Alternative Wirtschaftskonzeptionen zur Strategie einer radikalen Privatisierung

Inhaltsübersicht:

1. Wirtschaftspolitische Reformmodelle bis zum März 1990

2. Privatisierung durch Management-Buy-Out (MBO)

3. Belegschafts-Buy-Out (BBO) und Mitarbeiterkapitalbeteiligung (MKB)

4. Schlußfolgerungen

1. Wirtschaftspolitische Reformmodelle bis zum März 1990

Mit dem Ende der alten SED-Herrschaft nach Rücktritt Erich Honeckers von allen politischen Ämtern am 18. Oktober 1989 wurde im Zusammenhang der Aufbruchstimmung radikaler Veränderungen ab November 1989 rasch klar, daß auch die bürokratisierte, zentralisierte und ineffiziente DDR-Wirtschaft einer grundsätzlichen Veränderung bedurfte. Neben den von Reformsozialisten unter der Modrow-Regierung ausgearbeiteten Wirtschaftskonzeptionen, gab es zahlreiche Modellvorstellungen, die von den Bürgerbewegungen um den Runden Tisch entwickelt wurden und die im Folgenden kurz dargestellt werden sollen. Gemeinsam war diesen Konzeptionen die zentrale Frage, wer bei einer Entstaatlichung der Betriebe künftig Anspruch auf das ´Volkseigentum´ haben sollte. Handlungsleitend war zudem das Bestreben, einen ‘Ausverkauf´des Volksvermögens an westliche Unternehmen und Konzerne ebenso wie eine einfache Kopie des westlichen Marktystems zu verhindern.

1.1. Die Wirtschaftskonzeptionen der Modrow-Regierung

Am 13. November 1989 wurde Hans Modrow von der Volkskammer zum Ministerpräsidenten der DDR gewählt. Die Regierung unter Modrow unternahm den späten Versuch, die DDR-Wirtschaft grundlegend zu sanieren und zugleich mittels für notwendig erachteten tiefgreifenden Wirtschaftsreformen die Voraussetzungen für eine Neuentwicklung eines Wirtschaftssystems im Sinne eines Dritten Weges zu schaffen. Beabsichtigt war eine reformorientierte Ordnungspolitik, deren Neuordnungsversuche zwar über die sowjetischen Perestroika-Reformen hinausgehen, aber das westliche privatwirtschaftliche Marktmodell nicht einfach kopieren sollten.

In der viermonatigen Regierungszeit bis zur Volkskammerwahl am 18. März 1990 waren vor allem Christa Luft als Ministerin für Wirtschaft (zugleich stellvertretende Ministerpräsidentin) und Wolfram Krause für die Ausarbeitung der wirtschaftspolitischen Reformkonzeptionen zuständig. Christa Luft hatte sich bereits im Oktober 1988 in ihrer Antrittsrede als Rektorin der Hochschule für Ökonomie (HfÖ) in Ost-Berlin „in einer Zeit tiefgreifender politischer, ökonomischer und geistig-kultureller Wandlungen" für Wirtschaftsreformen uund eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit des planwirtschaftlichen Wirtschaftssystems der DDR ausgesprochen (vgl. Fischer/Schröter 1993: 20). Wolfram Krause verwies 1978 gegenüber der Führung der SED nachdrücklich auf die Fehlentwicklungen der staatlichen Wirtschaftspolitik und wurde daraufhin auf einen eher unbedeutenden Posten in der SED-Bezirksleitung in Ost-Berlin abgeschoben (vgl. Kemmler 1994: 59). Luft und Krause stützten sich zur Ausarbeitung ihres Reformprogramms nicht auf die noch mit alten Kadern besetzte Planungskommission, sondern gründeten eine Arbeitsgruppe „Wirtschaftsreform" beim Ministerrat.

