Historische Demographie II


Eine Antwort auf die Herausforderung
durch die neuen medialen Technologien



Arthur E. Imhof




Zusammenfassung

"Historische Demographie II" setzt "Historische Demographie I" voraus. Bei letzterer handelt es sich um eine 1995 im Saur-Verlag München erschienene CD-ROM. Zwar unter Nutzung neuer technischer Möglichkeiten wie Hyperlinks, Suchfunktionen, Illustrationen in Farbe usw. stellt die CD diese geschichtliche Subdisziplin jedoch noch weitgehend auf handbuchartig sequentielle Weise dar. So gibt es einzelne Kapitel zu den Quellen und Methoden, zum Stand der Forschung, zu neueren Forschungsansätzen, zur Nutzanwendung europäischer historisch-demographischer Erkenntnisse auf heutige Schwellen- und Entwicklungsländer, zu Zeitschriften und Monographien. Da die CD-ROM seit ihrem Erscheinen vom Autor im Web betreut wird, bleibt ihre Aktualität indes aufrechterhalten (URL: http://userpage.fu-berlin.de/~aeimhof/saurhd.htm).

"Historische Demographie II" wurde dagegen von Anfang an als bildbasierte Webpräsentation (URL: http://userpage.fu-berlin.de/~ethnohis/hd2bkl.htm) konzipiert und 1995-97 realisiert. Anhand Dutzender vielfältig kommentierter Votivtafeln aus Bayern vom Anfang des 17. Jahrhunderts bis heute werden demographierelevante Ereignisse oder Verhältnisse im Bereich Schwangerschaft und Geburt, Lebensdauer, Krankheiten und Unfälle, Krieg und Verbrechen, Sterben und Tod bildhaft einprägsam vor Augen geführt: zum Leben erweckte Historische Demographie. Ausgedruckt ergäbe diese Online- beziehungsweise in Einzelexemplaren als CD-ROM vorhandene Publikation mehrere Hundert Seiten.

Was wie ein grosser Sprung in Richtung neue mediale Technologien erschien oder erscheint, war indes nur ein Anfang. Weder Historische Demographie I noch Historische Demographie II schöpfen die multimedialen Möglichkeiten auch nur annähernd aus. Wem käme es jedoch in den Sinn zu behaupten, dass sich Geschichte, erst recht Historische Demographie, je geräuschlos vollzogen habe? Dass sie keinerlei Bewegung kannte? Die Produktion von Historischer Demographie I und II stiess grundsätzliche Fragen einer neuen Geschichtsschreibung, einer adäquaten wissenschaftlichen Kommunikation im globalen Zeitalter nur an. Allerdings scheint die Disziplin besonders geeignet, die vehement auf uns einstürmenden Herausforderungen durch neue mediale Technologien ohne Berührungsängste aufzugreifen und in vielerlei Hinsicht positiv zu beantworten. Zur Sprache kommen hier neue, prinzipiell globale Möglichkeiten einer attraktiven Darstellung wie auch erstmals realisierbare Chancen einer interdisziplinären Zusammenarbeit über alle Grenzen hinweg.




Fakten zur Kenntnis nehmen

Im Internet gibt es Newsgroups wie auch moderierte Diskussionsforen, in denen täglich Dutzende, ja Hunderte von Anfragen gestellt, Antworten gegeben, Informationen ausgetauscht werden. Bezogen auf unser Thema gehört zur ersten Gattung zweifellos die Adresse SOC.GENEALOGY.GERMAN (genealogierelevante Fragen bezogen auf den deutschen Sprachraum), zur zweiten - mit notwendiger Anmeldung und Zulassung - H-DEMOG (Kürzel für "Historical Demography"). Während in der letzten Gruppe zum Beispiel der Organisator einer Migrations-Konferenz Monate im voraus Zeit, Ort und Themen seiner Veranstaltung bekannt gibt und damit verbunden einen Call for Papers postet oder ein Demographiezentrum ihre neue Software für die Berechnung von Sterbetafeln erläutert und dokumentiert, so suchen in der ersten Gruppe zum Beispiel Nachkommen von deutschen, österreichischen, schweizerischen Auswanderern in aller Welt nach ihren familiären Wurzeln in Preussen, Württemberg, in der Steiermark, im Solothurnischen. Des weiteren werden Fragen nach der Bedeutung alter Kirchenbucheintragungen gestellt ("baptizatus in utero" [bei inhärenten Geburtskomplikationen vorsorglich im Mutterleib getauftes Kind], "gestorben an Hitzigem Fieber" [häufige, vom kirchenbuchführenden Pfarrer übernommene Laiendiagnose bei Tod an jeder Art hochfebriler Infektionskrankheit]). Oder jemand möchte wissen, ob sich an diesem oder jenem Ort in der alten Welt namentliche Auswandererlisten erhalten haben oder ob während der NS-Zeit ein Dorf- oder Ortssippenbuch angelegt wurde und sich die Verkartungen möglicherweise noch immer an Ort befinden. - Mögen viele Fragen auch von Laien gestellt sein, so erfordern die Antworten darauf doch häufig mehr als Laienkenntnisse. Fachleute - Familienhistoriker, Historiker-Demographen, Medizinhistoriker und andere - sollten sich nicht zu schade sein, hier ihr kundiges Wissen weltweit einzubringen. Sie erreichen auf diese Weise zudem eine weitaus breitere interessierte Öffentlichkeit, als dies in ihren geschlossenen Fachzirkeln meist der Fall ist.

