DER PRÄSIDENT

DER FREIEN UNIVERSITÄT BERLIN

13. Oktober 1997




Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Studentinnen und Studenten,


auch zu diesem Semesterbeginn möchte ich Sie herzlich begrüßen, vor allem die etwa 4.500 neuimmatrikulierten Studierenden, darunter über 500 ausländische Studierende, denen wir schon ein besonderes Einführungsprogramm angeboten haben. Dieses Semester bringt wichtige Aufgaben, denen wir uns stellen müssen, auch wenn manche schwierig sind.

1. a) Zunächst setze ich voraus, daß jetzt Lehre und Studium allseits positiv im Mittelpunkt stehen. Eine Universität ist vor allem zum wissenschaftlichen Lehren und Studieren bestimmt, weshalb dazu gleichermaßen die Forschung gehört, in die fähige Studierende möglichst früh einzubeziehen sind; denn Lehre ohne Forschung ist allenfalls Ausbildung, und Forschung ohne Lehre ist auch nicht universitär. Diesen Anspruch müssen wir wahren und noch besser erfüllen, weil wir sonst zu "höheren Lehranstalten" ohne akademische Freiheit degradiert werden. Diese ist allerdings mit Verantwortung verbunden, so daß es für niemanden nur Freiräume mit Ansprüchen gegen andere geben kann.

b) Eine Universität ist auch kein reines "Dienstleistungsunternehmen" etwa für die Studierenden als "Kunden". Zwar hat eine Universität zweifellos bei Forschung, Lehre und Studium den Zweck eines öffentlichen Dienstes für Gesellschaft und Staat zu erfüllen, von denen sie dafür finanziell ausgestattet und freiheitlich ausgestaltet ist. Aber das Verhältnis der Universität zu ihren Mitgliedern wie deren Verhältnis zueinander würde pervertiert, wenn man daraus statt einer akademischen Gemeinschaft eine "Marktbeziehung" machte, gar einseitig mit Ansprüchen auf kostenlosen Bedienungszwang durch andere.

Selbstverständlich müssen alle in der wissenschaftlichen Leistung ihre Aufgabe und Erfüllung sehen, und dafür muß es Ansporn und Belohnung wie im negativen Fall Sanktionen geben. Deshalb ist auch eine leistungsbezogene Mittelverteilung innerhalb der Universität unabdingbar, schon damit sie im internen Wettbewerb wie im Verhältnis zu anderen Universitäten bestehen und möglichst viele qualifizierte Studierende für sich gewinnen kann. Aber der frühere Glanz der deutschen Universität war mehr in Idealen und anerkannten Persönlichkeiten als in Profiterwartungen begründet, so daß wir uns auch heute wieder darauf besinnen und nicht allein auf Ansprüche, Bezahlung und ökonomische Marktinteressen setzen sollten.

c) Auf Leistung müssen wir überall gesteigerten Wert legen, und zwar besonders im Interesse der Studierenden und deren Qualifikation. Da bei dem inzwischen völlig veränderten sog. Arbeitsmarkt selbst gute Examen in angemessener Studienzeit keine sichere Berufsperspektive mehr bieten, sondern nur Mindestvoraussetzung dafür sind, müssen wir uns darauf einstellen; denn auch wenn diese Entwicklung kritisch zu betrachten ist, so dürfen wir die Studierenden nicht ohne angemessene Vorbereitung auf das berufliche Leben lassen, dessen Anforderungen andere bestimmen.

Deshalb müssen mehr grundlegende und fächerübergreifende Einblicke ebenso wie soziale Kompetenzen als sog. Schlüsselqualifikationen vermittelt werden, wofür sich besonders Projektarbeit und eine Praktikumsphase eignen. Weiter gehören dazu bessere Fremdsprachenkenntnisse und ein Teil Auslandsstudium, wofür es durchaus Förderungen gibt. Demgemäß sollten die Studien- und Prüfungsordnungen sich auf die wesentlichen Anforderungen konzentrieren und im übrigen Wahlfreiheit in studentischer Selbstverantwortung lassen.

d) Allerdings haben die Universitäten vielfach seit langem eine studentische "Überlast", die wissenschaftliche Lehre und Studium behindert. Das ist die Hauptursache für den zu beklagenden Zustand, gegen den sich die Universitäten politisch und rechtlich nicht wehren können; denn sie werden von Staat und Gesellschaft benutzt, um die unzureichenden Perspektiven der jüngeren Generation in der beruflichen Ausbildung und bei den Fachhochschulen zu kompensieren - mit der Folge, daß viel mehr in die Universitäten als dort zum Examenserfolg kommen. Geichzeitig werden die universitären Haushaltsmittel laufend gekürzt, während demographisch eine immer größere Studiennachfrage zu erwarten ist.

