Aufgrund des zurückhaltenden Kaufinteresses von Westinvestoren und der Übertragung des Produktivkapitals fast ausschließlich an externe Investoren wurden von der Treuhand seit An-fang 1991 Modelle aufgegriffen, die geeignet waren, die Betriebe an Teile und Gruppen der jeweiligen Führungskräfte oder an die Belegschaften zu verkaufen. Hierbei griff man auf eine Jahrzehnte lang geübte Praxis in den angelsächsischen Ländern zurück.
In den USA und zunehmend auch in Großbritannien wurden seit Mitte der siebziger Jahre Großkonzerne durch Ausgliederung und Abspaltungen von Unternehmensteilen dezentralisiert (Kessel 1991:5). Bei diesen Abspaltungen und herkömmlichen Unternehmensverkäufen über-nahmen immer häufiger nicht mehr externe Kapital- gesellschaften, sondern das bisherige Mana-gement die Unternehmen. Solche Verkäufe von Unternehmen oder einzelnen Betriebsteilen wie z.B. Tochtergesellschaften an das Management nannte man Management-Buy-Out (MBO). Begünstigt wurde dieser Prozeß durch eine Umorientierung der Banken bei der Kreditvergabe, die sich nicht mehr an festen Sicherheiten wie Kapitalvermögen orientierten, sondern am Bar-vermögen und der Gewinnentwicklung (cash-flow). Dies führte in den USA in der Vergangen-heit häufig dazu, daß MBOs zum Spekulationsobjekt der Kreditgeber gerieten. So erzielte eine New Yorker Finanz- und Kapitalgesellschaft durch ihre Finanzierungsbeteiligung an Manage-ment-Buy-Outs 1986 Erträge in Höhe von 38 Milliarden US-Dollar (Keller 1991:8). Zahlreiche MBOs scheiterten aufgrund solcher spekulativ überhöhter Kreditvergaben und komplizierter Transaktionskonstruktionen. In der Bundesrepublik versteht man unter MBO die Unternehmens-Übernahme durch interne Führungskräfte hauptsächlich in mittelständischen Familienbetrieben, in denen keine familiäre Nachfolge möglich ist oder die aus Kapitalmangel in Finanzierungsprobleme geraten. Ziel sol-cher MBOs ist die Unternehmensfortführung unter Beibehaltung der Unternehmensidentität. In den fünf neuen Ländern versprach man sich von der Forcierung von MBOs folgende Vorteile:
- die Kenntnisse und Erfahrungen der bisherigen Führungskräfte bleiben dem Betrieb erhalten; das Detailwissen über einzelne Betriebsvorgänge und den Zugang zur Mentalität der Mitarbeiter müßte sich ein externer Investor erst mühsam aneignen;
- die Motivation, den Betrieb zu erhalten, ist bei bereits langjährig Beschäftigten auch aus per-sönlichen Gründen besonders hoch;
- MBOs sind eine Möglichkeit, Betriebe zu verkaufen, die sonst nicht oder zumindest nicht in einem absehbaren Zeitraum zu veräußern wären; da solche Betriebe aufgrund ungeklärter Eigentumsverhältnisse nicht kreditwürdig sind, fehlen die Mittel und Voraussetzungen für drin-gend erforderliche Investitionen oder Sanierungsmaßnahmen;
- die Betriebe bleiben im Besitz von Bürgern der östlichen Bundesländer;
- zudem versprach sich die Treuhandanstalt die strukturpolitisch als notwendig erachtete Herausbildung eines starken Mittelstandes.