Im Internet veröffentlichen weltweit renommierte Population Studies Centers (wie etwa dasjenige der University of Michigan in Ann Arbor) oft nur noch die Abstracts ihrer Online-Publikationen in HTML (Hypertext Markup Language, zu lesen mit einem WWW-Browser), so zum Beispiel die Research-Reports ihrer Serie Elderly in Asia). Die Komplettversionen dagegen sind in PDF geschrieben (Portable Document Format, zu lesen mit dem Acrobat Reader). Zwecks Eruierung der Präferenzen versuchsweise selbst sowohl in einer HTML- wie in einer PDF-Version online angebotene Informationen (so etwa das erläuternde Booklet zum Vierjahreszeiten-Projekt; URL [Universal Resource Locator]: http://userpage.fu-berlin.de/~history1/booklet.htm) wurden gemäss Serverabrufstatistik zur eigenen Überraschung über Wochen hinweg regelmässig dreimal häufiger in der PDF- als in der HTML-Version eingesehen.

Heutige Hard- und Software-Industriestandards erlauben es, geschichtliche, inklusive und besonders auch historisch-demographische Sachverhalte multimedial und damit den seinerzeitigen Gegebenheiten angemessener darzustellen als dies bislang möglich war. Realisierbar ist dies sowohl offline wie - allenfalls in komprimierterer Form und sofern sämtliche Copyright-Fragen geregelt sind - auch online. Zudem lässt sich dann ebenfalls an eine marktgängige Verbreitung auf CD-ROM denken. Als Beispiel dafür kann das erwähnte Vierjahreszeiten-Projekt dienen, das neben Hypertext in HTML und PDF Still- und Bewegtbilder sowie Sprache und Musik sowohl auf einer CD-ROM als auch in Form von Online-Webseiten bietet (URL: http://userpage.fu-berlin.de/~history1/aufseas.htm).

Mit diesen drei exemplarisch aufgezählten Fakten mag es hier sein Bewenden haben. Sie geben genügend zu denken: eine ganz offensichtlich interessierte interneterfahrene weitere Öffentlichkeit (äusserst aktive Newsgroups); weltweit nachgefragte Online-Publikationen in PDF (Elderly in Asia); möglich gewordene Multimedia-Realisationen - auch ohne Informatiker oder Computerfachmann zu sein.


Konsequenzen daraus

Die Folgerungen sind mit Händen zu greifen. Wer neueste Informationen braucht oder selbst weiterhin zur Kenntnis genommen werden möchte, hat schwerlich länger eine andere Wahl. Was sodann die europäischen Historiker-Demographen im besonderen betrifft, so ist es nicht Überheblichkeit, was sie aus dem Elfenbeinturm heraustreten und ihre Kenntnisse und Erkenntnisse unter Zuhilfenahme der neuen medialen Technologien weltweit präsentieren lässt. Denn wie in kaum einem anderen Bereich der Geschichtswissenschaften sind hier Nutzanwendungen nicht nur möglich und zulässig, sondern sie werden weltweit tatsächlich auch immer wieder nachgefragt.

Die Bevölkerungen ganzer Länder machen heute zeitverzögert fundamentale Prozesse durch, die wir in Europa schon weitgehend, wenn nicht gar ganz hinter uns haben: die Entwicklung von einer unsicheren zu einer gesicherteren Lebenszeit, vom altersmässig breitgestreuten Sterben an hauptsächlich infektiösen und parasitären Krankheiten zum gebündelteren Sterben in fortgeschrittenerem Alter aufgrund chronischer Leiden, von der überlebensnotwendigen Einordnung der Menschen in traditionelle Zwangsgemeinschaften zur Integration von nur noch locker untereinander verbundenen Individuen in heutigen Gesellschaften - alles mit massiven Auswirkungen auf den Einzelnen, auf Gruppen jeglicher Art, auf ganze Völker und Nationen in Wirtschaft, Gesellschaft, Politik.

Vor diesem Hintergrund sollte sich Entwicklungshilfe nicht auf ökonomische Aspekte beschränken. Und selbst wenn und wo wirtschaftliche Gesichtspunkte im Vordergrund stehen, ist es mit Sicherheit kostengünstiger und wahrscheinlich auch effektiver, andere an unseren gemachten Erfahrungen unter Darlegung aller Pros und Cons teilhaben zu lassen als zeitlich begrenzte und anschliessend im Ruin endende Grossprojekte zu finanzieren. In vielen Entwicklungs- und Schwellenländern möchte man, verständlicherweise genug, von uns (Historiker-Demographen) gerne wissen, wie wir hierzulande vor zwei, drei, vier Generationen jene Ziele erreichten, die sie heute mit Macht selbst anstreben: eine niedrige Säuglings- und Müttersterblichkeit, ein quasi garantiertes langes Leben. Selbstverständlich ist ein gewiefter europäischer Historiker-Demograph in der Lage, hierüber erschöpfend Auskunft zu geben. Allerdings sollte er sich dabei nicht einseitig im Prahlen ergehen und nur die gefragte glänzende Seite der Medaille schildern. Cons gibt es wahrlich genügend, und auch darauf sollte ehrlicherweise eingegangen werden: die Beschwerden des hohen Alters, ein oft langes Siechtum mit einem ausgedehnten Sterbeprozess, nicht selten geistige Leere in fortgeschrittenen Jahren bei reduziertem physischem Radius, Alterssuizid. Es ist nicht fair, andere sehenden Auges ins Messer laufen zu lassen.


