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Wirrwarr, Meinungsvielfalt und Reformbeginn:
Die Einführung von Master oder Bachelor

   
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Wirrwarr, Meinungsvielfalt und Reformbeginn:
Die Einführung von Master oder Bachelor


Seehunde ohne Weibchen auf bebender Erde

VON FELICITAS VON ARETIN

"Das Wort Bachelor hat drei Bedeutungen: Die erste ist ,Junggeselle‘, die zweite junger Seehund, während der Brunstzeit ohne Weibchen, also wahrlich ein armer Hund! Erst an dritter Stelle der möglichen Bedeutung folgt der akademische Grad Bachelor", warnte der Präsident der Kultusministerkonferenz (KMK), Hans Joachim Meyer, jüngst seine Kollegen und warf ihnen in ihrer Begeisterung für die Einführung neuer Studienabschlüsse "Amerikabesoffenheit" vor. Glaubt man der Einschätzung einer Reihe prominenter Beobachter und Akteure der bildungspolitischen Szene, steht Meyer mit seiner Kritik weitgehend alleine da, das deutsche Studiensystem dafür vor einer "Revolution" – wie nicht nur die Frankfurter Allgemeine Zeitung jüngst titelte. Dabei verstellt die scheinbar breite politische Zustimmung nur den Blick für die in Wahrheit höchst unterschiedlichen Motive, weshalb Ministerien, Verbände, Hochschulen, Professoren und Studierende sich für die schrittweise Erprobung von Bachelor und Master einsetzen.

Am weitreichendsten argumentiert der Wissenschaftsrat im Verein mit der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), der Master - und Bachelor-Titel für alle Fächer erproben will, auf längere Sicht als Ersatz von Diplom und Magister. "Wir können unseren Studienbetrieb am Ende dieses Jahrhunderts, wenn 30 bis 40 Prozent eines Jahrganges in die Hochschulen gehen, nicht mehr organisieren, wie wir das getan haben, als fünf Prozent eines Jahrganges auf die Hochschulen wechselten", sagte der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Winfried Schulze, jüngst dem Tagesspiegel. Drei Jahre Bachelor, zwei Jahre Master, drei Jahre Promotion soll der neue Rhythmus sein. Damit hofft der Wissenschaftsrat unter anderem die hohe Quote an Studienabbrechern zu senken, der Wirtschaft jüngere Absolventen zu präsentieren. Doch Schulzes Absicht zielt weiter: Mit der Reform der Studienabschlüsse soll die überfällige Hochschulreform in Gang kommen. Der Wissenschaftsrat bereite ein "neues Hochschulsystem für Deutschland vor", so eine dpa-Meldung.

Christian Bode, Generalsekretär des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), argumentiert hingegen vor allem mit der Attraktivität der deutschen Hochschulen für ausländische Studierende und mit der Eingliederung deutscher Studierender und Absolventen in ausländische Studien- und Beschäftigungssysteme. Der Philosophische Fakultätentag, bislang scharfer Gegner von Bachelor und Master, entdeckte erst im Sommer die Vorzüge des Kurzstudiums: Verbesserung der Arbeitsmarktchancen und ein Senken der Abbruchquoten bei den Geisteswissenschaftlern heißen die neuen Zauberwörter. Nach einer kurzen Grundausbildung soll der erste Abschluß, der Bachelor, vergeben werden. Nur ein Teil der Bachelors soll – nach Tests, Auswahlgesprächen und auf Grund eines Prädikatsexamen – ein Masterstudium anschließen dürfen, was die Vermutung nahelegt, dass es den Professoren auch darum geht, sich des Massenansturms in ihren Fächern auf elegante Art zu entledigen.

"Studierende wünschen sich mitunter den Bachelor-Abschluss, weil sie sich nicht mehr schon im ersten Semester für fünf bis sechs Jahre Studium festlegen wollen", ergänzt Traugott Klose, Abteilungsleiter Lehre und Studium die unterschiedliche Motivlage. "Die breite Zustimmung resultiert also offensichtlich auch daraus, daß das neue Studiensystem für eine Vielzahl von über viele Jahre aufgestaute strukturelle Probleme der deutschen Hochschullandschaft eine erfolgversprechende Lösungsperspektive verspricht", resümmiert Christoph Heine vom Hochschul-Informations-System.

Und so verwundert es nicht, dass in Bezug auf Master und Bachelor die engagiert geführte Diskussion mehr Fragen offen lässt als sie beantwortet. Reicht ein Fach für den Bachelor oder sollen mehrere Fächer studiert werden, ist nur eine der entscheidenden Fragen. Allgemeine curriculare Fragen, wie das Verhältnis von Theorie und Praxis, die Frage nach der Tiefe des Studienangebotes oder der Vorbereitung auf einen bestimmten Beruf sind ebenso ungeklärt wie speziellere curriculare Fragen: Wie kann sich der Bachelor sinnvoll in die traditionellen Formen der deutschen Hochschulausbildung einfügen? Welche Inhalte, Zielsetzungen und welches Niveau müssen für ein Bachelor-Studium erfüllt werden? Darf sich jede/r nach dem Bachelor-Abschluss für den Master einschreiben? Wird es künftig ein einheitliches Grundschema zwischen den einzelnen Hochschulen und Ländern geben? Vor allem die Universitäten wehren sich gegen das Verflachen der Unterschiede zwischen Fachhochschulen und Universitäten. So stellt sich grundsätzlich die Frage, ob Abschlüsse an Universitäten und Fachhochschulen künftig gleichgestellt werden? Bislang fehlen Masstäbe für die einheitliche Punktvergabe für das Leistungspunktsystem, das die Kultusministerkonferenz (KMK) zur Voraussetzungen der Einrichtung der neuen Studiengänge erklärt hat.

