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Die neuen medialen Technologien fordern heraus. Doch während sie die einen stimulieren, ihnen neue Möglichkeiten in Lehre und Forschung eröffnen, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit forcieren, das Tempo erhöhen, lösen sie bei anderen Abwehrreaktionen aus und haben angesichts verbreiteter Hilflosigkeit gehemmte, verpasste Entwicklungen zur Folge. Die Jobs wandern ab, dorthin, wo statt Hilflosigkeit Aufbruchstimmung herrscht und die Schritte in die Zukunft mutiger getan werden (z. B. Internet2).

Nur gleichgültig lassen sollten uns die neuen Technologien nicht. Sie sind nun einmal da, ob es uns passt oder nicht, und die nächste und übernächste Generation wächst damit auf. Noch können - und sollten - wir die Entwicklung mitgestalten. Welchen Beruf Sie auch immer wählen: eine massive Konfrontierung mit ihnen dürfte kaum ausbleiben.

Es braucht nicht alles gleichzeitig getan zu werden. Wählen Sie aus der Liste gemäss Ihren Neigungen und Vorlieben oder im Hinblick auf Ihre Berufsziele aus. Auch Fächerkombinationen können eine Rolle spielen, Geschichte/Kunstgeschichte, Geschichte/Informatik, Publizistik/Geschichte.

Einiges Grundsätzliche

Neue Dimensionen

Neue Dimensionen in dreierlei Hinsicht. Zum einen ist das World Wide Web, wenn global auch noch mit ungleicher Verteilung, ein - wie es der Name sagt - weltweites Gewebe. Brasilien liegt nicht weiter entfernt als Mecklenburg-Vorpommern. Vancouver ist ebenso nah wie Potsdam oder Helsinki. "Landesgeschichte" kann schon heute auch für uns japanische oder norwegische oder eben auch deutsche Landesgeschichte meinen. Allenthalben auf der Welt sind Universitäten, Institute, Einrichtungen mit ausgezeichneten Webseiten im Netz präsent. Kooperation über alle Grenzen hinweg bietet sich an. Nabelschau und Tellerrand sind obsolet. Was mit unserer Reiserei um den Globus längst begonnen hat, kann hier auf einzigartige Weise vertieft, vor- oder nachbereitet werden. "Mittelalter" ist nicht länger ausschliesslich "europäisches Mittelalter". Was meint "Mittelalter" gegebenenfalls in China, in Afrika südlich der Sahara, bei den australischen Aborigines?

Ausgefallene Themen? Mitnichten, und zwar keineswegs nur für bereits in globalen Dimensionen Denkende. Im November 1997 fand unter der Ägide der Euro-Atlantic Foundation am Center for Security Studies and Conflict Research der ETH im neutralen Zürich ein Workshop on Educational Modules in the Field of International Relations and Security statt. Unter - was Elfenbeinturm-Wissenschaftler nur anfänglich überraschte - reger Beteiligung ranghoher Militärs wurde diskutiert, inwiefern interkulturell angelegte Educational Modules Spannungen zwischen Menschen unterschiedlicher Geistesströmungen abbauen helfen beziehungsweise gar nicht erst entstehen lassen könnten. Als ein Beispiel diente der Hansekaufmann Georg Gisze, das ein vertieftes Verständnis zwischen Christentum und Islam zum Ziel hat. Lauf Serverabrufstatistik nehmen an dieser Lehr- und Lerneinheit tatsächlich immer wieder Menschen aus unterschiedlichsten christlichen und islamischen Ländern teil. - Es liegt an uns, das World Wide Web als mächtiges Werkzeug sinnvoll zu nutzen.

Zum anderen erlauben uns die neuen multimedialen Technologien, Geschichte endlich adäquater, auch menschlicher, attraktiver darzustellen. Hierbei heissen die neuen Dimensionen, die im Rahmen bisheriger Printmedien schwer oder gar nicht zu realisieren waren: Sprache, Töne, Laute, Musik, Farbenfülle, Handlungsabläufe in Echtzeit, Dreidimensionalität. Papiergeschichte ist stumm, immobil. Als ob Luther keine mächtige Sprache gehabt hätte und überdies Musik liebte. Als ob Vaubans Fortifikationsanlagen nur zweidimensional gewesen wären und man sie nicht auch einmal von der rückwärtigen Seite sehen, ihre Ausmasse überprüfen möchte. Als ob man die christlich-mittelalterliche Farbsymbolik in ihrer mentalitätshistorischen Entwicklung bis heute noch immer nur theoretisch erörtern müsste und sie nicht über rechnergestützte Farbanteilsanalysen auf dem Bildschirm elegant visualisieren könnte.