Beispiele weltweit

Seit den frühen 1980er Jahren unterrichtete ich das Fach Historische Demographie mehrfach und über längere Zeiten in Schwellen- und Entwicklungsländern Asiens, Afrikas und Südamerikas, am häufigsten im Rahmen von DAAD-Postgraduierten-Austauschprogrammen an brasilianischen Universitäten. Nur anfänglich war ich über die Tatsache erstaunt, wie brennend sich die dortigen Studierenden für die neuen Technologien interessierten. Wer jedoch - anders als bei uns trotz aller Sparmassnahmen - nicht über nach wie vor wohlsortierte Bibliotheken in erreichbarer Nähe verfügt, ist verständlicherweise weit stärker auf den Online-Zugang zu den grössten Buchbeständen dieser Welt wie etwa der Library of Congress angewiesen, oder auf moderierte wissenschaftliche Newsgroups und Diskussionsforen, auf den Instantzugriff auf elektronisch publizierte Zeitschriften wie den Population Index on the Web (URL: http://popindex.princeton.edu/), ganz zu schweigen von den Möglichkeiten des Teleteaching / Distancelearning anhand von Educational Modules im Netz. Global Learning meint Bildung für alle, jederzeit, überall.

Als geradezu ideal erwiesen sich beim Unterricht in Schwellen- und Entwicklungsländern sofort nach Erscheinen die vergleichsweise immensen Speicherkapazitäten von CD-ROMs auf einem Minimum an Platz. Was an Unterrichtsmaterial zuvor schwere Koffer füllte, liess sich nun bequem in der Westentasche unterbringen. Die diesbezüglichen Anwendungsmöglichkeiten sind auch der Grund dafür, weshalb das komplette Illustrationsmaterial der 1995 erschienenen, stark abbildungsorientierten CD-ROM Historische Demographie I (unter anderem mit zahlreichen brasilianischen und indischen Vergleichsbeispielen) zusätzlich in einem eigens hierfür eingerichteten "Archiv" untergebracht ist. Jede der weit über hundert Abbildungen, Figuren, Umzeichnungen usw. kann einzeln auf den Monitor geladen und individuell beliebig weiterverarbeitet, massgeschneidert in eigene Lehreinheiten eingefügt, mit zusätzlichen Texten versehen, erläutert, übersetzt, ergänzt werden (über FTP [File Transfer Protocol] oder als Attachment auch auf jeden anderen vernetzten Monitor wo immer auf der Welt). Die leichte materielle Verfügbarkeit stellte eine enorme Arbeitserleichterung sowohl beim Dozieren wie beim Arbeiten mit den Studierenden dar.

Zwar bestand meine vertraglich festgelegte Hauptaufgabe in den Postgraduierten-Intensivkursen stets darin, das Fach Historische Demographie inklusive dessen Nutzanwendung zu dozieren. Dennoch mochte ich es, meiner eigenen Auffassung von "Entwicklungshilfe" folgend, dabei jeweils nicht bewenden lassen. Mit dem Wandel von der unsicheren zur sichereren Lebenszeit und einem zunehmend höheren durchschnittlichen Sterbealter geht auch in Brasilien - oder in welchem Schwellen- und Entwicklungsland auch immer - untrennbar ein Wandel vom alten zum neuen Sterben einher: immer öfter an langwierigen Leiden, immer öfter in Krankenhäusern oder Verwahranstalten, immer öfter fern der Angehörigen. Ist es da verwunderlich, dass die Teilnehmer eines neuerlichen Kurses an der Universität von Minas Gerais in Belo Horizonte 1995 auf die Idee kamen, die kursergänzenden Abschlussvorlesungen über eine sich auch in Brasilien mehr und mehr aufdrängende neue "Kunst des Sterbens" ins Portugiesische zu übersetzen und webgerecht aufbereitet unter dem Titel Uma Ars moriendi para os nossos tempos ins Netz zu stellen, zum Selbststudium oder Nutzen durch Krankenhäuser, Universitäten, Bildungseinrichtungen in anderen Teilen des riesigen Landes (URL: http://userpage.fu-berlin.de/~aeimhof/amb.htm)?


Forschung und Lehre

Im Gegensatz zu Brasilien ist im hiesigen technologiemisstrauischen bis technologiefeindlichen Umfeld bezüglich des sinnvollen Einsatzes neuer Medien wesentlich mehr und mühsamere Überzeugungsarbeit zu leisten. Selbst an Universitäten sind die Widerstände zum Teil massiv, so wenn Dekane die eingebrachten Vorschläge zur Einrichtung von Multimedia-Arbeitsplätzen für Forschung und Lehre mit dem Satz abtun: "Zu meinen Lebzeiten kommt mir so etwas nicht ins Haus!" Und wenn man daraufhin wenigstens den eigenen Arbeitsplatz mittels Selbstfinanzierung und für den Gebrauch in Forschung und Lehre entsprechend ausrüstet, bekommt man seitens der Administration zu hören: "Private Geräte dürfen in den universitären Diensträumen nicht benutzt werden." Die fatale Folge dieser innovationsfernen Haltung ist, dass die Antwort mancher Studienteilnehmer an entsprechend anspruchsvollen Lehrveranstaltungen abwehrend lautet: "Wieso sollten wir so etwas lernen, so lange das von uns nicht verlangt wird?" Noch während jedoch das Sträuben hierzulande andauert, sorgt die wirtschaftliche Globalisierung dafür, dass immer mehr überall auf der Welt ausführbare Jobs zum Schaden der Zauderer dorthin abwandern, wo "so etwas" längst eine zeitgemässe Selbstverständlichkeit ist.

