4. Schlußfolgerungen

Die bisherigen Erfahrungen legen nahe, daß sowohl Managementbetriebe, Unternehmen mit MKB und Belegschaftsbetriebe sich keineswegs schlechter unter marktwirtschaftlichen Bedingungen behaupten als herkömmliche Unternehmen, die im Besitz eines Westkonzerns oder eines einzelnen Privatunternehmers sind. Insofern sind diese in verschiede-nen Ausprägungen gemeinschaftlichen Betriebe grundsätzlich eine Alternative zum Ausverkauf des ostdeutschen Betriebsvermögens an externe Westinvestoren. Bestehende ideologische Vorbehalte gegenüber verschieden gearteten Kollektivbetrieben, aber auch unberechtigte Bedenken hinsichtlich der Funktionsfähigkeit und notwendig geringeren Effektivität oder Praktikabilität sollten aufgrund der zahlreichen Praxisbeispiele, die das Gegenteil belegen, korrigiert werden.

Die bisherige Praxis zahlreicher MBOs mit MKB und Belegschafts-Buy-Outs macht deutlich, daß diese Betriebsformen in vielen Fällen eine Alternative zur Privatisierung in Form eines Ver-kaufs an Westunternehmer oder zur Auflösung des Betriebs sein kann. Entscheidend ist jedoch bei allen Formen die Absicherung der beteiligten Arbeitnehmer. Es müßte sichergestellt werden, daß bei einer finanziellen Beteiligung der Beschäftigten diese in einem nicht aus-zuschließenden Konkursfall, zusätzlich zum Verlust ihres Arbeitsplatzes, nicht auch noch eventuelle Einlagen gerade in dem Augenblick verlieren, in dem sie dieser bedürfen. Denkbare Formen der Risikoabsicherung sind Bürgschaften der Treuhandnachfolgeorganisationen, zu gründende Risikoversicherungen und Bürgschaften des Bundes oder der Länder. Absicherungen durch Lan-desbürgschaften existieren bereits. Für die Kapitalanteile der Beschäftigten der IMO in Leipzig bürgt im Konkursfall das Land Sachsen. Für die Arbeitnehmer ist somit ein Risiko ihrer finanziellen Beteiligung ausgeschlossen. Seit 1994 bürgt auch der Berliner Senat zu 80% für Arbeitnehmerbeteiligungen an Berliner Betrieben. Insgesamt stehen dafür 50 Millionen DM zur Verfügung.

Außer Bürgschaften bedarf es darüber hinaus zahlreicher gesetzlicher Regelungen insbesondere für Belegschaftsbetriebe. Aufgrund der gesamtgesellschaftlichen Vorteile wie dem Erhalt von existenzgefährdeten Firmen, damit auch von Arbeitsplätzen und einer sozial gerechteren Vertei-lung des Produktivvermögens sind staatliche Subventionen in Form von Steuerermäßigungen für Mitarbeitergesellschaften dringend geboten. In den USA werden beispielsweise ESOPs seit vielen Jahren durch steuerliche Vorteile in Höhe von mehreren Milliarden US-Dollar jährlich unterstützt (vgl. Treichel 1989: 26). Es besteht zudem auch die Notwendigkeit, den Belegschaftsbetrieben entsprechende Rechtsformen zu entwickeln. So sieht das GmbH-Gesetz zwar grundsätzlich keine zahlenmäßige Begrenzung der Gesellschafter vor, ist aber von der Konzeption auf einige wenige angelegt. Die Zusammenkunft einer Gesellschafterversammlung, auf der alle betriebsrelevanten Entscheidungen gefaßt werden müssen, ist z.B. mehrmals jährlich in Unternehmen mit mehre-ren hundert Gesellschaftern kaum praktikabel. Als Gesellschafter laufen die Beschäftigten überdies Gefahr, ihren rechtlichen Arbeitnehmerstatus und ihre damit verbundene Arbeitslo-senversicherung etc. zu verlieren. Die Gründung eines Vereins würde sich zwar aufgrund der vorgeschriebenen demokratischen Entscheidungsstruktur und der einfach zu handhabenden Mitgliedschaft grundsätzlich anbieten. Eine Eintragung in das Vereinsregister als Verein bürger-lichen Rechts nach § 21 BGB ist aber wirtschaftlichen Unternehmen untersagt, da nach den ge-setzlichen Vorgaben ein Verein keine ökonomische und gewinnorientierte Zielsetzung haben darf. Mit dieser Begründung wurde 1972 dem "Verein der Beschäftigten der Glashütte Süß-muth e.V." die Eintragung in das Vereinsregister und damit die Rechtsfähigkeit versagt (vgl. Fabian 1972: 16-17; vgl. auch Fabian 1972: 96-98). Schon damals wurde offensichtlich, daß bei Betriebsübernahmen durch die Belegschaft zu den ökonomischen Problemen auch erhebli-che, bis heute ungelöste juristische Schwierigkeiten auftreten.