Diese verantwortungslose Politik können die Universitäten nicht dadurch auffangen, daß sie mit immer weniger Mitteln und Personal gleich viel oder noch mehr Studierende aufnehmen; denn die Quantität von Studien- wie auch von Arbeitsplätzen in einer Universität bemißt sich nach deren wissenschaftlicher Funktion und Qualität. Deshalb müssen wir uns mit einer neuen Strategie selbst helfen, indem schon ein Studienabschluß nach drei Jahren in der Form eines BA (Bachelor) eröffnet wird, der die bisherige Zwischenprüfung um einiges ergänzt. Dabei können wir auf das in der FU jetzt eingeführte "Credit-Point-System" zurückgreifen. Diese Neuerung ist sicher auch international von Interesse, dient aber in erster Linie dazu, möglichst vielen und dabei auch denjenigen, die sonst ohne Examen bleiben und nur als "Studienabbrecher" gelten, einen akademischen Abschluß zu ermöglichen, an den sich ein weiteres Studium oder ein anderer Berufsweg anschießen kann.

e) Ich hoffe, daß die FU auch in ihrer Gremien-Selbstverwaltung - als Präsident habe ich dabei nichts zu entscheiden - stark genug ist, um diese Aufgaben alsbald zu lösen. Eine gesetzliche Experimentierklausel gibt uns jetzt die Möglichkeit, die Entscheidungsstrukturen zu verändern, soweit die Gremien und der Senator zustimmen. Wissenschaftlich ist die FU ohnehin eine Spitzenuniversitäten, gemessen an den Publikationen, Drittmitteln, Sonderforschungsbereichen und Auszeichnungen, und sie hat auch international einen hervorragenden Ruf. Lehre und Studium müssen wir uns aber intensiver zuwenden, um den Studierenden eine faire Chance zum Erfolg in angemessener Zeit und den fähigsten Studierenden die nötige Förderung zum wissenschaftlichen Nachwuchs zu geben. So können wir uns selbstbewußt dem Leistungswettbewerb stellen und im nächsten Jahr den 50. Geburtstag dieser Freien Universität angemessen feiern, die sich immer noch eine besondere gesellschaftspolitisch-freiheitliche Prägung mit einem kritischen Bewußtsein bewahrt hat.

2. Es bleiben noch die elenden äußeren Verhältnisse zu erwähnen, unter denen die Universitäten in Berlin besonders leiden, weil das Land wegen seiner Haushaltsmisere die Finanzierung rücksichtslos massiv und schnell kürzt. So wird sich etwa an der FU die Zahl der Professuren wie die der wissenschaftlichen Nachwuchsstellen halbieren und bei den Studienplätzen ein Abbau von einst 39.000 auf unter 25.000 ergeben. Die Universitäten haben das sogar vertraglich mit dem Land vereinbart, um sich zunächst für vier Jahre wenigstens vor weiteren Zugriffen zu schützen. Deshalb ist jetzt bei engerem Rahmen eine neu Strukturplanung zu verabschieden, damit wir eine leistungsfähige Voll-Universität bleiben. Um Schäden zu begrenzen, müssen wir aber selbst alle Anstrengungen für angemessene Kostensenkungen und vermehrte Einnahmen unternehmen.

Die damit verbundenen Veränderungen betreffen viele, sind aber notwendig. Besitzstände und Gewohnheiten von gestern können wir nicht weiter pflegen, wenn nicht die FU ihren Stand als erstrangige wissenschaftliche Institution verlieren soll. Um den unmittel baren wissenschaftlichen Bereich zu schützen, sind beim sonstigen Personal keine neuen Einstellungen, sondern nur noch interne Umsetzungen vorgesehen. Politische Opposition und bildungspolitischer Protest sind wichtig und richtig, aber nicht mit der konkr eten Verantwortung für die Geschicke dieser Universität zu verwechseln, für die wir zu handeln haben.

So darf ich Ihnen trotz alledem ein gutes Semester wünschen, weil es dafür im wesentlichen auf Sie selbst ankommt; denn schwierige Aufgaben werden erst unerträglich, wenn man sich selbst nicht mehr dafür stark macht.


Mit vielen Grüßen

Prof. Dr. Johann W. Gerlach

Präsident


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