Dass es auch anders geht, mag wiederum ein Beispiel mit - so die Hoffnung - Überzeugungscharakter belegen. Niemand wird bestreiten, dass "Säuglingssterblichkeit" auch heute noch weltweit ein aktuelles Thema ist. Wenn nun eine Doktorandin in Historischer Demographie (Ines Elisabeth Kloke) nach jahrelanger Forschung und gestützt auf Zehntausende von Einzelfällen eine Arbeit vorlegt mit dem Titel "Säuglingssterblichkeit in Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert - sechs ländliche Regionen im Vergleich" (URL: http://userpage.fu-berlin.de/~aeimhof/metatags/dmkloken.htm), kann man sich wegen der nun schon wiederholt erwähnten Möglichkeiten einer Nutzanwendung historisch-demographischer Ergebnisse leicht vorstellen, dass nicht nur in verschiedenen Schwellen- und Entwicklungsländern und keineswegs nur in akademischen Zirkeln ein unmittelbares Interesse an Einsichtsnahme besteht, und zwar möglichst rasch, möglichst umfassend, möglichst kostengünstig. In heutiger Zeit drängt sich hier eine Online-Publikation geradezu auf. (Unschön ist derzeit dabei, dass hierzulande bislang nur wenige Universitäten diese auch für die Promovierenden weitaus kostengünstigere Möglichkeit der Veröffentlichung durch eine entsprechende Ergänzung ihrer Promotionsordnungen voll akzeptieren. Wo dies bereits der Fall ist, müssen physisch nur noch vier statt wie bisher hundert oder noch mehr Exemplare "auf alterungsbeständigem, holz- und säurefreiem Papier" eingereicht werden.)

Bereits am Tage nach der Disputation im Dezember 1997 befand sich die Dissertation von Ines E. Kloke im Netz. Da die Doktorandin vor der definitiven Freigabe des gesamten Inhalts durch die Promotionskommission noch gewisse Änderungsauflagen zu erfüllen hat, wurde dabei folgender Weg gewählt. Das ausführliche Inhaltsverzeichnis ist bereits komplett und ohne Einschränkungen in HTML einsehbar. Der mehr als dreihundert Seiten umfassende Inhalt selbst dagegen ist für das Web in PDF umformatiert worden und bis zur endgültigen Freigabe dort noch durch ein Passwort geschützt. Interessierten wird es auf e-mail-Anfrage mit Nennung des Grundes mitgeteilt. Derzeit besteht dabei vor allem der Wunsch nach Online-Zugriff auf Dutzende von nicht mehr zu verändernden Statistiken wie etwa zur parallelen oder divergierenden Entwicklung der Säuglingssterblichkeit in den verschiedenen Regionen und Zeitabschnitten, über Unterschiede oder Gleichheiten nach Konfession beziehungsweise Religion, nach Geschlecht, Rechtsstand (legitim/illegitim), Geburtsrang, Alter der Mutter usw. Begehrt sind auch serielle Angaben, die einer Verifizierung oder Falsifizierung der Zirkularkausationstheorie beziehungsweise der Gewichtung einzelner Elemente daraus dienen können, was angesichts der in den letzten Jahren weltweit viel diskutierten Frage nach der schlüsselgleichen Bedeutung von "Female resp. Maternal Education" für eine Senkung der Säuglingssterblichkeit nicht weiter verwunderlich ist.

Damit nach dieser Online-Version und ihren Inhalten weltweit auch gezielt gesucht werden kann, war es zudem unerlässlich, den HTML-Inhaltswebseiten relevante Metatags voranzustellen (URL: http://userpage.fu-berlin.de/~aeimhof/metatags/metatags.htm). Diese Angaben werden vom Browser nicht dargestellt, führen aber bei entsprechenden Suchanfragen im Web zu den gewünschten Ergebnissen.

Damit solche weltweit vorzeigbaren Online-Leistungen zustandekommen, ist eine zeitgemässe Ausbildung der nachwachsenden Generation in Forschung und Lehre unerlässlich. Dies wiederum setzt einen entsprechenden, meist in Eigeninitiative entwickelten Umgang der Dozenten mit den neuen Technologien voraus. Im Web bereitgestellte Lehr- und Lerneinheiten dürfen nicht einfach durch Einscannen phantasie- und lieblos umgesetzte Vorlesungsmanuskripte sein. Die Konkurrenz im Netz ist enorm, und wessen Präsentationen nicht gleichermassen sorgfältig durchdacht, prägnant und ästhetisch ansprechend sowie medienpädagogisch attraktiv sind, wird schwerlich irgendwo bei irgendwem auf längerfristiges Interesse stossen. Vom Delegieren der diesbezüglichen Umsetzungsarbeit an "Schreibkräfte" oder an nur technisch versierte Mitarbeiter ist abzuraten. Form und Inhalt müssen übereinstimmen, und über den Inhalt weiss nun einmal der Dozent selbst am besten Bescheid. Also muss er sich wohl oder übel in die entsprechenden Formgebungsmöglichkeiten einarbeiten, in HTML, in SGML (Standard Generalized Markup Language), in PDF, in Vektor- und Bitmap-Pixel-Graphikprogramme (zum Beispiel CorelDraw und Adobe Photoshop). Er muss vor dem Beginn der eigentlichen Arbeit seine nicht länger linearen, sondern auf vielen verschiedenen Ebenen mit- und untereinander verknüpften Web- oder CD-ROM-Präsentationen "drehbuchartig" organisieren, muss über Search-Engines relevante Links in die weite Welt auffinden, einbauen, gegebenenfalls kommentieren und anschliessend à jour halten, angesichts der Raschlebigkeit des Web ein oft zeitraubendes und nie endendes Unterfangen.

