Folterungen im afghanischen Bürgerkrieg

Verbrechen gegen die Menschlichkeit


In einem Bericht, den amnesty international 1995 im Rahmen einer Kampagne gegen Menschenrechtsverletzungen im Bürgerkrieg Afghanistans veröffentlicht hat, ist von dem Schicksal einer jungen Frau zu lesen, die Anfang 1994 im Kabuler Stadtteil Shahrara verge waltigt worden ist: "Ihr Ehemann war bei einem Bombenanschlag ums Leben gekommen. Sie hatte drei Kinder im Alter zwischen drei und neun Jahren. Um etwas Nahrung aufzutreiben, ging sie aus dem Haus und ließ ihre Kinder alleine zurück. Auf der Straße wurde s ie von zwei bewaffneten Mudschahedin verhaftet und in ein Gebäude gebracht, das den Truppen als Stützpunkt diente. Dort wurde sie drei Tage lang festgehalten und in dieser Zeit von 22 Männern vergewaltigt. Anschließend ließ man sie wieder frei. Als sie in ihre Wohnung zurückkehrte, waren ihre drei Kinder erfroren. Die Frau lebt inzwischen in Peschawar. Sie hat den Verstand verloren."

Welche Wirkung haben diese Zeilen auf Sie? Abscheu? Ekel bei dem Gedanken an die Täter? Unverständnis, daß Menschen einem Menschen so etwas antun können? Oder den Drang, diesen Artikel beiseite zu legen, um der Konfrontation mit solchen Tatsachen zu entgehen? In der Arbeit für "amnesty international" habe ich alle diese Reaktionen an mir selbst erlebt; vieles, was in den Berichten von Menschenrechtsorganisationen dokumentiert ist, möchte man sich am liebsten gar nicht erst vorstellen. Dennoch dürfen wir nicht wegschauen. Die Folter ist eine der schlimmsten Mißachtungen der Menschenwürde; sie bedeutet die Negierung jeglicher Humanität. Gleichzeitig aber ist sie eine weitverbreitete, in der Weltöffentlichkeit jedoch beinahe totgeschwiegene Wirklichkeit, insbe sondere, wenn es um Länder geht, die weit entfernt sind und das eigene Leben scheinbar nicht betreffen. Eines dieser Länder ist Afghanistan, das nur so lange im Blickpunkt der Öffentlichkeit blieb, solange es einer der Brennpunkte des Kalten Krieges war: Die sowjetischen Truppen waren 1979 in das Land eingerückt, um die kommunistische Regierung zu unterstützen, während die oppositionellen Mudschahedin-Gruppen von Pakistan, Iran, Saudi-Arabien und den USA mit Waffen beliefert wurden. Trotz des Abzugs der sow jetischen Truppen im Februar 1989 ist das Land nicht zur Ruhe gekommen. Nach dem Sturz der kommunistischen Regierung unter Präsident Najibullah übernahm im Juni 1992 Borhanuddin Rabbani die Regierung. Im Kampf um die Macht zerbrach jedoch die Allianz der verschiedenen Mudschahedin-Gruppierungen. In blutigen Konflikten kämpften sie um die Vorherrschaft in den einzelnen Provinzen Afghanistans, wobei die Führer der verschiedenen Fraktionen mehrfach ihre Bündnisse wechselten, wenn dies die eigene Machtpositio n auszubauen versprach. Ende 1994 tauchte eine neue Partei in diesem blutigen Konflikt auf: die Taliban, eine stark islamistisch geprägte Bewegung. Zu Anfang hatte sie einen beträchtlichen Zulauf, vor allem im Süden und Osten des Landes. Nachdem die Mudsch ahedin keinen Frieden gebracht hatten, setzten viele Afghanen ihre Hoffnungen auf die Taliban. Die Taliban-Milizen drangen immer weiter in den Norden vor und konnten im Herbst 1996 Kabul einnehmen. Der Bürgerkrieg ist jedoch noch immer nicht beendet. Im Mai 1997 mußten die Taliban eine militärische Niederlage hinnehmen, in Kämpfen um die nordafghanische Provinzhauptstadt Masar-i-Sharif.

Seit dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in Afghanistan sind inzwischen 18 Jahre vergangen - 18 Jahre, in denen insbesondere die afghanische Zivilbevölkerung unendlich zu leiden hatte, da die politischen Führer immer wieder brutale Übergriffe ihrer Soldaten duldeten. Folterungen waren und sind dabei an der Tagesordnung. Frauen und Mädchen werden von den bewaffneten Milizen als Kriegsbeute angesehen und nach Belieben vergewaltigt oder als Prostituierte verkauft. Gefangene wurden gezwungen, Fleisch zu essen, bei dem es sich nach Auskunft ihrer Peiniger um Menschenfleisch handelte. Man hat sie mit Elektroschocks gequält oder ihnen an den Hoden mit Zangen Quetschungen zugefügt. Zum Gefängnisalltag zählen ferner Schläge und Nahrungsentzug über längere Zeiträume hinweg. Die afghanischen Gefängnisse sind voll von Menschen, die allein wegen ihrer politischen oder religiösen Überzeugungen oder aufgrund ihrer ethnischen Herkunft festgenommen worden sind. Seitdem die Taliban an der Macht sind, hat sich insbesondere die Lage der Frauen noch einmal verschlimmert.

amnesty international kämpft seit 1972 gegen die Folter, indem Fälle öffentlich gemacht werden. Gefordert sind Regierungen, Menschenrechte einzuklagen und Flüchtlinge nicht in Länder zurückzuschicken, in denen gefoltert wird. Gefordert ist aber auch jeder einzelne, Berichte über Folterungen wahrzunehmen und bei eigenen und fremden Regierungen gegen Menschenrechtsverletzungen zu intervenieren.

Carmen Piehl

Carmen Piehl studiert Chemie und schreibt zur Zeit ihre Diplomarbeit am Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin. Sie ist seit 1995 bei amnesty international engagiert. Seit dem letzten Semester ist sie in der FU-Hochschulgruppe vor allem im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit tätig.


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