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FU-N 1-2/2000
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Projektutorium des Latein-Amerika-Institus
Nicht jeder Indianer trägt Federn


Forscherexpeditionen versuchen den Schatz der ausgestorbenen Maya zu erbeuten. Das ist nur ein Spiel, spannend, aber nicht ganz neu: Es heißt "Das Gold der Maya" und ist eines von vielen indianisch aufgemachten Gesellschaftspielen, die in den letzen Jahren auf den Markt gekommen sind. Bedauerlich nur, dass die Erfinder des Spiels den Kalenderstein der Azteken zum Erkennungszeichen eines Spiels über die Maya deformierten und dass die gesamte Struktur der Spielregeln auf kolonialem Verhalten aufbaut.

Stufenpyramide der Herrschaftsstrukturen der Azteken im Anthropologischen Museum Mexiko-Stadt

Dies ist nur eines von vielen Beispielen für die Verfälschungen indianischer Kultur, die Spiele, Werbung, ja selbst Lehrpläne und Bücher immer noch verbreiten. Aus Ärger über diese ignorante, oft sogar absichtlich hergestellte Perspektive auf die Indianer, planten die Studentinnen Ute Stübel und Annette Berger am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin ein Projekttutorium – ein Seminar, von Studierende für Studierende konzipiert. Projekttutorien sind interdisziplinär zusammengesetzt. So auch das Projekttutorium "Weltbilder und Bilderwelten: Indianer zwischen Mythos und Realität" : Studierende aus den Fachrichtungen Ethnologie, Politologie, Publizistik, Lateinamerikanistik und den Erziehungswissenschaften wollen nicht nur mit wissenschaftlichen Methoden klären, wie es zu Klischeebildungen kommt, sondern darüber hinaus vor allem eines deutlich machen: dass Indianer nicht gleich Indianer sind.

Die Maya lebten schon seit 600 v. Christus in Mittelamerika auf der Halbinsel Yucatán und breiteten sich im Lauf der Jahrhunderte nach Guatemala hin aus. Sie hatten nicht nur eine eigene Hieroglyphenschrift entwickelt, sondern auch eine aus astrologischen Kenntissen heraus hoch entwickelte Mathematik, mit der sie Kalender und Sternenläufe bis auf die Stunde genau errechneten. Ihre Architektur richtete sich deshalb nach Sonnenstand und Sternkonstellationen aus. So bauten die Maya Pyramiden, die sowohl astrologische Zentren als auch Tempelanlagen darstellten. Ihr höchster Gott war der namenlose Sonnen- und Schöpfergott. Als Vermittler trat sein Sohn ein, der Himmelsgott Itzamna, der, wie die Maya glaubten, mit der Mondgöttin verheiratet war, eine Göttin der Liebe und der Geburt.

Die Blütezeit der Azteken hingegen liegt erst im 11. Jahrhundert nach Christus. Die Azteken wanderten vom Norden Mexikos in die mexikanische Hochebene (Tenochtitlán) und unterwarfen sich die dort bestehenden Kulturen. Durch Handel und Kriege dehnten sie ihre Herrschaft aus. Wenngleich die Azteken kein Reich bildeten, waren ihnen doch die meisten Stämme Mexikos tributpflichtig. Auch sie hatten Pyramiden, deren oberer Teil als Wohnung der Götter diente. Da die Azteken glaubten, dass die Kraft der Götter nicht unerschöpflich sei, versuchten sie, ihre Gottheiten durch Menschenopfer zu stärken, damit diese ihren Stamm weiterhin erhalten konnten. Im 15. Jahrhundert landeten die ersten Eroberer in Mexiko. Wegen ihrer hellen Hautfarbe wurden sie von den Aztken für Götter gehalten. Als sich die Weißen jedoch weigerten, das zu ihren Ehren angebotene menschliche Opferfleisch zu essen, kamen den Azteken die ersten Zweifel an der Göttlichkeit ihrer Besucher. Die in unseren Augen grausigen Riten gehören jedoch ebenso zur aztekischen Kultur wie die Aquädukte, die Baukunst und der berühmte Kalenderstein, der die Jahre und Stunden in einem 52-jährigen Zyklus errechnete.

Rekonstruktion der Stadt Tenochtitlan
im Anthropologischen Museum Mexiko-Stadt

Für die Organisatorinnen sind die Berichte der Entdecker Amerikas ebenso Gegenstand des Projekttutoriums wie die verschiedenen Rassentheorien und die koloniale Ausbeutungs- und Vernichtungsgeschichte der Indios durch die europäischen Einwanderer, die bis ins 20. Jahrhundert hineinreicht.

Noch heute werden die Nachfahren der Indios unterdrückt und ausgegrenzt. Über verschiedene Herangehensweisen versucht das Projekttutorium sich der Problematik der Rezeption zu nähern. Dazu gehören Fremdwahrnehmung, Stereotypen und Rassentheorien.

Aufschlüsse über die Position des Indianers in der Gegenwart gibt es auch in der Malerei: So versucht z.B. der bekannte mexikanische Maler Rivera mit seinen Bildern die mexikanischen Geschichte darzustellen, um so eine bessere Wahrnehmung der indianischen Kultur zu erreichen.

Die wissenschaftlichen Ergebnisse ihrer Arbeit möchten die Seminarteilnehmer/innen produktiv umsetzen, indem sie innerhalb einer Schulprojektwoche mit Kindern arbeiten. Anstatt falscher Vorstellungen soll den Kindern altersgemäß ein differenzierteres Verständnis indianischer Kulturen vermittelt werden. Davor steht für die Studierenden allerdings die theoretische Auseinandersetzung mit dem "Projektlernen". Den Kindern, mit denen sie arbeiten, wollen sie nicht nur Wissen und Verständnis vermitteln, sondern auch ein Gefühl für Toleranz und Fairness fremden Kulturen gegenüber.

Irmelin Ehrig
Fotos: Anette Berger