Grundsätzlich müßte bei Mitarbeiterbetrieben die doppelte Rechtsbeziehung der Beschäftigten einerseits als Arbeitnehmer und andererseits als Gesellschafter geklärt werden. Davon hängen sozialrechtliche Fragen wie die der Arbeitslosenversicherung oder gewerkschaftlichen Organi-sationsfähigkeit ab, aber auch z.B. die steuerliche Veranlagung als Arbeitnehmer oder als Teilhaber eines (Kollektiv-) Unternehmens. Letztendlich müssen Belegschaftsbetriebe politisch gewollt sein. Nur wenn es gelingt, die Zu-stimmung breiter Bevölkerungsteile für gemeinschaftliche Wirtschaftsunternehmen als gesellschaftlich wünschenswert zu gewinnen, ist eine Durchsetzung von Mitarbeitergesellschaften auf breiter Basis durchführbar. In diesem Zusammenhang sind besonders die Par-teien gefordert. Es blieb den Grünen/Bündnis 90 vorbehalten, im Vereinigungsprozeß die Notwendigkeit einer breiten Streuung des volkseigenen Vermögens zu betonen und zu fordern, daß "die ehemaligen BürgerInnen der DDR einklagbare Anteilsrechte am früheren Volkseigentum erhalten" sollten (Die Grünen/Bündnis 90 1990: 14).

Die SPD hielt sich trotz ihres im Dezember 1989 in Berlin beschlossenen "Grundsatzprogramms" und den dort formulierten Forderungen einer "Demokratisierung der Wirtschaft" und einer "Beteiligung aller am Produktivvermögen" (Vorstand der SPD 1990: 41) in dieser Frage bedeckt. Auch bei der nur wenige Monate später erfolgten Umverteilung des Produktivvermögens der DDR in die Hände einzelner Privatunter-nehmer hielt sich die SPD mit entsprechenden Alternativkonzeptionen merkwürdigerweise zu-rück. Es gelang der SPD in dem entscheidenden historischen Augenblick der Neuordnung des Produktivkaptials der DDR nicht, die in ihrem Grundsatzprogramm formulierten wirtschafts-demokratischen Vorgaben inhaltlich zu füllen.

Auch wenn durch den Privatisierungskurs der Treuhand der größte Teil des Volksvermögens der DDR mittlerweile an Westinvestoren verkauft oder übertragen wurde, stellt sich für den Rest der bei den Nachfolgeorganisationen der Treuhand wie der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BVS) verbliebenen Betriebe die Frage, an wen das Produktivkapital veräußert werden soll. Ebenso wie ordnungspolitische Entscheidungen, die in der Euphorie des Vereinigungsprozesses 1990 gefällt wurden, nicht für alle Zeiten Gültigkeit beanspruchen können, ist die Fragestellung von grundätzlicher Relevanz, ob das Produktivkapital der noch existierenden ehemaligen DDR-Betriebe nicht denen gehören sollte, die es erarbeitet haben, also den Bürgern der ehemaligen DDR. Wenn man einen Eigen-tumsanspruch der ehemaligen SED oder ähnlichen, längst nicht mehr existenten Organisationen ebenso ablehnt, wie die Besitzansprüche von Westkonzernen, ist die Forderung einer Übertra-gung der Eigentumstitel an die Belegschaften der Ostbetriebe durchaus naheliegend. Besonders interessant sind in diesem Zusammenhang Konzeptionen, bei denen das Kapitaleigentum der Belegschaft in einer Form übertragen wird, bei der das Kapital für die Be-schäftigten nicht im Sinne eines individuellen Eigentums beliebig verfügbar ist, sondern von ei-nem Verein oder einer Vermögensgesellschaft zur gesamten Hand treuhänderisch verwaltet wird. Mit diesen Maßnahmen könnte:

- erstens ein Verbleib der Betriebe in den Händen derer, die dort arbeiten, gewährleistet und ein Ausverkauf an westliche Unternehmen verhindert werden;

- zweitens eine ungleichmäßige Verteilung des Produktivkapitals in wenige Hände betriebsintern, aber auch gesamtgesellschaftlich vermieden werden, da die Möglichkeit eines Verkaufs und einer Aneignung individueller Kapitalanteile nicht gegeben ist;

- drittens eine Ungleichbehandlung der Beschäftigten einerseits in effektiven, kapitalintensiven Betrieben und anderseits in uneffektiven Firmen mit geringer Kapitalausstattung vermieden werden;

- viertens eine Aufsplitterung des Betriebsvermögens und damit eine Gefährdung des Unter-nehmens verhindert werden;

- fünftens eine Ausweitung der Mitbestimmungsrechte und eine Demokratisierung der Betriebe erzielt werden.

Sicher sind Belegschaftsmodelle keine Patentlösung für alle ökonomischen Probleme. Fragen der Sanierung, Altlasten, Verschuldung, notwendiger Investitionen etc. sind für Mitarbeiterbetriebe ebenso große Herausforderungen oder schwere Belastungen wie für einzelne Privatun-ternehmer. Allerdings kann nach den bisherigen Erfahrungen nicht behauptet werden, daß Mitarbeiterbetriebe oder MBOs mit MKB grundsätzlich unfähig oder prinzipiell weniger geeignet sind, diese Probleme zu bewältigen, als herkömmliche Unternehmen in Privatbesitz.

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