Die inhaltlichen Ausgangspunkte dieser Arbeitsgruppe waren die grundsätzliche und weitgehende Anerkennung marktwirtschaftlicher Prinzipien und die Ablehnung einer reinen Staatswirtschaft. Die Unternehmen sollten als selbständige Wirtschaftseinheiten unbeeinflußt von staatlichen Planvorgaben agieren können. Bei den Eigentumsverhältnissen wurde kollektiven Eigentumsformen wie z.B. bei Genossenschaften eine Priorität eingeräumt, um den Charakter des volkseigenen Vermögens zu bewah-ren oder überhaupt erst herzustellen. Betriebe der Schlüsselindustrien aus Branchen wie z.B. Stahl, Energie, Verkehr sollten weiterhin in staatlichem Besitz bleiben. In erster Linie wurde ei-ne Reprivatisierung der Kleinbetriebe angestrebt, die in der letzten großen Verstaatlichungswelle in der DDR 1972 zwangsverstaatlicht wurden (Ministerium für Wirtschaft 1990: 28 - 34). Administrative Benachteiligungen für Privatbetriebe wurden aufgehoben und ausländische Kapitalbeteiligungen in Form von Joint-Ventures in Höhe von bis zu 49% zugelassen.

In der innerhalb von vierzehn Tagen ausgearbeiteten Vorlage „Zielsetzung, Grundrichtung, Etappen und unmittelbare Maßnahmen der Wirtschaftsreform" vom 1. Februar 1990 wurde als Zielvorgabe eine „sozial und ökologisch orientierte Marktwirtschaft" genannt (zit. bei Fischer/ Schröter 1993: 24). Die Planwirtschaft sollte aufgehoben und durch staatlich regulierte Rahmenbedingungen und die Ordnungspolitik eines demokratischen Rechtsstaates ersetzt werden. Zudem bekannte sich die Vorlage zur Durchsetzung des Leistungsprinzips, zur Gewerbefreiheit und zur Gleichberechtigung aller Eigentumsformen. Dieses Reformprogramm stieß am Runden Tisch auf breite Zustimmung. Allerdings herrschte bei den am Runden Tisch vertretenen Bürgerbewegungen Befürchtungen vor einem ‘Ausverkauf´ und einer ´Fremdbestimmung´ bei internationalen Mehrheitsbeteiligungen vor. Insbesondere wurde ein Verkauf von Grund und Boden an Ausländer und Westdeutsche grundsätzlich abgelehnt (Kemmler 1994: 64).

Mit der Gründung der Treuhandanstalt am 1. März 1990 wurde keine Entscheidung für eine bestimmte Eigentumsstruktur getroffen. Durch die Gründung der Treuhandanstalt sollten die Kombinate und volkseigenen Betriebe (VEBs) in Kapitalgesellschaften umgewandelt und treuhänderisch verwaltet werden. Von einer Privatisierung des Volksvermögens oder einer Veräußerung von Anteilen an Belegschaften oder Investoren war keine Rede. Der Verkauf von Geschäftsanteilen war zwar zulässig, näheres sollte hingegen ein Gesetz zu einem späteren Zeitpunkt festlegen (Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, 8. März 1990: 107-108). Die Idee und Initiative zur Gründung der Treuhandanstalt ging von den Bürgerbewegungen am Runden Tisch aus (Luft 1992: 28). Dennoch stieß das erste Treuhandgesetz am Runden Tisch auf heftige Kritik. Insbesondere wurde kritisiert, daß die von Bündnis 90 (Anfang Februar aus dem Neuen Forum, Demokratie Jetzt und der Initiative Freiheit und Menschenrechte gebildet) und der SPD-Ost geforderte Aufteilung des Volksvermögens auf die Gesamtbevölkerung der DDR über Anteilscheine nicht mit in das Gesetz aufgenommen worden war. Insgesamt hatte die Regierung Modrow - auch bedingt durch die kurze Zeit, die zur Verfügung stand - keine in sich schlüssige oder konkret ausgearbeitete ökonomische Konzeption . Die Verabschiedung des ersten Treuhandgesetzes und die gesetzli-che Ermöglichung der Umwandlung von staatlichen Kombinaten in privatwirtschaftliche Rechtsformen westlicher Art entstand nicht zuletzt auf starken Druck der Bonner Regierung, die die Gewäh-rung dringend benötigter Kredite von marktwirtschaftlichen Bedingungen und einer Privatisie-rungspolitik in der DDR abhängig machte (Neugebauer/Hüning 1991: 7).

