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Arbeitsbereich Umweltbildung koordiniert 25-Millionen-Mark-Projekt
Vom Honig der Nachhaltigkeit

ULRICH BÖHME-SCHATTLING

"Dem Honig auf der Spur" war im vergangenen Schuljahr eine Projektgruppe des 10. Jahrganges der Bettina-von-Arnim-Oberschule in Berlin-Reinickendorf. Das Schülerinteresse galt allerdings weniger den fleißigen Bienen als vielmehr dem Konsumverhalten fleißiger Endverbraucher. Ausgangspunkt war der Widerspruch zwischen dem Image des Honigs als gesunden Produkts einer natürlichen Umwelt und dem Angebot von Honigsorten aus aller Welt, die über teils enorme Transportwege in die Berliner Supermärkte und Läden kommen. Die Käufer wählen ihren Honig fast ausschließlich nach Geschmack, ergab die Kundenbefragung. Honigliebhaber, die ihren Stoff nicht aus dem Supermarkt bezogen, sondern aus Bioladen und Reformhaus, legten darüber hinaus auch Wert auf ökologische Erzeugung und Herkunftsland. Ihr umweltfreundlicher Honig musste zum guten Teil aus Australien oder Neuseeland anreisen. Beispielhaft ausgerechnet haben die Schüler die CO2-Emissionen für den Transport aus Kanada, woher sowohl Supermarkt- als auch Reformhaus-Honige kamen. Schiff, Bahn und LKW brachten 140 Gramm CO2 zusammen – pro 500-Gramm-Glas. Für Raps-Honig aus Brandenburg lag der Wert unter 10 Gramm. Wirtschaftliche Aspekte wie Preis und Produktionskapazitäten in Deutschland sind in der Untersuchung der Schüler zwar nur am Rande betrachtet worden. Gleichwohl haben sie erkannt, dass das Konsumverhalten von Kunden durch viele, im Übrigen auch soziale, Faktoren beeinflusst wird.

Schüler auf dem Markt: Die Leute dürfen probieren
und ihre Meinung sagen.
Fotos: Fahle

Die Reinickendorfer Schülerarbeit ist zwar noch eine Vorlaufstudie für die FU-Wissenschaftler, die das Millionenprojekt "Bildung für eine nachhaltige Entwicklung" koordinieren, aber sie verdeutlicht auch die Möglichkeiten und Erfolgsaussichten dieses Lernprogramms. Unter Leitung von Prof. Dr. Gerhard de Haan, Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie der FU, suchen Wissenschaftler, Fachleute in fast allen Bundesländern und vor allem Lehrer und Schüler in über 160 Modellschulen, nach Möglichkeiten, "Bildung für eine nachhaltige Entwicklung" in die Lehrpläne zu bringen. Auftraggeber ist die Bund-Länder-Kommission (BLK) für Bildungsplanung und Forschungsförderung. Bundesbildungsministerium und beteiligte Länder geben für das BLK-Programm "21", das auf fünf Jahre angelegt ist, insgesamt 25 Millionen Mark aus. Grundlage ist die Agenda 21, die 1992 auf der UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro von fast 180 Staaten unterzeichnet worden war.

Ein Honigfrühstück in der Bettina-von-Arnim-Schule.

Foto: Fahle

Das Projekt ist im Wesentlichen an der FU entwickelt worden. Prof. de Haan und Dorothee Harenberg erarbeiteten das entsprechende Programmgutachten. Die Schlüsselqualifikationen für die Zukunft haben de Haan und Harenberg unter dem Begriff der "Gestaltungskompetenz" zusammengefasst. Gemeint ist damit das "Vermögen, die Zukunft von Sozietäten, in denen man lebt, in aktiver Teilhabe im Sinne nachhaltiger Entwicklung modifizieren und modellieren zu können." Zur Gestaltungskompetenz gehören vorausschauendes und vernetztes Denken, interdisziplinäres Herangehen, die Fähigkeit zu Solidarität, Verständigung und Kooperation zwischen den Kulturen. Des weiteren schließt sie die Fähigkeit ein, sich und andere zu motivieren. Eigene und kulturelle Leitbilder können aus einer kritischen Distanz heraus hinterfragt werden. Wer über Gestaltungskompetenz verfügt, kann in vielen Lebenslagen die Zukunft vorausschauend variieren und modellieren, und reagiert nicht nur auf bereits entstandene Probleme. Die Wirkungsmöglichkeiten reichen von Wirtschaften, Konsum und Mobilität über Freizeit und Alltag bis zu internationalen Beziehungen.