Wer findet, "attraktivere Gestaltung", "Visualisierung", Nutzung neuer medialer Technologien stünden im Aufgabenheft von Geschichtswissenschaftlern nicht obenan, möge bedenken, welche gesellschaftliche Aufgaben Historiker auch haben. Kann man sich wirklich damit herausreden, man hätte doch die Hausaufgaben gemacht, zum Beispiel die düsteren Kapitel über die "nachrichtenlosen Vermögen aus der Nazizeit" oder "Raubgold aus Deutschland" längst minutiös aufgearbeitet. Die entsprechenden Forschungsresultate lägen seit Jahren publiziert vor. Aber leider, leider wären sie nicht zur Kenntnis genommen worden. - Man muss seine Sachen auch verkaufen, will sagen eine Botschaft - so man denn eine hat - rüberbringen können. Der Elfenbeinturm allein genügt hierbei als Resonanzboden nicht.

Und zum dritten vermag nun endlich leichter zusammenzuwachsen, was zusammengehört: verschiedene Disziplinen über einer gemeinsamen Fragestellung. So nehmen wohl üblicherweise Historiker die Java-Programmierung für ein interaktives Eingabeformular zwecks rechnergestützten Farbanteilsanalysen nicht selbst vor. Wieso auch? Dafür gibt es Informatiker. Diese wiederum sind froh, wenn sie für ihre Programmierungstests, ihre Seminar- und Diplomarbeiten auf eine, in diesem Fall von Historikern erstellte Bilddatenbank mit Hunderten von Votivtafeln als sinnvolles Übungsmaterial zurückgreifen können. Ebenso reibungslos wie gegenseitig befruchtend verlief angesichts gemeinsamer Interessen im Hinblick auf das Vierjahreszeiten-Projekt die Zusammenarbeit mit Meteorologen der Universität Karlsruhe, mit empirischen Pädagogen der TU Braunschweig, mit Kunsthistorikern und Museumsfachleuten vom Herzog Anton Ulrich-Museum daselbst, mit Astronomen-Informatikern von der TU Berlin sowie mit Musikologen von der FU Berlin. Interurbane Interdisziplinarität: das Internet mit seinen Komponenten WWW, e-mail, telnet, ftp ermöglicht und stimuliert die Realisierung.

Learning on Demand

Lehren und Lernen werden sich erheblich ändern. Educational Modules stehen miteinander in Konkurrenz. Nicht länger muss und wird jede Universität ein komplettes Spektrum anbieten. Wer sich anhand dieser Module den Stoff selbst aneignet, sitzt nicht gleichzeitig in derzeit oft noch überfüllten Seminarräumen und Hörsälen. Die persönliche Betreuung über e-mail baut Probleme der anonymen Massenuniversität ab.

Teleteaching / Distancelearning erfordert von Lehrenden wie Lernenden sehr viel Engagement. Nur die besten (qualitativ prägnantesten, medienpädgogisch ausgefeiltesten, quantitativ ausgewogensten) Lehreinheiten haben im World Wide Web Aussicht auf Erfolg. Umgekehrt sind die Lernenden, anders als beim Frontalunterricht, stärker auf sich selbst angewiesen. Erhöhte Eigeninitiative und Selbstdisziplin werden indes aufgewogen durch zeitliche und räumliche Freiheit beim Learning on Demand: am Abend, übers Wochenende, nachts, zu zweit, zu dritt, am Urlaubsort. Lerneinheiten aus deutschen Landen kombiniert mit solchen aus Fernost, Australien, Island, angereichert mit Zusatzinformationen der Library of Congress, der New York Public Library, der Deutschen Bibliothek Frankfurt/Leipzig. Bildung für alle, jederzeit, überall. Nie liess sich die Forderung leichter realisieren.

An der Schnittstelle, wo Lernende selbst zu Lehrenden werden, sollten die neuen Forschungsergebnisse der WWW-Gemeinschaft durch elektronische Publikation möglichst umgehend zur Verfügung gestellt werden. Diplom- oder Magisterarbeiten, Dissertationen, Habilitationen brauchen nicht länger mit grossem Kostenaufwand für die Betreffenden und monate-, wenn nicht jahrelanger Verzögerung in Dutzenden von Papierexemplaren gedruckt und anschliessend magaziniert zu werden. Geänderte Prüfungsordnungen sehen in der Regel noch "die Ablieferung von vier vollständigen Exemplaren, die auf alterungsbeständigem, holz- und säurefreiem Papier ausgedruckt und dauerhaft haltbar gebunden sind" vor. Zwecks leichteren Auffindens sollte die Metatag-Normierung berücksichtigt werden.

