisiert wäre es kein Anlaß zur Überprüfung der etablierten Inhalte von Lehre und Prüfungsanforderungen. Darüber hinaus sollte Frauen- und Geschlechterforschung nicht" nur" eine Analyse der kulturellen Präsentationsformen des Geschlechterverhältnisses bzw. der Geschlechterdifferenz leisten, es ging und geht auch um die Kritik einer tradierten Form von Wissenschaft, die die Kategorie Geschlecht unberücksichtigt läßt. Die Negativ-Seite dieser Entscheidung ist die hohe Abhä ngigkeit von hochschulinternen Entscheidungsprozessen, vom Wohlwollen der Männermajoritäten - auf der Leitungsebene wie auch in den zentralen Gremien - und deren wissenschaftspolitischer Prioritätensetzung.

Margherita von Brentano

Margherita von Brentano: Die Situation der Frauen und das Bild "der Frau" an der Universität, in: Universitätstage 1963, Universität und Universalität, Berlin 1963

An dieser Dezentralisierung von Frauen- und Geschlechterforschung hat die Freie Universität jedoch bis heute festgehalten, frauenspezifische Themen können in zahlreichen, vor allem geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern, studiert werden. Dabei ist sowohl die Anzahl der angebotenen Kurse als auch die Form ihrer Institutionalisierung sehr unterschiedlich: In manchen Fächern wird Frauen- und Geschlechterforschung als ein Studieninhalt unter anderen definiert (etwa in den Fächern Politologie, Germanistik , Nordamerikastudien und Philosophie), in anderen als Wahlpflichtfach (so zum Beispiel am Institut für Kritische Psychologie) oder als Studienschwerpunkt (Soziologie, Erziehungswissenschaft). Insgesamt werden an der Freien Universität im Wintersemester 1997/98 beachtliche 131 Lehrveranstaltungen zum Thema Frauen- und Geschlechterforschung angeboten, 13 (von 18) Fachbereichen und 3 (von 4) Zentralinstituten sind beteiligt. Die Veranstaltungen werden von 110 Lehrenden betreut, von denen 29 eine Professur innehaben, 26 aus dem Mittelbau kommen, 35 Lehrbeauftragte und 10 Privatdozent/innen sind. Fünf der angebotenen Veranstaltungen sind Projekttutorien. Frauenforschung wird vor allem von befristet tätigem Personal geleistet; da wirkt es sich besonders nachteilig aus, wenn eine engagierte Wissenschaftlerin/ein engagierter Wissenschaftler die Freie Universität verläßt, denn dann verschwindet mit ihr/ihm zumeist auch ihr/sein frauenspezifischer Schwerpunkt aus dem Fachbereich. Für die regelmäßige Betreuung von Abschluß- und Forschungsarbeiten und die Anerkennung von frauenbezogenen Themen und Prüfungen sind deshalb die fest etablierten Frauenforschungsprofessuren von besonderer Wichtigkeit. Derzeit sind an der Freien Universität 6 solcher Professuren besetzt, davon zwei in der Politologie, zwei in der Germanistik und jeweils eine in den Fächern Soziologie und Geschichte; in Erziehungswissenschaften ist im Wintersemester 1997/98 die vakante Frauenforschungsprofessur als Vertretungsprofessur für ein Jahr besetzt worden.

Im Gegensatz zur FU hat sich die Humboldt-Universität für einen anderen Weg entschieden: Zum Wintersemester 1997/98 ist dort ein Studiengang Geschlechterstudien/Gender Studies mit Abschluß Magister eingerichtet worden. Der Studiengang soll sämtliche Lehrveranstaltungen, die auf dem Gebiet der Gender Studies angeboten werden, vernetzen. Acht Fakultäten sind daran beteiligt, aus mehr als 20 Fächern können Veranstaltungen studiert werden, u.a. Rechtswissenschaften, Medizin, Kulturwissenschaften, Soziologie, Agrarwissenschaften, Theologie und den verschiedenen Sprach- und Literaturwissenschaften. Diese Konstruktion könnte eine generelle Aufwertung der Gender Studies bewirken; entscheidend für den Erfolg des Studiengangs wird jedoch vor allem sein, ob es gelingt, regelmäßig aufeinander abgestimmte, gerade auch grundständige Lehrveranstaltungen anzubieten, oder ob mehr oder weniger zufällig entstandene, "zusammengewürfelte" Gruppierungen von Themen und Seminaren oder Vorlesungen das Ergebnis sein werden.

Weder das breite Angebot an Lehrveranstaltungen im Bereich Frauen- und Geschlechterforschung, noch die (unverbindliche) Richtlinie, nach der Frauen bei gleicher Qualifikation bevorzugt eingestellt werden sollen, wenn nicht besondere Umstände in der Biographie des männlichen Bewerbers dagegen sprechen, hat bis heute zu einer Angleichung des Frauenanteils auf allen universitären Hierarchieebenen geführt. Vielmehr stagniert der Anteil der Professorinnen an der FU seit Jahren bei etwa 17 %, der Anteil der Inhaberinnen von C4-Stellen bei etwa 3%. Insbesondere im Bereich der Habilitationen liegen Frauen noch weit hinter Männern. Sowohl ihre allgemeinen Lebensumstände als auch die nach wie vor männlich dominierten Universitätsstrukturen benachteiligen Wissenschaftl erinnen, die eine universitäre Karriere anstreben. Die gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen ist jedoch nicht allein aus Gründen der Gerechtigkeit, sondern auch aus wissenschaftstheoretischen Überlegungen unverzichtbar. Forschungsinhalte wie Forschungsmethoden werden unter anderem durch die Geschlechtszugehörigkeit geprägt, nicht aufgrund vorgeblicher "natürlicher" Präferenzen, sondern auf der Basis unterschiedlicher Sozialisationsprozesse und Erfahrungen sowie den daraus resultierenden verschiedenartigen Fragestellungen und Interessen. Dies gilt nicht allein für die Geistes- und Sozialwissenschaften sondern ebenso für Disziplinen wie Mathematik, Physik oder Chemie.

So erweist sich Frauenförderung kurz vor der Jahrtausendwende als nach wie vor notwendig, darf auch angesichts der sich dramatisch verschlechternden Haushaltssituation nicht vernachlässigt werden. Die berechtigten Forderungen von Frauen wurden in der Vergangenheit schon zu häufig mit dem Hinweis auf fehlende Ressourcen bereitwillig beiseite geschoben.

Christine Keitel-Kreidt

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Christine Keitel-Kreidt ist Professorin am Institut für Grundschul- und Integrationspädagogik im Fachbereich Erziehungswissenschaft und als neu gewählte Vizepräsidentin unter anderem zuständig für Frauenförderung und Frauenforschung



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