Vor 100 Jahren begann der Umzug des Botanischen Gartens nach Dahlem

Kartoffeln, so weit das Auge reicht


Vor 100 Jahren, im Juni 1897, genehmigte Wilhelm II., "daß der Botanische Garten von Berlin, Potsdamer Straße, nach Dahlem auf das Gelände der Domäne verlegt werden soll". Die aufstrebende Metropole Berlin wuchs und machte die dringend notwendige Erweiterung der alten Anlagen in Schöneberg unmöglich. Die botanische Forschung war auf einem Höhepunkt, die botanischen Gärten in Europa hatten mit der Ausdehnung des Kolonialismus ihre Blüte erreicht. Adolf Engler, der Direktor des Berliner Botanischen Gartens, damals noch "königlich", machte sich Gedanken über eine Erweiterung des Terrains. Von Friedrich Althoff, Ministerialdirektor im preußischen Kultusministerium, kam der Vorschlag, das Schöneberger Areal zu verkaufen und den Garten mitsamt Museum auf die Domäne Dahlem zu verlegen. Dahlem: Kartoffeln, so weit das Auge reichte. Engler war von dem Vorschlag nicht begeistert. Doch ein besser geeignetes Gelände gab es nicht. Englers Vizedirektor, Ignatz Urban, der sich sehr engagiert für die Verlegung einsetzte, hatte dies in einem Gutachten nachgewiesen.

Die Domäne mußte 40 Hektar von ihren Ländereien abgeben, drei Hektar kamen später dazu. Noch im selben Jahr wird damit begonnen, die gesamte Ackerfläche mit Dampfpflügen 80 cm tief umzugraben, einen See auszuheben und Berge aufzuschütten. 1899 kommen die ersten Pflanzen für das Freiland, darunter auch Bäume und Sträucher, die aus Schöneberg nach Dahlem transportiert wurden. Der neue Garten ist dreieinhalb Mal so groß wie der alte. Den Flächenzuwachs benutzt Engler unter anderem dazu, auf 13 Hektar die damals weltweit größte pflanzengeographische Abteilung anzulegen. Außerdem hat er hier weit bessere Möglichkeiten, seine Institution zum Mittelpunkt der Erforschung der neuen deutsch-kolonialen Pflanzenwelten zu machen. Engler hat Unterstützung von allerhöchster Stelle: Als 1901 für einen begrenzten Personenkreis die ersten Eintrittskarten zum Preis von 1 Mark ausgegeben werden, kommt der Kaiser.

Während das ländliche Dahlem ungefähr 230 Einwohner hat und die Roggenernte noch mit Ochsengespannen eingebracht wird, entsteht "am vornehmsten Platz im Garten auf der Höhe des Fichtenberges" ein gigantisches Monument fortschrittlicher Ingenieurskunst des frühen Industriezeitalters: Bis heute ist das Große Tropenhaus des Botanischen Gartens in Dahlem mit 60 Meter Länge, 30 Meter Breite und 23 Meter Höhe das größte freitragende Gewächshaus der Welt. Die anderen Schauhäuser werden wie bei einer Schloßanlage herumgruppiert, Sonneneinstrahlung und Schattenschlag genau berechnet. Der Bauinspektor Alfred Koerner, mit der Leitung der Bauarbeiten betraut, ist besonders stolz auf die Zentralheizung. "Es dürfte kaum einen anderen Heizbetrieb von gleichem Umfange geben", schreibt er 1909, "der unter Bedingungen, wie die Gärtner sie stellen, das Äußerste an Sorgfalt und Betriebsbereitschaft zu leisten hat."

Nicht nur die Anlage der Gewächshäuser - mit neuester Technik betrieben - war unvergleichlich. Das gigantische Dahlemer Projekt hält einem Vergleich mit den großen Bauvorhaben, die heute das Bild der Stadt Berlin prägen, durchaus Stand.

Alles in allem dauerte die Verlegung des Botanischen Gartens nach Dahlem von 1897 an zehn Jahre. 1906 war der Umzug des Gartens abgeschlossen, 1907 konnte das Botanische Museum übergeben werden. 1910 gab es eine feierliche Einweihung im Anschluß an einen Botaniker-Kongreß. Im Botanischen Garten hat man sich entschlossen, das 100. Jubiläum im Jahr 2003 zu feiern: Am 13. April des Jahres 1903, am Ostermontag, war der Botanische Garten in den Nachmittagsstunden zum ersten Mal für die breite Öffentlichkeit zugänglich. Damals zählte man 2.500 Besucher in Dahlem, heute sind es jedes Jahr 250.000. Die Kartoffel ist geblieben, 20.000 Pflanzenarten kamen dazu. Damit ist der Berliner Botanische Garten immer noch einer der größten und artenreichsten der Welt.

Susanne Weiss


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