So enthält die im wesentlichen 1996 realisierte (und dem damaligen Stand entsprechend relativ unsophistizierte) Lehr- und Lerneinheit Historische Demographie II (URL: http://userpage.fu-berlin.de/~ethnohis/hd2bkl.htm) auf der obersten Ebene nur knapp orientierende Texte zu den verschiedenen nachfolgenden "Kapiteln", das heisst zur Einführung, zum umfangreichen Votivtafelbestand von Sammarei - jenem von Gläubigen noch heute oft und gern aufgesuchten Marienwallfahrtsort in der Nähe von Passau -, zu den angeblich "guten alten Zeiten" unserer Vorfahren usw. Die weitaus ergiebigeren Webseiten auf der jeweils zweiten Ebene bestehen dagegen stets aus einer Fülle von je einzeln aufrufbaren Abbildungen, Karten, Graphiken, weiteren Texten zu den verschiedensten historisch-demographisch relevanten lebenszeitbedrohenden oder -verkürzenden Themenbereichen wie Säuglings- und Kindersterblichkeit, schweren Geburten, Unfällen aller Art, Krieg und Verbrechen usw. Zusätzlich mit einem Link unterlegte Fachausdrücke führen sodann auf eine weitere Erläuterungsebene (zum Beispiel der Hinweis auf "rote Ruhr" innerhalb eines Votivtafeltextes oder im Kommentar eines abgebildeten Verstorbenenregisters).

Was schliesslich die in einem eigenen Kapitel zusammengefasste lange Liste der zitierten Buchliteratur betrifft, so werden dort nicht nur die üblichen exakten bibliographischen Angaben vor Augen geführt, sondern jeder Titel ist nochmals einzeln anklickbar, worauf man auf einer zusätzlichen Ebene das komplette Inhaltsverzeichnis sowie gegebenenfalls eine Reihe wichtiger Textpassagen vorfindet. Ebenso wichtig ist im Webzusammenhang allerdings die nicht minder lange Liste der Online-Links. Sie führen nicht nur in die themenbezogen wichtigsten Bibliotheken der Welt wie die National Library of Medicine in Bethesda mit freiem Online-Zugang zu MEDLINE oder in führende Forschungsstätten wie das Health Transition Centre an der australischen National University in Canberra als einer der wichtigsten Begegnungsstätten bezüglich der Diskussion über die Rolle von "Maternal resp. Female Education". Gleichermassen hilfreich sind im Hinblick auf die Identifizierung von Votivtafelheiligen etwa die Online-Verbindungen zu den umfangreichen "Saints"-Webseiten der Katholischen Kirche. Zwischendurch oder zur Entspannung lässt sich über anklickbare Icons ausserdem eine kleine Diaschau zum Marienwallfahrtsort Sammarei oder über verlinkte Daumennagelbildchen verschiedene Detailansichten der Votivtafelhängung in situ aufrufen.

Während sich Teilnehmer an Lehrveranstaltungen im laufenden Semester Woche für Woche jeweils selbständig online auf das nächste Kapitel der Lerneinheit vorbereiten, erläutern und diskutieren sie in den Seminarstunden vor dem Bildschirm das individuell Gelernte, bauen gegebenenfalls zusätzliche Links ein oder bringen auf der dritten, vierten, fünften Ebene noch weitere Anmerkungen an. Offline kann mein auch der Lehre dienender Multimedia-Arbeitsplatz zudem genutzt werden, um zur erwähnten Diaschau von einer Audio-CD das einzigartige Glockenspiel von Sammarei zum Erklingen zu bringen oder um sich Videoclips über das Wallfahrtswesen in Sammerei an Marienfesttagen anzusehen. - Im Rahmen solcher Lehrveranstaltungen zwecks Leistungsscheinerwerbs entstehende Arbeiten akzeptiere ich nicht länger auf Papier, sondern nur noch in Form von On- oder Offline-Webseiten und/oder in Teams entwickelten multimedialen CD-ROMs.

Verständlicherweise ist der diesbezügliche Arbeitsaufwand sowohl bei Dozenten wie Teilnehmenden erheblich grösser, aber auch weitaus intensiver als bei traditionellen Lehrveranstaltungen. Nicht wenige Teilnehmer kommen indes Semester um Semester wieder, wohlwissend, dass sie mit einem Fachstudium in den Geisteswissenschaften allein (Historische Demographie ist bei den Geschichtswissenschaften angesiedelt) eher schlechte Berufsaussichten haben. Ihre gleichzeitigen Kenntnisse und Fertigkeiten im Bereich der neuen Technologien und Medien verschaffen ihnen ein zweites Standbein. Erfahrungsgemäss haben sie es nach dem Studienabschluss leichter, auf dem Arbeitsmarkt Fuss zu fassen.

