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[Interview mit dem Samuel-Fischer-Gastprofessor Sergio Ramirez]

Sergio Ramírez wurde 1942 in Masatepe/ Nicaragua geboren. Er studierte Jura an der Universität von León. 1963 publizierte er sein erstes Buch, mit dem simplen Titel „Cuentos“, zu deutsch: Erzählungen. Von 1973 bis 1975 war Ramírez im Rahmen des Berliner Künstlerprogramms Gast des DAAD in Berlin. Nach dem Sieg der Revolution in Nicaragua 1979 trat er in die neue Regierung ein und wurde 1984 zum Vizepräsidenten seines Landes gewählt. Diesen Posten behielt er bis 1990 inne. Von 1990 bis 1994 war er Führer der sandinistischen Fraktion im nicaraguanischen Parlament. Seit Mitte der 90er Jahre konzentriert Ramírez sich wieder auf das Schreiben. Er hat zahlreiche Romane, Essays und Erzählungen veröffentlicht und hat neben anderen Auszeichnungen 1998 den renommierten „Premio Internacional de Novela Alfaguara“ für seinen Roman „Margarita, está linda la mar“ erhalten. Sein Roman „Maskentanz“ und seine Erinnerungen an die sandinistische Revolution („Adiós Muchachos“) sind 1998, beziehungsweise 2001 auf Deutsch im Peter Hammer Verlag erschienen. Ramírez ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Im Sommersemester 2001 ist er Samuel-Fischer-Gastprofessor am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der FU. Felicitas von Aretin, Niclas Dewitz und Thorsten Lichtblau sprachen aus diesem Anlass mit dem Schriftsteller.

Was bedeutet Ihnen Ihre Muttersprache?

Eine immense Möglichkeit der Kommunikation. Ich bin sehr froh, eine so lebhafte und aggressive Muttersprache zu haben. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es wäre, wenn ich eine seltene Sprache sprechen würde, eine Sprache, die nur von einem kleinen Personenkreis verstanden würde. Das Spanische verbreitet sich immer weiter, vor allem in den USA. Dort gibt es schon ein amerikanisches Spanisch, ein Spanisch, das mit der Realität der Vereinigten Staaten zu tun hat. Ich glaube, dass das Spanische als große und vielfältige Sprache überleben wird und eine der großen Sprachen des 21. Jahrhunderts sein wird.

Können Worte für einen Politiker und Revolutionär wie Sie auch Waffen sein?

Wenn die Worte noch ihre eigentliche Bedeutung tragen und tatsächlich das ausdrücken, was sie sagen wollen, sind sie eine wirkliche Waffe. Wenn sie aber, wie es leider häufig passiert, hohl werden und nur noch rhetorische Werte repräsentieren, wenn Worte, die einmal lebten, die große Veränderungen ausdrück-ten, wie zerbrochene Glocken klingen, dann verlieren sie ihre Bedeutung, ihren Sinn, ihren eigentlichen Wert. Das beste Beispiel für einen solchen Fall ist das Wort „Revolution“, das verbraucht ist, das seinen Sinn, seine wahre Bedeutung verloren hat.

Welchen Unterschied sehen Sie zwischen der Sprache, die der Dichter Ramírez benutzt, und der Sprache des Politikers Ramírez? Beinflussen sich die beiden Sprachstile?

Nun, ich denke, die Sprache des Schriftstellers basiert auf der Erfindung. Je mehr Wörter, Sätze oder Bilder ein Autor erfindet, um so ein besserer Schriftsteller ist er. Im Gegensatz dazu halte ich einen Politiker, der die Worte als Waffen der Erfindung benutzt, für einen Lügner. Es gibt also einen fundamentalen Unterschied zwischen der Sprache des Politikers und der Sprache des Schriftstellers: Ein Politiker, der erfindet, lügt, während ein Schriftsteller, der erfindet, nur der Phantasie treu ist. Der Politiker, der vor dem Volk spricht, muss aufrichtig sein, d.h. er darf keine leeren Worte, keine Worthülsen benutzen. Das heißt jedoch nicht, dass nicht auch jedes politische Projekt voller Phantasie ist, dass nicht jede politische Utopie auf der Vorstellungskraft beruht. In diesem Sinne gibt es auch eine politische Phantasie.

Beinflusst die Sprache den Inhalt dessen, was ein Autor schreibt?

Ja, sehr. Für einen Autor gibt es zwei Universen: das Universum der Phantasie und das Universum des geschriebenen Wortes. Die Phantasie wäre unnütz ohne das geschriebene Wort. Für mich besteht die große Schwierigkeit in der Kunst der Literatur darin, das Problem der Sprache zu lösen. Meist ist das Problem der Phantasie sehr viel leichter zu lösen. Zum Schriftsteller wird man jedoch erst durch das Schreiben, den schwierigeren Teil. Mir zumindest fällt es nicht leicht zu schreiben. Es ist sehr viel schwieriger mit Worten festzuhalten, was man mit einem einfachen Fotoapparat darstellen kann. So kann man z.B. einen Baum je nach Tageslicht exakt abbilden. Diesen Baum mit der Sprache exakt zu beschreiben, den Moment festzuhalten, ist sehr viel schwieriger.

Zumindest in Ihren letzten Romanen spielt die Politik nur eine untergeordnete Rolle. Wollen und können Sie Politik und Literatur trennen?

