Die Vier Jahreszeiten sind den Musikliebhabern und Gelegenheitshörern von heute so bekannt und vertraut wie kaum ein anderes Werk der "klassischen Musik": Vivaldis Zyklus gehört geradezu zur Alltagskultur. Um den Vier Jahreszeiten zu begegnen, müssen wir daher nicht erst einen Konzertsaal aufsuchen; auch der Kauf einer der vielen Einspielungen ist nicht vonnöten, denn für die Bekanntheit der Melodien sorgen in reichem Maße die Fernsehwerbung, Filmmusiken sowie Berieselung in edleren Geschäften, Museen und Restaurants. Der Schöpfer dieser Musik, der Komponist und Violinvirtuose Antonio Vivaldi aus dem Venedig des 17. und 18. Jahrhunderts, tritt da leicht in den Hintergrund. Da wir aber darauf trainiert werden, mit Vivaldis Musik vor allem Candlelight-Dinners, edles Parfum, Kostümfilme oder Pralinen zu assoziieren, werden wir - wenn wir uns überhaupt ein Bild des Komponisten machen - ihn uns wohl am ehesten wohlfrisiert und in Samt und Seide gekleidet vorstellen. Blättern wir aber weiter in den historischen Dokumenten, dann stoßen wir auf ganz andere Bilder Vivaldis: Ein Mann mit markanten Zügen und Hakennase begegnet uns, und wir erfahren dazu, daß Vivaldi ein komponierender Priester war, der sich rechtfertigen mußte, weil er keine Messen las, der ein moralisch zweifelhaftes Verhältnis mit einem jüngeren Schwesternpaar pflegte, das ihn auf zahlreichen Reisen begleitete, der sein Publikum als Violinvirtuose durch stupende Technik zu begeistern, aber auch zu erschrecken vermochte und den man daher kurz und prägnant den prete rosso, den rothaarigen Priester nannte. Was weiß man jenseits von Karikatur und offiziellem Porträt von Vivaldis Leben? Und welchen Stellenwert hat der Dauerbrenner Die Vier Jahreszeiten in Vivaldis Werk? Welche Techniken verwendete der so unterschiedlich Porträtierte, wenn es darum ging, mit Tönen zu malen? Und was haben die lieblichen Orte, an die uns der vielgereiste Komponist dabei führt, mit seiner Lebenswirklichkeit zu tun? C.N. |