Nicht unterschätzt werden sollte ein weiterer Aspekt. Wohl auf keinem anderen Gebiet ist die Halbwertszeit von angeeignetem Wissen und erworbenen Kenntnissen so kurz wie im Bereich der neuen Technologien und Medien. Kaum fühlt man sich in einem Graphik- oder 3D-Programm, einem HTML- oder PDF-Standard einigermassen zuhause, liegt auch schon die nächste oder übernächste Version vor. Man mag das atemberaubende Tempo bedauern (oder umgekehrt als stimulierende Herausforderung empfinden) und sich fragen, wielange man das selbst durchhält. World Wide Web ist per se global. Die weltweit Schnellsten geben das Tempo vor. Solange man sich selbst um Mithalten bemüht und dasselbe deshalb auch von den Studierenden verlangen kann, solange dürfte es für diese keine bessere Gewöhnung an die harte Notwendigkeit des pausenlosen Lifelong Learning geben.


Neue Formen der interdisziplinären Zusammenarbeit

Die vielfältigen Herausforderungen durch die neuen Technologien und Medien zeitigen indes bei entsprechend aufgeschlossenem und flexiblem Reagieren auch zahlreiche erfreuliche Resultate. Man denke ganz allgemein etwa an die nunmehr mögliche Realisierung "schlanker Universitäten". Wer sich Lehreinheiten im Rahmen von Teleteaching/Distancelearning aneignet, trägt nicht gleichzeitig zur weiteren Überfüllung von Hörsälen bei. Ausserdem braucht nicht länger jede Universität jede Disziplin mit einem Komplettprogramm selbst abzudecken. Wer sich unter den Lehrenden wie Lernenden aber erst einmal an die vielfältigen Möglichkeiten der neuen Technologien und Medien gewöhnt hat, dürfte von selbst auf die Idee kommen, diese auch für ganz neue Formen interdisziplinärer Zusammenarbeit zu nutzen. Wieso alles selbst machen wollen, wo sich doch im Netz allenthalben kooperative Fachleute finden lassen? Dabei geht es nicht um Delegieren, sondern um koordiniertes Zusammenarbeiten von gleich zu gleich.

Das folgende konkrete Beispiel entstand zwar unter der Ägide eines Historiker-Demographen, doch machte beziehungsweise macht der spezifisch historisch-demographische Anteil am Gesamtwerk schliesslich nur noch einen Bruchteil des Ganzen aus. Aus leicht nachvollziehbaren Gründen war das oben schon angesprochene Vierjahreszeiten-Projekt von Anfang an für eine ganze Reihe unterschiedlicher Disziplinen von Interesse, so für Meteorologen und Klimatologen, für Agrarwissenschaftler und Tourismusforscher, für Astronomen und Astrologen. Aber es meldeten sich auch Vertreter der Germanistik (Stichwort: Frühjahrsgedichte), der Volkskunde (Jahreszeiten-Brauchtum), der Musikologie (Vivaldis oder Haydns Vier Jahreszeiten), der Kunstgeschichte (Tradition der Monats- oder Vierjahreszeiten-Zyklen), der Kirchengeschichte (Kirchenjahr), der Biologie (Jahreszeitenrhythmen) und der Medizin (Frühjahrsmüdigkeit). Für Historiker-Demographen endlich stand die ausgeprägte saisonale Verteilung aller demographischen Variablen - Geburten, Heiraten, Sterbefälle - bei unseren Vorfahren im Zentrum.

Wieso also bei einem von sich aus dermassen pluridisziplinären Thema nicht einen Kreis Mitarbeitswilliger um sich scharen und die Thematik von den verschiedensten Seiten her gemeinsam behandeln, und zwar mit dem Ziel einer zeitgemässen Präsentation im Web und auf CD-ROM? Medienpädagogisch am geratensten schien der Einstieg über eine Reihe neugierig machender Bilder. Die Wahl fiel auf den Vierjahreszeiten-Zyklus des Antwerpener Malers Joos de Momper (1564-1635). Seine vier Tafeln "Frühling", "Sommer", "Herbst" und "Winter" entstanden um 1615. Sie gehören seit langem zum Altbestand des Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig.

An der Kooperation beteiligten sich schliesslich - mit zum Teil sehr umfangreichen eigenen Beiträgen - Photographen, Museumspädagogen und Kunsthistoriker vom Braunschweiger Museum selbst, sodann empirische Pädagogen von der Technischen Universität Braunschweig, Astronomen-Informatiker von der Technischen Universität Berlin, Meteorologen von der Universität Karlsruhe sowie Musikologen, Meteorologen-Klimatologen und Historiker sowie Historiker-Demographen von der Freien Universität Berlin. Sie sind alle mit selbständigen "Kapiteln" am Oeuvre vertreten.

Die multimediale Aufbereitung enthält sowohl schriftliche wie gesprochene Texte, Stillbilder und animierte Bilder, Diaschauen und Videoclips, QuickTime Virtual Reality-Sequenzen und kommentierte Musikausschnitte aus Vivaldis Vier Jahreszeiten, dreidimensionale Rekonstruktionen zum Beispiel des Stadttores aus dem Winterbild und anderes mehr. Der spezifisch historisch-demographische Beitrag geht vor allem der Frage nach, weshalb es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hierzulande zu einem gleichzeitigen Sommerhalbjahres-Boom in der Mütter- und Säuglingssterblichkeit sowie in der Totgeborenenrate kam. Unter Rückgriff auf Illustrationsmaterial aus der CD-ROM Historische Demographie I werden die damals wenn auch vorübergehend, so doch über Jahre kollidierenden Belastungen vieler Frauen und Mütter in zunehmend marktorientierten ländlichen Gebieten mit ihren fatalen Folgen aufgezeigt, nämlich einerseits der traditionellen saisonalen Verteilung von Schwangerschaften, Niederkünften und Säuglingsbetreuung mit Spitzen im Winter und andererseits einer jahreszeitmässig immer stärker ins Früh- und ins Spätjahr expandierenden Arbeitsbelastung in Landwirtschaft und Gartenbau.