Das ist in Lateinamerika sehr schwierig, weil das öffentliche Leben dort einen großen Einfluss auf das Privatleben hat. Es ist beinahe unmöglich, eine Liebesgeschichte in einem Schlafzimmer zu erzählen, ohne den Lärm der Straße zu berücksichtigen. Der Lärm eines Aufruhrs, einer Revolution dringt immer durch das Fenster ein. Privatsphäre und öffentlicher Raum sind zu eng miteinander verbunden, als dass der Schriftsteller den öffentlichen Raum ignorieren könnte.
Sind Sie noch politisch aktiv?

Nun, als Bürger bin ich politisch engagiert. Ich habe klare Vorstellungen davon, wie die Gesellschaft sein sollte, ich habe meine persönlichen Utopien bewahrt. Als Schriftsteller äußere ich Meinungen und ich bin mir bewusst, dass diese Meinungen einen größeren Einfluss haben können, als wenn sie ein gewöhnlicher Bürger äußern würde. Ich glaube jedoch nicht, dass die Literatur dazu dient, politische Meinungen zu äußern.

Können Sie sich vorstellen, in die aktive Politik zurückzukehren?

Nein. Ich hatte ein sehr intensives politisches Leben, für das ich zehn Jahre meines Schriftsteller-Lebens geopfert habe. Ich habe mich in den letzten Jahren dazu gezwungen, meine Rolle als Schriftsteller anzunehmen und ich glaube nicht, dass ich auf diese Rolle noch einmal verzichten werde. Ich habe noch viele literarische Verpflichtungen zu erfüllen.

Die Revolution in Nicaragua ist letzten Endes gescheitert. Warum? Was hätte man anders machen müssen?

Alle Revolutionen haben einen Lebenszyklus. Sie enden, indem sie sich verändern, oder sie enden, indem sie als Machtprojekt scheitern. Sie scheitern als Machtprojekt, aber sie hinterlassen zumindest ein Erbe. Bis zum heutigen Tage sind alle Revolutionen als Machtprojekt gescheitert, von der Französischen Revolution bis zur Russischen Revolution. Aber sie haben der Geschichte der Menschheit ein wichtiges Erbe hinterlassen und das ist es, was mir wichtig erscheint.

Kann Kuba für Lateinamerika heute noch ein Vorbild sein?

Nein, auf keine Art und Weise. Das Projekt Kubas ist ein singuläres Projekt, das keine Lösung für irgendein anderes Land in Lateinamerika darstellt.

Wie sehen Sie die Entwicklung in Deutschland, auch bezüglich der zunehmenden Gewalt gegen Fremde?

Berlin erscheint mir ein guter Beobachtungspunkt für die Probleme der Wiedervereinigung, vielleicht der beste. Ich habe diese Stadt geteilt erlebt in den 70er Jahren, und ich bin zurückgekehrt im Sommer 1990, als die Mauer schon Löcher hatte, durch die man schlüpfen konnte. Ich denke, dass Deutschland einen sehr komplexen Prozess der Integration durchläuft, der noch lange nicht abgeschlossen ist. Zwar existiert die Mauer nicht mehr, doch gibt es in Berlin noch unsichtbare Grenzen. Man kann immer noch kulturelle Spannungen feststellen, die für einen Beobachter wie mich, der in Berlin gelebt hat, höchst interessant sind.

Das Problem der Fremdenfeindlichkeit ist, glaube ich, kein deutsches, sondern ein europäisches Problem. Je stärker die erste Welt, zu der Westeuropa zählt, in ökonomischer Hinsicht wird, umso attraktiver wird sie für die Armen sowohl Osteuropas als auch Nordafrikas. Ich denke, dass die erste Welt dieses Problem angehen muss, nicht nur, da sie Arbeitskräfte benötigt, sondern auch um des friedlichen Zusammenlebens willen mit ihren Nachbarn.

Wie hat sich Berlin seit den 70er Jahren verändert? Gefällt es Ihnen mehr oder weniger als früher?

Ich komme mir verlorener vor als in den siebziger Jahren (lacht). Damals war Berlin zwar eine große Stadt, aber ich konnte mich noch zurechtfinden. Heute ist die Stadt zu groß für mich und hat viele Neuheiten; Berlin ist eine Stadt, die sich sehr schnell verändert. In den 70er Jahren war Berlin groß, aber provinziell, heute entwickelt sich Berlin hin zu einer Weltstadt, einer weltoffenen Stadt wie es das Berlin der 20er Jahre war, das Berlin Alfred Döblins, wie er es in „Berlin Alexanderplatz“ schildert. Diese Entwick-lung hat viele Risiken, wird aber nicht aufzuhalten sein. Ich bevorzuge jedenfalls immer noch den Westteil der Stadt, wo es provinzieller ist, wo alles nah beieinander ist und die U-Bahn-Stationen noch aus dem 19. Jahrhundert zu stammen scheinen.

Wie erleben Sie die Atmosphäre an der FU Berlin und in Ihrem Seminar?

Ich genieße mein Seminar sehr. Die Zahl der Teilnehmer ist recht groß, fast 40 Studenten. Die meisten von ihnen sind Deutsche, was mich sehr freut. Das akademische Ambiente hier ist fast perfekt für mich, es ist voller Aktivität, bietet aber auch ausreichend Ruhe, es entspricht nicht der typischen nordamerikanischen Universität, die ich kenne. Im Herbst unterrichte ich an der University of Maryland, wo das Universitätsleben voller Regeln und Formalitäten ist. Hier haben die Studenten größere Freiheiten, sie kommen und gehen, wie es ihnen passt.

Felicitas von Aretin, Niclas Dewitz, Thorsten Lichtblau

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