1.2. Wirtschaftskonzeptionen der Bürgerbewegungen

Auch die Gruppierungen der Bürgerbewegungen entwickelten Vorstellungen darüber, wie Gemeineigentum als zentrale Eigentumsform im Interesse der Bür-ger der DDR erhalten werden könnte. Früh erkannte man die sich abzuzeichnende Gefahr einer Übertragung der Vermögenswerte der volkseigenen Betriebe fast ausschließlich an westdeut-sche Unternehmer. Bereits Anfang 1989 hatte sich eine lose Gruppe um den Theologen Wolfgang Ullmann, den promovierten Ingenieur Matthias Artzt und den Physiker Gerd Gebhardt zu einem Gesprächskreis mit dem Namen „Freies Forschungskollegium Selbstorganisation" gebildet. Ullmann war zugleich Mitinitiator der Bürgerbewegung ´Demokratie Jetzt´, die am 12. September 1989 mit einem „Aufruf zur Einmischung in eigener Sache" gegründet wurde und eine Demokratisierung des Sozialismus, sowie die umfassende Verwirklichung der Werte der sozialisitischen Arbeiterbewegung wie ´soziale Gerechtigkeit´ und ´solidarische Gesellschhaftlichkeit´ anstrebte (vgl. Kemmler 1994: 69). Dieser Aufruf wurde neben Ullmann auch von den Bürgerrechtlern Konrad Weiß und Ulrike Poppe unterzeichnet.

Das Kollegium Selbstorganisation erfüllte nach der Gründung des Runden Tisches Anfang Dezember eine Beratungsfunktion für Ullmann und ´Demokratie Jetzt´. Dem Forschungskollegium ging es nach dem Machtverlust des Honecker-Regimes im November 1989 vor allem darum, das erkämpfte Selbstbestimmungsrecht nicht erneut und diesmal an das westliche Kapital zu verlieren. Insbesondere sollte das Selbstbestimmungsrecht der DDR-Bevölkerung nicht durch einen Verkauf von Grund und Boden oder eine Reprivatisierung des gesellschaftlichen Eigentums gefährdet werden. Zur Sicherung des Volkseigentums schlug das Forschungskollegium am 11. Februar 1990 die Gründung einer Treuhandgesellschaft vor. Am folgenden Tag übernahm der Runde Tisch den ausformulierten Antrag und richtete die Forderung als Vorlage 12/29 an den Ministerpräsidenten der DDR Hans Modrow (in: Kemmler 1990: 371 - 373). Der Kern des Konzepts bestand in der individuellen Aufteilung des Volksvermögens auf die DDR-Bevölkerung durch Verschenken. Das gesamte Volkseigentum sollte auf die Treuhand übertragen werden. Nach den vorläufigen Plänen war ein Viertel zur Verteilung auf die Bevölkerung mittels Anteilscheinen gedacht, ein weiteres Viertel sollte staatliches oder kommunales Eigentum werden, ein dritter Teil für kulturelle, soziale und ökologische Zwecke Verwendung finden und der Rest zur Entschädigung zu Unrecht Enteigneter bzw. zur Schuldenbegleichung zur Verfügung stehen (Fischer/ Schröter 1993: 19).