Historisch-demographisch oder diesmal genauer gesagt mentalitätsgeschichtlich höchst bemerkenswert sind die Konsequenzen, die viele der betroffenen Frauen und Mütter zogen. Motiviert wie sie angesichts des Sterblichkeitsbooms nun waren, setzten sie ihre nachweislich seit langem vorhandenen, aber bislang nicht oder selten angewandten Kenntnisse in Sachen Geburtenverhütung und Familienplanung in die Tat um und bekamen weniger Kinder. Die neuen wirtschaftlichen Realitäten erwiesen sich als dominanter. Jahrhundertealte Traditionen in der Reproduktion unterlagen - ein erneutes Beispiel mit relevanter Nutzanwendung in Schwellen- und Entwicklungsländern. Kenntnisse allein genügen nicht. Nur bei entsprechend starker Motivierung werden sie auch umgesetzt.

Besteht die Absicht, derlei Gemeinschaftsarbeiten zu publizieren, sei es weltweit online im Web oder / und als CD-ROM auf dem freien Markt, müssen sämtliche Copyright-Fragen, Bild- und Musikrechte usw. vorgängig minutiös geregelt sein. Bezüglich des Vierjahreszeiten-Projekts war dies von Anfang an der Fall, da das bildbesitzende Museum mit verschiedenen eigenen Personen - mitinbegriffen der Museumsphotograph - als gleichberechtigter Partner mitwirkte. In ähnlicher Weise kam beim Projekt ETHNOHIS (URL: http://userpage.fu-berlin.de/~ethnohis/) eine Kooperation mit dem Museum für Volkskunde der Staatlichen Museen zu Berlin Preussischer Kulturbesitz zustande. Das Berliner Volkskundemuseum verfügt über einen eigenen Bestand von rund dreihundert Votivtafeln aus Bayern und Österreich, die sich historisch-demographisch hervorragend als Quellen- und Illustrationsmaterial eignen. Entsprechende Lehr- und Lerneinheiten sind bereits im Netz veröffentlicht. Zum Teil entstanden sie unter Mitwirkung von Lehrveranstaltungsteilnehmern.

Während das Vierjahreszeiten- und das ETHNOHIS-Projekt darauf abzielen, sowohl durch Miteinbeziehung bekannter grosser Museen wie auch durch Involvierung einer Vielzahl thematisch berührter Fachdisziplinen mehr in die Breite zu wirken und auf diesem Wege die mitintegrierte Historische Demographie einer weiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, so konzentriert sich das Projekt TELEHIST (URL: http://userpage.fu-berlin.de/~telehist/) im engeren Sinne auf die Historische Demographie in der universitären Forschung und Lehre. Auf der bereits erwähnten Lehr- und Lerneinheit Historische Demographie II aufbauend erstellen derzeit drei Magistranden eine dokumentierte Bilddatenbank des gesamten Votivbildbestandes der Marienwallfahrtskirche Sammarei (= Sankt Marien). Die knapp 1300 Tafeln aus dem 17. bis 20. Jahrhundert stehen als Rohmaterial auf entsprechend vielen Photo-CDs bereits digitalisiert zur Verfügung.

Arbeitsteilig sind nun zusätzliche Informatik-Diplomanden der Universität Halle in die Erstellung und Auswertung dieser Datenbank involviert, wobei die Kooperation, abgesehen von gelegentlichen realen Treffen, ausschliesslich über e-mail, FTP, TELNET und WWW erfolgt. Die Hauptaufgabe der Hallenser (= Thema ihrer Diplomarbeit) bestand / besteht darin, ein auf unsere Votivtafel-Bedürfnisse zugeschnittenes WWW-Browser-fähiges interaktives Eingabeformular in der Programmiersprache Java zu entwickeln (bereits funktionstüchtig; vgl. URL: http://www.inf.fu-berlin.de/~votex/java/StartVotex.html). Wie man bei dessen Aufrufen feststellt, enthält es mehrere vorgefertigte Pulldown- und Flyout-Menues für die unterschiedlichsten im weitesten Sinne historisch-demographisch relevanten Votivtafelinhalte: abgesehen von Grösse, Rahmung, Bildbeschreibung, architektonischen Besonderheiten, speziellen Inneneinrichtungen, prononcierter Farbgebung, Jahr der Entstehung, allenfalls dem Hersteller (Maler, Handwerker) usw. vor allem für die vielfältigen Votationsanlässe (Gefährdung von Mutter und Kind; Krankheiten unter Mensch und Tier; Naturgewalten und Feuer usw.), Patron/Patronin (in der Regel die Muttergottes von Sammarei), Votant/Votantin/Votanten, Gebetshaltung (der überirdischen Anlaufstelle beziehungsweise dem Geschehen zugewandt), erläuternde Votivtafelbetextung (Original sowie Transkription in den heutigen Sprachgebrauch). Die Ein- und nach erfolgter Dokumentation und Bildnachbearbeitung - Ausgabe aller einzelnen Tafeln inklusive Ansicht in zwei verschieden grossen Auflösungen kann im WWW von Interessenten kontinuierlich mitverfolgt werden.