Studierende scheinen die vieldiskutierten Abschlüsse nicht zu kennen. "Was erwarten Studierende von Bachelor, Master und Credit-System?", wollte das Hochschul-Informationssystem (HIS) in einer im Juni 1999 veröffentlichten Längsschnittbefragung der Studienberechtigten von 1994 wissen. Das Ergebnis ist ernüchternd: Jeder fünfte kannte die Bezeichnung Master und Bachelor nicht, 60 Prozent sehen die neuen Abschlüsse als "Attraktion für ausländische Kommilitonen" und nur ein Achtel würde sich für den Bachelor-Abschluß entscheiden.

Dennoch sind in den vergangenen Jahren bundesweit geltende rechtliche Rahmenbedingungen und politische Entscheidungen getroffen worden. So sieht das im Sommer 1998 novellierte Hochschulrahmengesetz in §§ 15 und 19 sowohl die Einführung des Leistungspunktesystems als auch zur Erprobung die Einführung neuer Studienabschlüsse wie Bachelor- und Mastergrade an Fachhochschulen und Universitäten vor. Die Regelstudienzeit für den Bachelor soll drei höchstens vier Jahre betragen und endet mit einer Prüfung. Wer den Bachelor hat, darf sich für ein Masterstudium einschreiben, das höchstens zwei Jahre dauern soll. Auf Drängen der HRK einigten sich die Kultusminister der 16 Länder zudem im Dezember vergangenen Jahres auf eine einheitliche Regelung für die Anerkennung der neuen Studiengänge. Bislang mussten sich die KMK und die HRK nämlich in einer zähen Prozedur auf eine Rahmenprüfungsordnung verständigen, wenn eine Hochschule einen neuen Studiengang einführen wollte. Künftig soll ein im Juli dieses Jahres probeweise für drei Jahre einberufener Akkreditierungsrat Kriterien für die Vergleichbarkeit der Studiengänge entwickeln und die Akkreditierungsagenturen überwachen. In diesen Agenturen arbeiten Vertreter aus Wirtschaft und Hochschulen eng zusammen und bewerten und prüfen die neuen Studiengänge. Erst Ende August meldete der Verein deutscher Ingenieure die Gründung einer Akkreditierungsagentur, die neue Studiengänge in den Ingenieurwissenschaften begutachten soll. Die Länder, die für die neuen Studiengänge die Kosten tragen, können Mindestkriterien aufstellen und haben bei der Zulassung das erste oder letzte Wort. Im März 1999 hat die KMK schließlich länderübergreifende Strukturvorgaben für die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen gemacht, die die Studiendauer und -struktur, die Zugangsvoraussetzungen, die Abschlüsse und Abschlußbezeichnungen regeln.

Schon gibt es nach einer Übersicht der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) im Sommer 123 Bachelor- und 145 Masterstudiengänge.

Für die Berliner Hochschulen regelt eine Richtlinie für die Erprobung von Bachelor und Masterstudiengängen vom August diesen Jahres die Einführung der neuen Studiengänge. Das berufsqualifizierende Bachelor-Studium soll sich danach auf ein wissenschaftliches Kernfach konzentrieren und an Fachhochschulen in der Regel vier, an Universitäten drei Jahre dauern. Nach bestandener Bachelor-Prüfung kann das Masterstudium angeschlossen werden – in der Regel ohne Aufnahmeprüfung. Wer Master werden will, braucht an Universitäten zwei, an Fachhochschulen ein Jahr.

An der Freien Universität gibt es seit dem vergangenen Sommersemester den ersten Bachelor in Statistik und damit nicht zufällig in den Naturwissenschaften. "In Fächern, in denen Studierende von der Wirtschaft schon nach wenigen Semestern abgeworben werden, kann der Bachelor sinnvoll sein", sagt Prof. Dr. Gisela Klann-Delius, die zuständige Vizepräsidentin. Eine Grundsatzentscheidung, in allen Fächern die neuen Studienabschlüsse einzuführen, ist bislang nicht gefallen. "Ein Bachelor in analytischer Philosophie muss eben andere Bedingungen erfüllen als ein Bachelor für Geflügelkrankheiten", sagt Klann-Delius und hat deshalb erst einmal bis Ende Oktober die einzelnen Fachbereiche gebeten, ihre Meinung und Einschätzung zu schildern. (Wir werden darüber berichten.)

Foto: Paul Glaser