1.3. Wirtschaftsdemokratische Konzepte der SDP in der DDR

Nach mehrmonatigen Vorbereitungen wurde die Sozialdemokratische Partei der DDR (SDP) am 7. Oktober 1989 in Schwante von insgesamt 43 Personen, darunter u.a. Markus Meckel, Stephan Hilsberg und Ibrahim Böhme gegründet. Bereits in einem Initiativaufruf im Vorfeld der Parteigründung wurde als Ziel eine ökologisch orientierte soziale Demokratie gefordert und neben der Freiheit der Gewerkschaften auch eine „Demokratisierung der Strukturen des Wirtschaftslebens" und eine „soziale Marktwirtschaft mit striktem Monopolverbot zur Ver- hinderung undemokratischer Konzentration ökonomischer Macht" angestrebt (Neugebauer/Niedbalski 1992: 28). Diese Forderungen fanden dann auch Eingang in das vor allem von Markus Meckel formulierte Programm der SDP. Dort wurde in dem Kapitel ´Wirtschaftsdemokratie´ als Leitbegriffe des notwendigen Umbaus der Wirtschaftsstrukturen die Werte ´ökologisch´, ´sozial´ und ´demokratisch´ genannt. Handlungsleitend sollte eine vielfältig gemischte Wirtschaftsstruktur sein, in der unterschiedliche Eigentumsformen wie Genossenschaften, Arbeiterselbstverwaltungen, staatliches und privates Eigentum, sowie Beteiligungen in unterschiedlichem Mischverhältnis nebeneinander existieren. Für die Demokratisierung des Wirtschaftslebens seien ein klares Mitbestimmungsrecht, freie Gewerkschaften, Streikrecht, sowie die Förderung und das Ausprobieren neuer, demokratischer Unternehmensformen erforderlich. Zusammenfassend heißt es: „Wir treten ein für Mitbestimmung, Kapitalbeteiligung und Selbstverwaltung als Wege zur Demokratisierung der Wirtschaft" (Neugebauer/Niedbalski 1992: 37). Am Runden Tisch sprach sich dementsprechend u.a. Wolfgang Thierse als Vertreter der Ost-SPD zwar für den freien Verkauf von Unter-nehmensanteilen aus, forderte aber als begleitende Maßnahme die Verteilung von Anteilsscheinen der Unternehmen in Höhe von 40.000 Mark der DDR für jeden DDR-Bürger. Ob auch Ge-schäftsanteile an externe Investoren verkauft werden sollten, hätte der Zustimmung der jeweili-gen Belegschaft bedurft. Der Grundgedanke dieses Vorschlags lag darin, daß nicht übergeord-nete Gremien, sondern die Bevölkerung über das gemeinschaftliche Eigentum entscheiden sollte (Neugebauer/Hüning 1991: 8).

Diese Forderung der Bürgerbewegung und der SPD der DDR am runden Tisch nach Demokratisierung und Übertragung des Volksvermögens auf die Bevölkerung fand keinen Eingang mehr in das 1.Treuhandgesetz der Modrow-Regierung. Die Gründe dafür lagen neben der Kürze der Zeit und der sich überschlagenden Ereignisse vor allem an der Bewertungsfrage des Volksvermögens, das zwar verschiedentlich auf zwischen 1,6 und 7,7 Billionen DM geschätzt wurde. Diese Angaben mußten jedoch zu diesem Zeitpunkt als völlig unzuverlässig gelten. Ebenso hätte eine ordnungspolitische Festlegung auf die Verteilung des Volksvermögens und der damit verbundenen Mitbestimmungsrechte mutmaßlich sowohl künftige Investoren, als auch die Bonner Regierung (Kredite, Solidarbeitrag) abgeschreckt. Nichtzuletzt wollte man die baldigen Volkskammerwahlen abwarten und einer künftigen gewählten Regierung nicht vorgreifen (Luft 1992: 53-54).