Nach einem "Orientierungsrahmen" der Treuhand vom Mai 1991 wurde es offizielle Zielsetzung, MBO-Kaufangebote bei Gleichwertigkeit mit anderen Angeboten eindeutig zu bevorzugen. Of-fensichtlich drang diese Zielvorgabe in der Privatisierungspraxis nur langsam an die Mitarbeiter in den Treuhandniederlassungen vor. Denn in einer Untersuchung der Universität Pots-dam aus dem Jahre 1991 gaben 46% der Betriebe als Haupthindernis einer MBO-Umwandlung die verzögernde Haltung der Treuhand an (Gloede 1991: 20; vgl. Beyer 1992: 11). Mit dem verstärkten Privatisierungsdruck aufgrund der stark nachlassenden Nachfrage aus dem Westen konnten bis zur Auflösung der Treuhandanstalt zum Ende 1994 von den fast 14 000 zu privatisierenden Unternehmen über 3 000 als MBO veräußert werden (Treuhandanstalt Informationen, Ausgabe 21, Dezember 1994: 11). Somit gingen zwar 21,6% der Treuhandunternehmen an ehemalige ostdeutsche Manager (Weltwoche, 5.1.1995). Am Wert des Produktivvermögens gemessen konnte die ostdeutsche Bevölkerung jedoch nur weniger als fünf Prozent der Betriebsverkäufe von der Treuhand auslösen. (Die Zeit, 24.2.1995, S. 24). Demnach wurden über 95% des ehemaligen ´Volksvermögens´ der DDR an westdeutsche oder internationale Unternehmer und Konzerne übertragen.
In den neuen Bundesländern verteilen sich die MBOs regional unterschiedlich. Der größte Anteil entfällt auf Sachsen mit 27 % und damit ca. 800 MBOs. Mit Ausnahme Berlins bestehen in Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt je 17 %, in Brandenburg 16% und damit je ca. 500 MBOs pro Bundesland. Allein in Ost-Berlin wurden annähernd 200 Betriebe als MBOs privatisiert (Das Neue Unternehmen DNU, 4/1994: 1). Der Verkauf über MBO geschieht vor allem in Branchen, die nicht besonders investitionsintensiv sind und keiner hohen Kapitalausstattung bedürfen. Das sind vor allem das Bau- und Baunebengewerbe und die Dienstleistungen (Gloede 1991: 15). Nach der Studie von Gloede bewegen sich die meisten MBO-Betriebe in einer Größenordnung von bis zu 150 Be-schäftigten. Für die Übernahme von Großunternehmen dürfte das benötigte Eigenkapital von ostdeutschen Führungskräften im Regelfall nicht ausreichen. Nach der auf Sachsen bezogenen Erhebung der Universität Potsdam verteilen sich die Geschäftsanteile bei 71,8% der Firmen auf 3 oder mehr Beschäftigte. In deutlich über 50% der untersuchten Betriebe ist auch die mittlere Führung oder die Belegschaft gesellschaftsrechtlich beteiligt. In 10,9% der Unternehmen hält die Belegschaft sogar mehrheitlich Anteile, womit es in sich in diesen Fällen um Beleg-schafts-Buy-Outs handelt (ebd.).
Schwierigkeiten ergeben sich bei einem MBO aus den zwangsweise mangelnden Erfahrungen der ostdeutschen Führungskräfte mit Marktwirtschaft und Konkurrenzbetrieben. Eine Schwä-che besteht auch in den Kapital- und Investitionsdefiziten, die einzelne aufgrund geringer Spar-guthaben nur mit sehr hoher Verschuldung und großem persönlichen Risiko ausgleichen können. Zudem handelt es sich bei MBO-Betrieben häufig um schwerverkäufliche Problembetriebe. Es ist davon auszugehen, daß die attraktiveren und gewinnträchtigen Unternehmen längst durch externe kapitalkräftige Investoren aus den alten Bundesländern aufgekauft wurden, bevor die Treuhand MBOs als Privatisierungsalternative überhaupt in Erwägung zog (Beyer 1992:7). Den MBO-Managern fiel somit häufig die undankbare Aufgabe zu, mit wenig Geld und Erfahrung Problembetriebe zu sanieren. Insgesamt sind MBOs eine Möglichkeit, auch ostdeutschen Bürgern Eigentum von Betrieben und an Produktivkapital zu überantworten. Sie bieten darüberhinaus auch gewisse Möglichkeiten einer Enthierarchisierung der Unterneh-mensstruktur, wenn an dem Konzept auch mittlere Führungskräfte und Belegschaften beteiligt werden. Wenn ein MBO auf nur einen oder zwei Manager beschränkt bleibt oder in Verbindung mit einem Einkauf eines westdeutschen Unternehmers (Management-Buy-In) erfolgt, ist es für die Beschäftigten allerdings kaum relevant, ob die Weisungen ihres Firmenchefs in sächsischem oder schwäbischem Dialekt erfolgen.
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