Das Lernziel des Erwerbs von Gestaltungskompetenz für eine nachhaltige Entwicklung soll im BLK-Programm "21" auf Basis von drei Unterrichts- und Organisationsprinzipien verwirklicht werden: Interdisziplinäres Wissen knüpft an die Notwendigkeit "vernetzten Denkens" an und zielt auf die Entwicklung von Problemlösungskompetenzen ab. Partizipatives Lernen greift die zentrale Forderung der Agenda 21 nach Teilhabe aller gesellschaftlichen Gruppen am Prozess nachhaltiger Entwicklung auf.

Offizieller Start des BLK-Programms "21" war im August vorigen Jahres. Die drei Prinzipien werden in den bis jetzt rund 160 Modellschulen unter einzelnen Aspekten umgesetzt. Dazu gehören beispielsweise Syndrome des globalen Wandels, Mobilität und Nachhaltigkeit, Partizipation in der Lokalen Agenda 21 oder Schülerfirmen. Mit einem Nachhaltigkeits-Audit sollen Schüler überprüfen, ob Bildungsinhalte und Bildungsmethoden an ihrer Schule zukunftsfähig sind. Dazu müssen sie selbst die entsprechenden Kriterien entwickeln. Jeweils etwa sechs Schulen arbeiten in so genannten Sets an einem der Themenfelder und sind derzeit dabei, konkrete Projekte und Strukturen zu entwickeln, die in ersten Ansätzen im kommenden Schuljahr umgesetzt werden sollen. Pro Land gibt es ein bis drei Sets (Berlin hat drei mit 18 Schulen), die auch zunächst erst einmal in den Ländern betreut werden.

In der Koordinierungsstelle des Programms im Arbeitsbereich Umweltbildung an der FU laufen schließlich alle Fäden zusammen. Prof. de Haan und seine Mitarbeiter unterstützen Schulen und Länder bei der Entwicklungsarbeit, geben Materialien heraus, bieten Fortbildungen an und fördern die Kommunikation zwischen den Beteiligten. Für die Information der Öffentlichkeit hat die Zentrale Koordinierung einen eigenen Bereich Öffentlichkeitsarbeit geschaffen, der Fach- und Tagespresse mit Informationen versorgt und bis zum Herbst eine Zeitschrift zur "Bildung für eine nachhaltige Entwicklung" herausbringen wird.

Eine Hauptaufgabe der Koordinierungsstelle ist die Evaluation der Ergebnisse, also die Einschätzung, ob überhaupt etwas herauskommt, was dann ab 2004 an allen Schulen in Deutschland umgesetzt werden kann. Neben der internen Programmevaluation ist auch eine Fremdevaluation der Arbeit der Koordinierungsstelle vorgesehen.

Noch sind alle Schulen in der Planungsphase, aber während in einigen Bundesländern auf bestehende Netzwerke beispielsweise von "Agenda-Schulen" und "Umweltschulen in Europa" zurückgegriffen werden konnte, musste in Berlin und Brandenburg (fast) bei Null angefangen werden. Wesentliches Kriterium für die Auswahl einer Schule war und ist – auch in den anderen beteiligten Ländern – die Vielfalt der avisierten Schwerpunkte, damit auch alle inhaltlichen Aspekte behandelt werden können. Neben der fachlichen Unterstützung durch die Zentrale Koordinierungsstelle und die Programmwerkstatt des Landes winken den Schulen Ermäßigungsstunden für die verantwortlichen Lehrer und Sachmittel.

Mit von der Partie ist auch die eingangs erwähnte Bettina-von Arnim-Oberschule. Dort sind in die Analyse des Honig-Problems Kenntnisse aus verschiedenen Unterrichtsfächern wie Geografie, Chemie, Biologie und Mathematik eingeflossen, ähnlich fachübergreifend könnte Konsumerziehung im Sinne des BLK-Programms "21" im regulären Unterricht umgesetzt werden. Auch soziale Fragen in den Herkunftsländern weit gereister Produkte könnten eine Rolle spielen und damit den Gedanken des globalen Lernens täglich auf den Frühstückstisch platzieren. Mit einem Nachhaltigkeits-Audit werden die entsprechenden Unterrichtsinhalte von den Schülern überprüft und bewertet. Eine Schülerfirma könnte eine Imkerei betreiben oder sich wenigstens um den Vertrieb einheimischen Honigs bemühen, eine andere als Druckerei die Etiketten produzieren. Sie müssen also nicht nur dem Honig auf der Spur bleiben, sondern selbst auch fleißig sein – wie die Bienen.