Aufbruchstimmung

Wer möchte angesichts so vieler neuer Möglichkeiten länger abseits stehen? Dass alle Medaillen zwei Seiten haben, versteht sich dabei von selbst. Billige Vorwände allerdings zählen nicht als Argumente. Zu viel Müll im Web? Als ob selbst in guten Buchhandlungen nur lohnenswerte Lektüre aussliegen würde. Zu unübersichtlich? In einer Bibliothek muss ich auch das richtige Buch finden lernen. Ausrüstung und Online-Betrieb zu teuer? Den noch teureren Universitätsbetrieb für Frontalunterricht muss auch jemand bezahlen.

Nur eines macht mir Sorgen, das Tempo. Wie lange ist das durchzuhalten? Ich meine damit nicht das rasche Veralten von beruflichem Wissen und Können, von Lebenserfahrung. Diesbezüglich wirkt die oft unbekümmertere Haltung von Studierenden, ihre grössere Flexibilität und Anpassung dem Neuen gegenüber erfrischend und ansteckend. Niemand vergibt sich etwas, von diesen jungen Leuten zu lernen. Hier hat das Tempo sogar sein Gutes, indem es ihnen die Notwendigkeit des permanenten Lifelong Learning täglich drastisch vor Augen führt - und gleichzeitig alle Möglichkeiten bereit hält, stets auf dem neuesten Stand zu sein.

Verschnaufpausen? Zu sich finden? In sich gehen? Schon wer zu lange schläft, hat das ungute Gefühl, etwas verpasst zu haben, andere weiter vorn, sehr rasch uneinholbar weit vorn zu sehen. Privat und ohne allzu grossen Ehrgeiz könnte man wohl damit leben. Aber als Hochschullehrer, der sein Fach in Forschung und Lehre vertreten soll? Und zwar nicht gemäss dem Stand von gestern, sondern von heute und möglichst vorausschauend auch schon von morgen. Die "gute alte Zeit des Tellerrandes mit Mittagsschläfchen" ist unwiederbringlich vorbei. World Wide Web ist nun einmal worldwide, global, rund um die Uhr. Ich kann nicht so tun, als ob es die Educational Modules von nebenan oder aus Übersee nicht gäbe, als ob nicht längst Hunderte von Artikeln nur noch online publiziert würden, als ob der Austausch neuester Fachinformationen global nicht in den einschlägigen elektronischen Newsgroups vor sich ginge. Und auch zu Hause kann die Tätigkeit eines Historikers angesichts der heutigen Möglichkeiten nicht länger bloss zweidimensional und nur papieren sein.

Und dennoch: die Aufbruchstimmung wirkt ansteckend, ist stimulierend, zu kostbar, um die Hände resignierend in den Schoss zu legen. Nie wäre das Angebot, weltweit, online grösser gewesen, nie die Möglichkeiten sich auszudrücken, zu gestalten vielfältiger. Nutzen wir die Chancen und überlassen das Lamentieren anderen. Nutzen wir die Chancen nicht, tun's andere. Und ob die's besser können?

Zur weiteren Vertiefung : *
Historische Demographie II - eine Antwort auf die Herausforderung durch die neuen medialen Technologien (in HTML)
Historische Demographie II - eine Antwort auf die Herausforderung durch die neuen medialen Technologien (PDF-Version)
Hinweise und Empfehlungen zu den webbetreuten Lehrveranstaltungen (Voraussetzung jeglicher Teilnahme)
Kurzinterview (in: Forschung & Lehre)
Sparen ohne Vision (schon 1996!)
H-TEACH - an H-NET Discussion Network (H-NET = Humanities and Social Sciences OnLine)
H-MMEDIA - the H-NET network for teaching, research, and scholarship with technology
Institute for Advanced Technology in the Humanities (U Virginia)
Internet2 ( > 100 US-Universities)
Infobits; Information and Instruction Technology Monitoring; Institute for Academic Technology (U North Carolina)
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ZDM (Zentrum für Digitale Medien der FU)
Multimedia Akademie Friedrichshafen
Educational Modules mit zahlreichen weiteren Online-Links