Verständlicherweise ist diese interuniversitär-interdisziplinäre Zusammenarbeit im Rahmen des TELEHIST-Projektes für alle Beteiligten gleichermassen von Vorteil: Historiker beziehungsweise Historiker-Demographen brauchen sich nicht auch noch umfangreiche Kenntnisse in Java-Programmierung anzueignen. Vielmehr nutzen sie den diesbezüglichen Beitrag von Informatikern und konzentrieren sich im übrigen auf ihre eigenen Belange. - Informatiker ihrerseits erhalten umfangreiches Testmaterial mit sinnvoller Nutzanwendung frei Haus geliefert und üben sich marktorientiert und berufsbezogen in themenbasierter interdisziplinärer Kooperation.

Was die angesprochene Konzentration auf die eigenen Belange betrifft, so eröffnet der geschilderte arbeitsteilige Einsatz neuer Technologien den drei Historiker-Magistranden zudem die Möglichkeit, theoriegeleitete Fragen auf völlig neue, zeitgemässe Art zu behandeln. Während sich der eine anhand der entstehenden Votivbilddatenbank der Entwicklung der Farbsymbolik vom 17. bis zum 20. Jahrhundert widmet, so der zweite der Verifizierung beziehungsweise Falsifizierung der Dechristianisierungstheorie. Im ersten Fall geht es darum, dem Festhalten an beziehungsweise dem allmählichen Verblassen der mittelalterlich geprägten Tradition "vornehmer" beziehungsweise "böser" Farben nachzuspüren, also etwa dem teuren Lapislazuli-Blau für den Mantel der Muttergottes und dem Judasgelb für marodierende Soldaten oder streitsüchtige Nachbarn. Im zweiten Fall wird mittels des prozentualen und über das Java-Programm direkt ablesbaren Anteils der auf den Votivtafeln durch Wolkengebilde stets deutlich abgegrenzten überirdischen Sphäre am Gesamtbild die gegebenenfalls rückläufige Rolle eben jener überirdischen Sphäre bei unseren Vorfahren in Notsituationen dokumentiert. Der dritte Kandidat schliesslich widmet sich aufgrund desselben Ausgangsmaterials der - auch diesem Beitrag zugrundeliegenden - historiographischen Frage, inwiefern die neuen medialen Technologien eine Herausforderung für eine zeitkonforme Geschichtsschreibung darstellen.


Antwort insgesamt positiv

Bezogen auf die Historische Demographie fällt es leicht, sich den Herausforderungen durch die neuen medialen Technologien nicht nur zu stellen, sondern sie mit ihren stimulierenden neuen Möglichkeiten in Forschung und Lehre sowie beim Ansprechen breiterer Kreise willkommen zu heissen. Demographie ist per se überall auf der Welt, wo Menschen leben, in der einen oder anderen Form stets aktuell - von "Babyboom" und "Babyboost" über "Bevölkerungsexplosion" und neue oder altneue Seuchen wie AIDS und Tuberkulose bis hin zu "Kriegerwitwen" und "Überalterung". Da der Grossteil der heutigen Menschheit in Schwellen- und Entwicklungsländern lebt, können sich europäische Historiker-Demographen einer quasi weltweiten Aktualität ihrer Kenntnisse gewiss sein. Historische Demographie ist überwiegend nur bei uns historisch; die anderen folgen uns mit geringerer oder grösserer Zeitverzögerung in vielen Belangen nach. Historische Demographie ist dort aktuelle Demographie. Nutzanwendung aus unseren Erfahrungen ist gefragt. Diesbezüglich sind die neuen Medien, vor allem das WWW und die CD-ROM-Technologie, besonders geeignet, da bildgestützt einprägsam und leicht verfügbar.

Wem der globale Aspekt zu weit ausholt, mag mit Bezug auf heimischere Gefilde von den endlich realisierbaren Möglichkeiten Gebrauch machen und unter Einsatz der neuen medialen Technologien Historische Demographie nicht länger nur schwarz-weiss und nicht mehr bloss zweidimensional erforschen, lehren, darstellen, sondern inklusive Sprache, Töne, farbige Bilder, Bewegungen, dreidimensionale und damit der Realität näher kommende Rekonstruktionen. Wer sich hierauf einlässt, für den ist es dann auch nur noch ein kleiner Schritt zu ganz neuen Formen distanzunabhängiger interdisziplinärer Kooperation.

Von dieser Aufbruchstimmung profitieren schliesslich nicht zuletzt die Studierenden, die sich - wenn hierzulande auch eher zögerlich und noch in geringer Zahl - den neuen Herausforderungen stellen. Sie erhalten nicht nur umfassendere Einblicke in ihr Fachgebiet, sondern sie erhöhen dadurch erfahrungsgemäss ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt.




Anmerkung

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beziehungsweise http://www.fu-berlin.de/aeimhof/bib/zfb98.pdf . Der HTML-Version ist zudem eine Metatags-Aufschlüsselung gemäss dem Dublin Core-Standard vorgeschaltet. In beiden Versionen lassen sich sämtliche weiteren hier im Text angegebenen URLs per Mausklick auf den Bildschirm holen.

Eine gedruckte Version findet sich in:
Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, Jahrgang 23, Heft 2, 1998.



(Anschrift des Verfassers: Professor Dr. Arthur E. Imhof, Freie Universität Berlin, Fachbereich Geschichtswissenschaften, Habelschwerdter Allee 45, D-14195 Berlin)
e-mail
: A. E. Imhof (mailto= aeimhof@zedat.fu-berlin.de)
WWW
: A. E. Imhof (URL= http://www.fu-berlin.de/aeimhof)


© A.E.I. 1998