1.4. Das Beteiligungsmodell Robotron in Sömmerda

Bei dem von den Beschäftigten des Büromaschinenwerks in Sömmerda und der IG-Metall erarbeiteten Konzept ging es um die Entwicklung eines Modells, bei dem die Eigen-tumsrechte den Beschäftigten übertragen werden sollten. Da dieses Modell beispielhaften Cha-rakter trägt und an einem Einzelfall exemplarisch darstellt, wie Betriebe aus Staatseigentum in eine Form von Gemeinschaftseigentum umgewandelt werden können, sei dieses Modell kurz dargestellt. Nach der vorgeschlagenen Satzung des "Gesamthandfonds für Robotron Sömmerda" sollte ein Verein gegründet werden, der als rechtlicher Träger zwar für die Beschäftigten die Anteile am Unternehmen hält, aber nicht an der laufenden Geschäftstätigkeit beteiligt ist (Wiss. Zeitung der Humbold-Universität 2/1991: 144-147). Jeder Beschäftigte ist aufgrund seines Beschäftigungsverhältnisses auch Mitglied des Trägervereins. Als Organe des Vereins fungieren die Mitgliederversammlung (MV) und der Vorstand.

Nach § 6 der Satzung setzt sich in der Modellvorstellung die MV aus Delegierten zusammen, wobei auf 100 Beschäftigte je ein Delegierter entfällt. Der Vorstand besteht aus drei Mitglie-dern. Ein geschäftsführendes Mitglied des Vorstandes wird von der MV gewählt. Ein weiterer Angehöriger des Vorstandes und zugleich Vorstandsvorsitzender wird als ein Vertreter des Betriebsrates in das Gremium entsandt. Das dritte Mitglied wird dann von den beiden anderen in gegenseitigem Einvernehmen bestimmt. Die Eigentumsstruktur soll so beschaffen sein, daß dem Verein und damit der Belegschaft 75% des Betriebskapital übertragen werden und 25% der Treuhandanstalt zur Veräußerung an Banken oder Westunternehmen verbleiben. Die Anteile der Beschäftigten sind nach dem Konzept nicht frei verfügbar, sondern werden von dem Verein in Form des "Eigentums zur gesamten Hand" treuhänderisch verwaltet. Damit ist sichergestellt, daß nicht einzelne Betriebsangehörige ihre Anteile an Dritte veräußern und damit das Prinzip der Gleichberechtigung der Beschäftigten verletzt wird oder die Kapital-anteile beliebig aufgesplittert werden. Das individuelle Recht auf eine Dividende im Sinne einer Gewinnbeteiligung bleibt davon unberührt. Um bei der starken Stellung der Beschäftigten eine Neutralität und Kompetenz der Geschäfts-führung und des Vorstandes zu gewährleisten, können nach § 7 des Statuts nur unternehmensex-terne und fachlich hochqualifizierte Vertreter geschäftsführende Vorstandsmitglieder werden. Mit diesem Kriterium hoffte man, die Attraktivität für die finanzielle Beteiligung externer Inve-storen auch bei einem Minderheitsstatus sicherstellen zu können. Mit dem beispielhaften Modell Robotron/ Sömmerda sollte das Ziel erreicht werden, das zuvor anonyme Volkseigentum nicht in ein für die Beschäftigten ebenso anonymes Konzerneigen-tum umzuwandeln, sondern für die Belegschaften zu sichern und konkret erfahrbar zu machen. Ein bloßer Wechsel der vorherigen Parteiherrschaft durch die SED und ihre Organe hin zur Kapitalherrschaft durch Westkonzerne sollte vermieden werden. Durch die Einführung von zu-vor nicht vorhandenen, weitgehende Mitbestimmungsregelungen sollten die Beschäftigten wesentlich an den Entscheidungen in ihrem Unternehmen beteiligt werden. Um Investitionen von externen Teilhabern aber dennoch zu ermöglichen, sah das Modell zugleich auch eine Öffnung und Beteiligung für westliche Investoren vor. Das Sömmerda-Modell fand die ausdrückliche Unterstützung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Nach den Vorstellungen des DGB sollte vor einer Übertragung des Modells auf die gesamte Metallindustrie der DDR das Konzept als Pilotprojekt bei Robotron in Sömmerda initiiert werden (vgl. Kemmler 1994: 241). Der Bundesverband der Arbeitgeberverbände lehnte dieses Modell hingegen entschieden ab, weil man eine Überparität der Arbeitnehmer zu erkennen glaubte und unterstellte "kollektivistische Machtansprüche" (Handelsblatt Nr. 65, 02.04.1990). Von diesem Modell gehe eine Behinderung der freien und sozialen Marktwirtschaft aus und es sei deshalb in der Bundesrepublik nicht zu realisieren. Dementgegen stieß das Konzept bei der Regierung Modrow noch auf Sympathie und Unterstützung und wurde als Privatisierungsalternative be-grüßt (Handelsblatt Nr.62: 28.03.1990). Nach dem Regierungswechsel in der DDR verlor das Modell jedoch die politische Unterstützung und wurde von der Treuhandanstalt abgelehnt.

