Neugestaltung des Unterrichts durch Multimedia in der Schule

Das Transatlische Klassenzimmer


Unter "Multimedia" versteht man technisch die computerbasierte Integration bisher getrennter Einzelmedien auf einer einzigen Benutzerschnittstelle; Multimedia schließt Online-Dienste wie z.B. das Internet mit ein. Kurz: Text, Bild und Ton computerintegriert, offline oder online - das ist Multimedia aus technischer Sicht. Aus psychologisch-didaktischer Sicht sind neben der Multimodalität (Ansprechen mehrerer Sinneskanäle) vor allem die Multicodierung (Bereitstellung mehrerer Codierungs- bzw. Symbolsysteme) und die Interaktivität (mit dem Informationsangebot bzw. Programm und online mit anderen Menschen) die wesentlichen Kennzeichen von Multimedia; sie ermöglichen neue Formen des Lehrens und Lernens.

Wo stehen wir derzeit hinsichtlich der Integration von Multimedia in den Schulalltag?

Heute ist in deutschen Schulen statistisch gesehen für 63 Schüler 1 PC vorhanden, während sich in den USA nur 10 Schüler einen Computer teilen. In Berlin ist die Computerausstattung der Schule besonders niedrig: Hier kommt ein Computer auf 100 Schüler, in den Berliner Grundschulen sogar nur ein Computer auf 1.400 Schüler. Der Hauptgrund für diese beklagenswerte Situation ist die angespannte Haushaltslage und nicht etwa die Computerfeindlichkeit der Schulverwaltung oder der Lehrerschaft. Daher begrüßt die Schulverwaltung Initiativen wie den Spendenaufruf des Tagesspiegels "Computer in die Schulen". In dieser Aktion konnten seit 1996 bereits 300 Rechner und Peripheriegeräte von Firmen und Behörden in Berliner Schulen vermittelt werden.

Weil sich unter den Eltern die Angst verbreitet, ihre Sprößlinge könnten den Anschluß ins Informationszeitalter verpassen, belegen viele für ihre Kinder in privaten Computerschulen wie "Futurekids" für etwa 100 DM Monatsgebühr Computer- und Multimedia-Einführungskurse.

Die derzeit größte Aktion, nicht nur Computer in die Schulen zu bringen, sondern auch die Anbindung dieser Geräte ans Internet zu ermöglichen, ist die bundesweite Initiative "Schulen ans Netz" (SaN). Diese vom BMBW, von der Deutschen Telekom AG und zahlreichen anderen Sponsoren gegründete Initiative hat das Ziel, 10.000 Schulen über die Förderung pädagogisch begründeter Einstiegs- und Modellprojekte in die Lage zu versetzen, vernetzte Computer selbständig, kritisch und produktiv im Unterricht zu nutzen (http://www.san-ev.de).

Ein ähnliches Ziel verfolgt die von Lehrern 1996 gegründete überregionale Zentrale für Unterrichtsmedien im Internet (ZUM Internet). Hier arbeiten Lehrer, Eltern und Schüler gemeinsam daran, aus dem Internet unterrichtsgeeignete Informationsangebote fachbe zogen aufzuspüren, zu testen und entsprechend dem Lehrplan zu organisieren und im Netz bereitzustellen (http://www.zum.de/schule/schule.html).

Große bildungspolitische Aufmerksamkeit hat das von der DeTeBerkom geförderte FuE-Projekt COMENIUS gefunden. Hier wird an 5 Berliner Schulen, die miteinander und mit der Landesbildstelle vernetzt sind, kommunikatives Lernen und kooperatives Arb eiten auf einer dreidimensionalen Benutzeroberfläche technisch und didaktisch erprobt.

Internationale Studien belegen, daß die Lernmotivation der Schüler deutlich ansteigt, wenn sie z.B. per e-mail weltweit mit anderen Schülern oder Experten und im Internet gezielt nach Informationen suchen dürfen. Im "Transatlantischen Klassenzimmer" (TAK) lernen Schüler, mit Schülern eines anderen Landes in einer Fremdsprache zu kommunizieren; dabei lernen sie auch die Probleme und Interessen ihrer Partner kennen. So bewegte Schüler im New Yorker Stadtteil Bronx z.B. die Frage, ob in Deutschland auch die Pistolen am Schuleingang abgegeben werden müssen (www. unicum.de/san/klassenraum2.htm).

Die Medienpsychologie und Medienpädagogik erwarten aus der konsequenten Entwicklung multimedialer Lernangebote und deren Anwendung eine Neugestaltung des Unterrichts. Die Kurzformel lautet: vom instruktionistischen zum konstruktivistischen Lernmodell. Die Wissensvermittlung soll in den Hintergrund treten zugunsten des Lernens unter multiplen Perspektiven und multiplen Kontexten, der Einbettung des Lernens in konkrete Situationen und Alltagsprobleme, der Förderung selbständigen und kooperativen Lernens und der Nutzung des Computers sowie des Netzes als flexible Lernwerkzeuge.

Aber selbständiges Lernen will gelernt sein. Beratung und Hilfe durch Lehrkräfte ist entscheidend für den Erwerb dieser Lernkompetenz. Auch weiterhin wird die Lehrkraft neben dieser Rolle als Lernberater und -coach Instruktionsfunktionen wahrnehmen müssen. Allein schon deshalb, weil das Angebot an Lernsoftware quantitativ und qualitativ noch sehr begrenzt ist. Zwar haben die Schulbuchverlage ihr Softwareangebot in letzter Zeit ausgeweitet, aber komplette Curricula sind damit noch lange nicht abzudecken. Auch die Edutainment-Angebote, die für den Nachmittagsmarkt angeboten werden (Lernspiele, Übungsprogramme, tutorielle Programme) sind nur bedingt im Unterricht einsetzbar, ebenso die Angebote für den Erwachsenenmarkt, wie z.B. multimediale Nachschlagewerke, Zeitschriften, Kataloge und Spiele sowie elektronische Bücher. Ein positives Beispiel für eine schulgeeignete Multimedia-Anwendung ist "Winnie und das grüne Klassenzimmer", eine multimediale Lernumgebung für Kinder im Grundschulalter. Dieses Lernpaket ent hä lt 1187 multimediale Dokumente zu den Themen Singvögel, Säugetiere, Insekten, Blütenpflanzen usw. Die Informationen können assoziativ gefunden werden, ein fester Lernweg ist nicht vorgegeben; das Lernprotokoll der Schüler wird festgehalten, so daß der L ehr er beratend eingreifen kann.

Ein erfolgreicher Einsatz von Multimedia in der Schule ist in großem Maße abhängig von der Mitwirkung kompetenter Lehrkräfte. Die Mehrzahl auch der älteren Lehrkräfte steht der Multimedia-Technologie durchaus aufgeschlossen gegenüber; aber ihnen fehlen neben der praktischen Medienkompetenz die erforderlichen didaktischen Konzepte und Modelle. Leider zählt die Medienpädagogik noch immer nicht zu den obligatorischen Fächern der Lehrerbildung. Dennoch gibt es eine Reihe von Studienangeboten. So kann z.B. im Rahmen des Programms Zusatzqualifikation "Medienpädagogik und Medienforschung" am in Gründung befindlichen Zentrum für Multimediales Lernen (ZML) der Freien Universität eine Qualifikation für das Lehren und Lernen mit Multimedia erworben werden.

Ludwig J. Issing

Ludwig J. Issing ist Professor am Institut für Pädagogische Psychologie und Medienpsychologie der FU und hat seinen derzeitigen Arbeitsschwerpunkt im Bereich des Lernens mit Multimedia und Internet.


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