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FU-N 5/2000
Studierende
   

Moot Court für Anfänger-Juristen an der FU
"Sie ist doch keine Herdhenne!"

"Kläger, Sie haben das Wort." Der Richter schaut streng in die Runde und runzelt die Stirn.
Ein junger Mann in einem zu engen schwarzen Anzug geht schnell und sicher zum Podium. Er richtet seine Krawatte, holt aus der Tasche große gelbe Kärtchen heraus, räuspert sich mehrmals und fängt an: "Verehrtes Gericht." Er spricht zunächst zaghaft, dann immer mutiger. In wenigen Minuten bewegt er sich fast professionell durch den Raum. Er ist Teilnehmer an einem Moot Court (en. Probeverhandlung) der Freien Universität.

Schon in den ersten zwei Semestern können sich jetzt Studierende in ihren ersten Verhandlungen im Verfassungsrecht üben – vor Publikum und richtigen Richtern, jedoch nicht im Gericht, sondern in einem für Habilitationsverfahren reservierten Raum, der in der Jura-Bibliothek versteckt ist. Der Modellversuch Moot Court für Anfänger ist Ende des Wintersemesters 1999/2000 zum ersten Mal gelaufen und war ein großer Erfolg.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich in Lehrveranstaltungen von den Professoren für den Moot Court rekrutieren lassen. Sie bekamen einen aktuellen und umstrittenen Fall – Annika Aschenbach, die moslemische Lehrerin, der verboten wurde, mit Kopftuch an einer Berliner Schule zu unterrichten, gegen das Land Berlin. Vier Teams bestehend jeweils aus drei bis vier Studierenden übernahmen die Rolle der Klägerin und des Verteidigers und hatten circa einen Monat Zeit, sich auf die Verhandlung vorzubereiten. Jedes Mitglied des Teams durfte dann in 20 Minuten seine Argumente vorbringen und musste auch in dieser vorgegebenen Zeit auf die provokativen und unerwarteten Fragen der fünf Richter richtig eingehen. Nur wenige konnten dabei den roten Faden behalten und Ruhe bewahren – "Die Klägerin ist doch keine Herdhenne. Sie ist eine gebildete und selbstbewusste Frau", lautete zum Beispiel ein Argument der Verteidigung.

Bewertet werden bei Moot Courts nicht nur der Inhalt der Reden, sondern auch der Gesamteindruck – die Rhetorik, der klare Ausdruck, das Auftreten, die Spitzfindigkeit und Reaktionsfähigkeit, die Flexibilität und Spontaneität der Studierenden. Doch einen Schein für die Teilnahme an einem Moot Court gibt es nicht – die Teilnahme ist freiwillig. Als Anreiz lockt ein Rechtspraktikum beim Bund der Deutschen Industrie, das auf das Siegerteam von Klägern und Verteidigern wartet. "Das ist schon toll. Dieses Praktikum gilt viel unter Juristen und ist kaum zu bekommen. Man ist froh, wenn man in eine kleine Agentur hinein schnuppern darf", sagt Jurastudentin Kerstin Becker.

Im nächsten Semester gibt es wieder einen Moot Court für Anfänger. Fortgeschrittene können ihre Fähigkeiten bei einem professionelleren Moot Court, in dem Teams aus verschiedenen Universitäten gegeneinander argumentieren, unter Beweis stellen. In der nächsten Ausgabe der FU-Nachrichten werden wir darüber berichten.

Irene Portnoi