Bundesforschungsminister Jürgen Rüttgers stellte am 2. Mai seine Eckpunkte für ein sogenanntes Multimediagesetz vor. Danach will die Bundesregierung die volle Zulassungs-, Anmelde- und Gewerbefreiheit im Bereich Multimedia erlauben. Rüttgers zufolge müsse es genügen, ,,wenn sich ein Anbieter neuer Dienste den Gewerbeschein holt``, alles andere sei ,,überflüssige Bürokratie``. Die Zulassungsfreiheit soll auch für Angebote wie homeshopping und video on demand gelten. Dies steht potentiell im Widerspruch zu einer Klausel des konkurrierenden Länderentwurfs für einen Mediendienste-Staatsvertrag, die eine Zulassungsfreiheit beschränkt auf Dienste, die nicht ,,ausschließlich oder überwiegend aus Bewegtbilddarbietungen`` bestehen und von der jeweils zuständigen Landesmedienanstalt als einem Rundfunkprogramm gleichbedeutend eingestuft werden.
Minister Rüttgers definierte Multimedia als ,,erweiterte Formen der interaktiven Individualkommunikation, vielfältige Übergangsformen zwischen Individual- und Massenkommunikation sowie [...] elektronische Pressedienste``. Die Zuständigkeit liege daher beim Bund; Rüttgers beruft sich dabei auf die rechtliche Verantwortung des Bundes für die Entwicklung von Wirtschaft und Telekommunikation, auf ausschließliche, konkurrierende und Rahmen-Gesetzgebungskompetenzen, konkret für die Bereiche Post und Telekommunikation, Wirtschaftsrecht, gewerblichen Rechtsschutz, Urheberrecht, Verlagsrecht, bürgerliches Recht, Arbeitsrecht sowie die Verhütung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung.
Rüttgers stützt seine Absicht auf den Ende letzten Jahres vorgelegten Bericht des Technologierats, der empfohlen hatte, ein ,,national einheitliches Medienordnungsrecht`` zu schaffen, um zu einer ,,freien Entfaltung der Marktkräfte`` bei den neuen Medien zu gelangen. Regelungen seien auf ein ,,notwendiges Maß`` zu beschränken. Der Technologierat folgt in der Rundfunkdefinition einem eher restriktiven Konzept: Interaktive online-Dienste wie zum Beispiel teleshopping und video on demand rechnet er der Individualkommunikation zu, da sie als ,,wirtschaftliche Aktivitäten`` den Dienstleistungs- und Warenmarkt beeinflußten.
Der Technologierat will den Rundfunkbegriff konkretisieren, um trennscharf zwischen Rundfunk und anderen Diensten unterscheiden zu können. Dazu soll er zurückgeführt werden auf Dienste, deren Funktion darin besteht, die freie öffentliche Meinungsbildung zu sichern: ,,Dienste, denen keine publizistische Wirkung zukommt, sind von vornherein kein Rundfunk.`` Diese Abgrenzung, die in der Praxis nicht immer einfach zu treffen sein dürfte, könnte in einem bundesgesetzlichen Ordnungsrahmen fixiert werden, so der Vorschlag.
Ein solches Vorhaben erscheint jedoch ein zweifacher Hinsicht problematisch: Die Rundfunkdefinition ex negativo müßte dynamisch gestaltet werden, um dem schnellen Medienwandel angemessen zu sein. Damit wäre jedoch gegenüber dem von Kompetenzkonflikten zwischen Bund und Ländern geprägten status quo nicht viel gewonnen. Das Gesetz würde wahrscheinlich selbst zum neuen föderalen Konfliktfeld und schüfe neuen kommunikationspolitischen Kooperationsbedarf, seine Absicht verkehrte sich auf diese Weise ins gerade Gegenteil. Der Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder, Kurt Beck, reagierte jüngst auf das Rüttgers-Papier mit einer Warnung an den Bund, ,,seine eh schon weiten Kompetenzen nunmehr auch tief in den Bereich der Massenkommunikation auszuweiten``. Die Länder seien entschlossen, ihren rundfunkrechtlichtlichen Kompetenzbereich ,,gegebenenfalls bis zum Bundesverfassungsgericht zu verteidigen``. Beck schlug vor, die Zuständigkeitsgrenzen entlang der Unterscheidung von Massen- und Individualkommunikation zu ziehen; der Bund solle für Individualkommunikation zuständig sein, die Länder für Massenkommunikation.