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[Deutschlands teuerste Rückrufaktion]



Giovanni Galizia in seinem Forschungslabor an der FU.


Wenn Mercedes seine Autos in die Werkstätten zurückruft, dann sind Unannehmlichkeiten im Verzug: mit der Technik, mit den Kunden und mit dem Börsenkurs. Gelegentlich wird es auch für die Verantwortlichen in der Stuttgarter Konzernzentrale ungemütlich: Dann rollen Köpfe. Derzeit spielt sich ähnliches in der Wissenschaft ab: Die Bundesregierung, Stiftungen und Wissenschaftsorganisationen wollen deut-sche Forscher aus Übersee zurückrufen. Brain Gain statt Brain Drain lautet die Devise. „Dabei sind wir eigentlich ein Exportschlager“, sagt Giovanni Galizia, der an der University of California als Associate Professor lehrt und forscht. Der 40-jährige Neurobiologe widmet sich der Wahrnehmung und Verarbeitung von Gerüchen im Gehirn von Insekten. Er ist erfolgreich: An der Freien Universität Berlin leitet er zugleich eine Nachwuchsforschergruppe der Volkswagen Stiftung. Anfang 2003 erhielt er das Angebot, in Riverside eine Professur anzutreten. „In den USA werden nicht genügend Wissenschaftler ausgebildet. Junge Forscher aus Deutschland sind hier gern gesehen“, erläutert er. „Aber nicht, weil sie so billig wären, sondern weil sie exzellent ausgebildet sind und sehr gute Arbeit leisten.“

Überproduktion von Humankapital

Der Brain Drain, die Abwanderung hoch qualifizierter deutscher Forscher vor allem in die USA, ist ein eher unerwünschtes Ergebnis der deutschen Überproduktion von Humankapital. „So lange die Zahl der ausgebildeten Wissenschaftler die angebotenen Stellen in Deutschland um ein Vielfaches übersteigt, halte ich solche Rückholaktionen für Quatsch“, kritisiert Giovanni Galizia. „Die deutschen Hochschulen haben einfach keine Stellen. Sie können uns keine planbaren Angebote machen. Daran ändern auch Kontaktbüros oder teure Werbekampagnen in den USA nichts.“ Postdocs bekommen hierzulande kaum einen Fuß in die Tür. „Da ist man 40 Jahre alt und hat schon Familie“, sagt er. „Viele meiner Kollegen stehen plötzlich vor der Arbeitslosigkeit.“ Das gilt für Juniorprofessoren, Stipendiaten des Emmy-Noether-Programms der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) oder die Nachwuchsgruppen der Volkswagen Stiftung gleichermaßen.

Zwölf bis 15 Jahre dauert die Buckelei, bis man sich nach Promotion und Habilitation theoretisch auf einen Lehrstuhl bewerben könnte – falls welche ausgeschrieben werden. Die Folge: Die Zahl der Promotionen nimmt stetig ab, die Habilitationen stagnieren. „Für immer mehr junge Leute wird die akademische Karriere in Deutschland unattraktiv“, beobachtete Giovanni Galizia, der bei der Jungen Akademie seit Jahren für bessere Arbeitsbedingungen für junge Wissenschaftler streitet. Katja Simons ist für die GAIN-Initiative des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in New York tätig. GAIN steht für German Academics International Network. Das Geld dafür kommt vom Bundesforschungsministerium. Das New Yorker Büro ist seit Herbst 2003 besetzt. Nach Simons Schätzung wandert mittlerweile jeder siebente in Deutschland promovierte Wissenschaftler in die USA ab. Die OECD ermittelte rund 5000 deutsche Forscher an den Hochschulen der Vereinigten Staaten. Hinzu kommen zwischen 600 bis 800 Forscher in außeruniversitären Instituten. Die Industrie eingerechnet, arbeiten derzeit zwischen 15.000 und 20.000 deutsche Absolventen in den USA. Nimmt man Fernost, Großbritannien, Skandinavien und Australien hinzu, dürfte bereits jeder vierte deutsche Postdoc im Ausland arbeiten.

Giovanni Galizia hat noch einen Koffer in Berlin. Alle sechs Wochen pendelt er nach Europa: Der Spezialist für Insektenhirne hat der Freien Universität Berlin im Jahr 2002 rund 350.000 Euro Drittmittel eingebracht. Seine Forschergruppe zählt vier Doktoranden und zwei technische Assistenten. „Doch diese Gruppe läuft in wenigen Jahren aus, ohne Perspektive“, berichtet er. „Ich hatte Glück. Als ich in Riverside anfing, erhielt ich eine großzügige Erstausstattung. Davon kann ich einige Jahre gut forschen. Danach muss ich meine Postdocs und Sachmittel aus Drittmitteln selbst finanzieren.“ Das gilt auch für die Cracks, die es ganz nach oben geschafft haben: „Professoren bekommen nur eine Anschubfinanzierung. Inzwischen muss ich jeden Studenten, jeden Postdoc, jedes Telefongespräch und jeden Bleistift zahlen“, sagt Horst Strömer, Nobelpreisträger für Physik, der seit 1998 an der Columbia University in New York tätig ist. „Mein Büro und meine Labors zahle ich auch, denn für jeden Dollar, den ich für Forschung ausgebe, muss ich – wegen des Overheads für die Universität – 1,60 Dollar einwerben.“