1.5. Der Übergang zu einer reiner Privatisierungsstrategie

Mit dem Wahlsieg der ‘Allianz für Deutschland´ am 18.März 1990 gab es für eine neue und eigenständige Wirtschaftspolitik zwischen dem westlichen Modell einer freien Marktwirtschaft und den überkommenen Strukturen einer restriktiven Planwirtschaft in der Volkskammer keine Mehrheit mehr. Offenbar hegten zu diesem Zeitpunkt weite Teile der Bevölkerung der DDR eine große Skepsis gegenüber allen Wirtschaftsstrukturen, die auch nur entfernt eine Affinität zu sozialistischen Traditionen aufwiesen. Stattdessen schien eine Übernahme des westlichen Wirt-schaftssystems als Garant einer möglichst raschen Anpassung der Lebensverhältnisse und des Konsumstandards an das Niveau der westlichen Industrieländer. Negative Auswirkun-gen dieses vermeintlich einzig möglichen Kurses wie Arbeitslosigkeit, Schließung von Betrieben, Abhängigkeit von Sozialhilfe etc. wurden verdrängt oder negiert.

Dieser Trend wurde als Bestätigung der Politik konservativer westlicher Parteien von den Medien und insbesondere von der Bundesregierung aufgegriffen und nachhaltig mit Versprechungen gefördert. Einzelpersönlichkeiten wie z.B. der damalige Kanzlerkandidat der SPD Oskar Lafontaine, die diesen ökonomischen Ein-heitskurs kritisch kommentierten und auf die enormen Folgekosten hinwiesen, wurden als Querulanten und Pessimisten abgetan oder als unverbesserliche Anhänger überkommener und historisch widerlegter Auffassungen diskriminiert. Dementsprechend galten die ökonomischen Maßnahmen der Regierung Modrow in der Öffentlichkeit nicht als ernsthafte Reformversuche, sondern als verzweifelter, unfreiwilliger und zum Scheitern verurteilter Versuch, das sozialisti-sche Projekt zu retten. Den Bürgerbewegungen blieb offensichtlich für eine tiefere Verankerung in breiten Bevölkerungsschichten bis zum März 1990 zu wenig Zeit. Sie hatten ihre auch von den Medien vermittelte Hauptaufgabe als Garant eines friedlichen Systemwechsels bereits weitgehend erfüllt. Somit wurden auch die von den Bürgerbewegungen entwickelten innovativen Wirtschaftskonzepte nicht weiterverfolgt. Unter der Regierung de Maizièrs folgte dann der Kurswechsel hin zu einer Politik der reinen Privatisierung und einer schnellstmöglichen und vollständigen Übernahme des westlichen Marktmodells. Von bundesrepublikanischen Politikern und Medien wurde dieser Kurs als Ga-rant einer möglichst raschen Anpassung an den westlichen Lebensstandard ausgegeben. Der politischen Vereinigung sollte auch ein ökonomischer Zusammenschluß entsprechen. Insofern war es nur folgerichtig, daß am 17. Juni 1990 das vom Bundesministerium der Wirtschaft in Bonn zumindest in Teilen vorformulierte (vgl. Fischer/Schröter 1993: 35) zweite Treuhandgesetz von der Volkskammer mit der Zielsetzung einer uneingeschränkten Privatisierung verabschiedet wurde (Sinn/Sinn 1991: 102; vgl. Neugebauer 1991: 9). Allerdings blieben die Unternehmensverkäufe bis Ende 1990 marginal. Neun Monate nach ih-rer Gründung konnte die Treuhandanstalt bis Ende Dezember 1990 nur 200 Betriebe von über 10.000 zum Verkauf gebotenen Betrieben veräußern (Neugebauer 1991: 17). Die Gründe für den schleppenden Verkauf lagen in der mangelnden Attraktivität durch Ineffizienz, Überschul-dung und den hohen Sanierungsbedarf der ostdeutschen Betriebe. Die Ineffizienz gegenüber den konkurrierenden Westunternehmen wurde verursacht durch:

- das Wegbrechen der osteuropäischen Märkte, spätestens seit Einführung der DM in der DDR; die Länder des RGW sahen sich außerstande in Westwährung zu bezahlen; dieser Umstand hatte einen eklatanten Ausfall der Nachfrage für die Ostprodukte zur Folge;

- veraltete Produktionsanlagen, die nach westlichen Maßstäben oft nur noch Schrottwert hatten;

- ungeklärte Eigentumsverhältnisse;

- den hohen Sanierungsbedarf, z.B. für eine umweltgerechte Produktion;

- Überschuldung (Altlasten);

- unterentwickelte Infrastruktur (Verkehrswesen, Telefon etc.).

Die geringen Verkaufschancen in der ersten Phase der Privatisierungspolitik führten zu einer radikalen Preissenkung und Neuveranlagung der Betriebe durch die Treuhand. Nun ging der Verkauf zwar zügiger vonstatten, führte aber faktisch zu einer Übertragung der Vermögenswerte an westdeutsche Unternehmen. So wurden zwar bis September 1992 von rund 13. 800 zu privatisierenden Betrieben 9.340 verkauft. Davon gingen aber über 80% in westliche Hände (vgl. Die Wirtschaft 01.10.1992: 14). In der Bevölkerung der fünf neuen Länder entstand deshalb der weit verbreitete Eindruck eines Ausverkaufs der DDR und einer Verschleuderung des Volksvermögens. Die Gründe für die fast auschließliche Begünstigung von Westinvestoren sind naheliegend: die Bürger der DDR hatten keine für den Kauf erforderlichen Rücklagen erwerben können, da die auf geringe Lebenshaltungskosten ausgelegten Gehälter eine Anhäufung von größeren Vermögenssummen zu DDR-Zeiten unmöglich machten. Das Zurücklegen von größeren Ersparnissen war zudem auch sinnlos, da aufgrund des beschränkten Warenangebots oder sonstiger Investitionsmöglichkeiten gar kein Anreiz für Ersparnisse vorhanden war. Im Zusammenhang des Privatisierungsprozesses mußte dieser Umstand dann zwangsläufig dazu führen, daß die Bürger der neuen Bundesländer vom Eigentum und der Verfügungsgewalt über ihre Betriebe weitgehend ausgeschlossen wurden. Der daraus folgende 'Ausverkauf der DDR' und die unbefriedigenden Ergebnisse der Privatisie-rung (geringer Verkaufspreis, geringe Investitionsneigung) belegten rasch die mangelnde Tragfähigkeit des Konzepts der Treuhandanstalt und führten zu einer erweiterten Privatisierungs-strategie, die jedoch angesichts der Notwendigkeiten einer veränderten Struktur- und Regionalpolitik beschränkt blieb.

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