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[Sex im Pflanzenreich]

Vögel sind neben den Insekten die häufigsten Fremdbestäuber.

Sex ist die schönste Sache der Welt. Dies gilt für uns alle – für Studenten und Studentinnen ebenso wie für Professoren und Professorinnen– und natürlich wissen wir heute auch bis in kleinste Details, wie menschliche Sexualität funktioniert. Während unsere Vorfahren sicher bereits vor vielen Jahrtausenden Geschlechtsverkehr bei Tieren beobachtet und Ähnlichkeiten mit ihrem eigenen Verhalten festgestellt haben müssen, ist die Erkenntnis vergleichsweise jung, dass sich auch Pflanzen sexuell fortpflanzen. Ein wesentlicher Schritt zu dieser Erkenntnis geschah in Berlin und das Beweisstück, eine vertrocknete Zwergpalme, befindet sich heute in der Eingangshalle des Botanischen Museums, wo derzeit eine Ausstellung mit dem Titel „Sex im Pflanzenreich – Lust und Frust“ gezeigt wird.

Viele Palmen sind Säugetieren ähnlich: Sie sind getrennt geschlechtlich, d. h. es gibt männliche und weibliche Exemplare. Nur wenn beide zusammen vorkommen und gleichzeitig blühen, kommt es zu Bestäubung, Befruchtung und der Ausbildung von Samen. Im Jahre 1749 gab es im Königlichen Botanischen Garten in Berlin jedoch nur ein „würkliches Weiblein, welches niemals Früchte gebracht“. Johann Gottlieb Gleditsch, der damalige Präfekt, ließ Pollen einer männlichen Zwergpalme mit der Postkutsche aus Leipzig bringen und erzielte damit eine künstliche Befruchtung. Mit diesem so genannten Experimentum Berolinense ging er in die Geschichte der Biologie ein, denn die zentrale Rolle des Pollens war erstmals aufgeklärt worden. Als die Zwergpalme dann 181 Jahre später starb, kam sie zu Recht ins Botanische Museum.

Auch der Begründer der modernen Blütenbiologie lebte in Berlin – Christian Konrad Sprengel, Rektor der Hohen Schule in Spandau, an den ein Denkmal im Botanischen Garten Berlin-Dahlem erinnert. Er untersuchte als Erster die vielfältigen Beziehungen zwischen Blüten und ihren Besuchern und stellte fast immer ein Geben und Nehmen fest, d. h. die Pflanze bietet ihren Besuchern eine Leistung an, etwa Nektar zum Trinken, und erhält im Gegenzug eine Leistung, in der Regel den gezielten Transport ihres Pollens zu einer zweiten Pflanze. Dadurch werden Fremdbefruchtung und effektive Vermischung des Genmaterials erzielt. Besucher sind dabei meist Insekten, Vögel, Fledermäuse, seltener Beuteltiere oder Mäuse.

Rafflesia tuan-mudae: Aasfliegen werden von der übel riechenden Blüte der Pflanze magisch angezogen.

Generalisten und Spezialisten

Hunger, Durst, Schlaf, Duft, Sex bestimmen das Leben, nicht nur das des Menschen, sondern auch das der Blütenbesucher, und es versteht sich von selbst, dass gerade Anlockung durch Sex die Forschung besonders interessiert hat. Wie überall gibt es auch hier Generalisten und Spezialisten. Die braun gelb gefleckten Blüten der malesischen Gattung Rafflesia strömen einen intensiven Aasgeruch aus, der Massen von verschiedenen Aasfliegen-Arten anlockt, die in der Folge den Pollen auf andere Blüten transportieren. Aber auch Aasfliegen sind nicht altruistisch: Von einem Besuch einer stinkenden Rafflesia-Blüte haben sie einen wesentlichen Vorteil – sie finden Partner zur Kopulation.

Die Spezialisten sind da schon raffinierter – einige Orchideen locken nur Männchen oder Weibchen einer bestimmten Hautflügler-Art an und spiegeln ihnen jeweils ein Weibchen oder Männchen vor – optisch, durch Geruchsstoffe und über den Tastsinn. Daraufhin versuchen Männchen bzw. Weibchen mit der Blüte zu kopulieren, was natürlich frustriert abgebrochen wird. Mit Pollenpaketen beladen wird an einer anderen Pflanze ein zweiter Kopulationsversuch unternommen, der zum erwünschten Pollentransfer und zu einer neuerlichen Frustration für das Tier führt.

Drei-Phasen-Verführung

Auf die Ophrys-Arten, die von Grabwespen-Männchen besucht werden, wirken die einzelnen Signalgruppen teils mit-, teils nacheinander. Phase A: Fernanlockung. Bei vielen Bestäubern schlüpfen die Männchen früher als die Weibchen und oft noch dazu in größerer Zahl. Zunächst bleiben ihnen nur die Blüten zur Befriedigung ihrer Gelüste. Ein solches Männchen gerät in den vom Wind herangetragenen Duftstrom einer Blüte. Das Männchen biegt von seiner ursprünglichen Flugbahn ab und fliegt ziemlich geradlinig gegen den Wind auf die Duftquelle zu. Phase B: Nahorientierung. Das Männchen ist nun der Blüte so nahe gekommen, dass es sie sieht. Nun wirken auch optische Signale. Das Männchen umkreist die Blüte zunächst mehrmals und stürzt sich schließlich auf sie. Phase C: Landung, Pseudokopulation und Abflug. Das Männchen landet auf der Blüte, probiert die beste Körperstellung und versucht die Kopulation. Nach vergeblichen Begattungsversuchen – lange genug, um die Pollenpakete aufgeklebt zu bekommen – sagen innere Signale dem Männchen, dass es sich um vergebliche Liebesmüh handelt. Frustriert stellt es die Kopulationsversuche ein, fliegt mit den Pollenpaketen davon – und erliegt den Reizen einer neuen Blüte.

Die Orchidee Drakea glyptodon ahmt das Weibchen des Insekts Zapilothynus trilobatus täuschend ähnlich nach.

Die westaustralische Orchidee Drakea glyptodon ahmt so genau das flügellose Weibchen von Zapilothynus trilobatus nach. Auch hier versucht das Männchen, die Blüte zwischen die Beine zu nehmen und damit zu kopulieren. Während es hier zu keinem Austritt von Samenflüssigkeit aus dem Penis kommt, ist die im Südosten Australiens vorkommende Orchidee Cryptostylis leptochila erfolgreicher: Sie ahmt dermaßen perfekt das Abdomen der Weibchen von Lissopimpla-Arten nach, dass es zur Ejakulation kommt. Warum diese raffinierte, allerdings in Frust endende Verführung von Insekten nur bei Orchideen zu beobachten ist, bleibt unbekannt.

Prof. Hans-Walter Lack
Der Autor ist Direktor an der Zentraleinrichtung Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin-Dahlem der Freien Universität Berlin.

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