GSO-Treffen in Palo Alto

Deutsche Hochschulen oder die Max-Planck-Gesellschaft versprechen ein ruhigeres Leben, in gesicherten akademischen Bahnen. Sie sind eigentlich attraktiv: Bei einem Treffen der German Scholars Organization (GSO) im vergangenen Herbst in Palo Alto gaben 85 Prozent der rund 140 Teilnehmer an, bei entsprechenden Arbeitsbedingungen wieder nach Deutschland zurückkehren zu wollen. GSO ist eine Gründung des Stifterverbandes, des Karierre-Portals Stepstone, verschiedener Forschungsträger und Unternehmen, die unter den deutschen Wissenschaftlern in den USA ein Netzwerk aufbauen wollen. „Unser Ziel ist es, die in den USA arbeitenden Wissenschaftler mit Informationen über den deutschen Arbeitsmarkt zu versorgen“, erläutert Wolfgang Benz, Personalchef beim Pharmaunternehmen Schering. Er gehört zu den Initiatoren des Netzwerks. „Bei dem Meeting in Palo Alto beklagten viele Teilnehmer, dass sie sich von Deutschland vergessen fühlen.“ Allein der DAAD, die Alexander von Humboldt-Stiftung und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) schicken jedes Jahr rund 1000 fähige Talente nach Übersee. „Davon bleiben zwischen dreißig bis vierzig Prozent in den USA“, schätzt Wolfgang Benz. „Vier Fünftel sind Naturwissenschaftler, Ingenieure und Mediziner.“ Bislang erreicht GSO rund 500 deutsche Forscher.

„Im Laufe dieses Jahres wollen wir 1000 Wissenschaftler vernetzen“, gibt der Schering-Manager einen Ausblick. Schering hat das GSO-Büro in San Francisco in der Anfangsphase unterstützt. Für 2004 und 2005 schießt die Robert-Bosch-Stiftung rund 223.000 Euro zu. Das nächste große Treffen ist für den Herbst in Bosten geplant. Barbara Blunau, die Generalsekretärin der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), hatte in Palo Alto konkrete Stellenangebote im Gepäck: MPG-Sprecher Bernd Wirsing bestätigt: „Für uns ist der Brain Gain aus den USA enorm wichtig.“ Er nannte Zahlen: Die MPG hat bundesweit 268 Direktorenstellen in 80 Instituten. Davon wurde ein Drittel (92) aus dem Ausland berufen (Stand 1. Januar 2003). Aus den USA kamen 52 Direktoren, darunter 31 deutsche Wissenschaftler. „Wenn man in den USA Karriere macht, wird man in Deutschland als besonders gut betrachtet“, sagt Giovanni Galizia. „Der Brain Gain erscheint mir eher als Strategie, um die besten Köpfe aus Amerika nach Deutschland zu holen. Wollte man die breite Abwanderung der Akademiker wirklich stoppen, müsste man viel mehr Stellen an den Hochschulen schaffen.“

Giovanni Galizia ist mit Frau und zwei Kindern nach Kalifornien umgezogen. Er bekennt: „Ich würde lieber in Deutschland arbeiten. Das wäre auch für meine Frau besser, die derzeit keine Anstellung hat. Aber man müsste mir schon eine ordentlich ausgestattete Professur bieten.“ Katja Simons fordert die deutschen Hochschulen auf, flexibler zu werden: „Die amerikanischen Universitäten kümmern sich beispielsweise um Kindergartenplätze für den Nachwuchs und Jobs für die Partner“, erzählt sie. „Dafür müssen deutsche Hochschulen erst noch Strategien entwickeln.“ Der Wissenschaftsrat hat angeregt, den Postdocs die Beschäftigung nach der Qualifikationsphase dauerhaft zu sichern. Er fordert, das Hochschulrahmengesetz zu ändern, damit mehr junge Forscher unbefristet angestellt werden können. Woher das Geld dafür, oder für mehr Professuren, oder für die Jobs der Partner, oder die Kita-Plätze kommen soll, bleibt offen.

Von Heiko Schwarzburger

Foto: Hertel



Gain statt Drain

Zur Gewinnung von Spitzenwissenschaftlern aus dem Ausland gibt es verschiedene Programme. Allerdings richten sie sich nicht nur an deutsche Forscher. Die Alexander von Humboldt-Stiftung setzte dafür zwischen 2001 und 2003 rund 49 Millionen Euro ein. Vierzig Forscher konnten mit diesem Geld Nachwuchsforschergruppen an deutschen Hochschulen aufbauen. Ein Drittel von ihnen möchte längerfristig in Deutschland bleiben. Die Marketing-Kampagne GATE vom DAAD und der Hochschulrektorenkonferenz soll Hochschulen auf Messen und Informationsveranstaltungen im Ausland unterstützen (www.gate-germany.de). Dafür gab das Bundesforschungsministerium im vergangenen Jahr rund 18 Millionen Euro aus (einschließlich Sekretariat). Der DAAD in New York wollte zur GAIN-Kampagne keine Zahlen nennen, da sich der Bundeshaushalt 2004 derzeit noch im Vermittlungsausschuss befindet.

HS

Informationen im Internet:
www.gsonet.org
www.daad.org/gain
www.bmbf.de
www.stifterverband.de


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