Wissenschaftliches Schreiben will gelernt sein

Die Angst vor dem weißen Blatt


Grafik1Schreiben gehört zum Handwerk akademischer Berufe, das Studierende neben dem Erwerb von Fachwissen im Studium lernen müssen. Viele Studierende haben nun keineswegs den Eindruck, daß sich ihre Schreibkompetenz mit dem Fortgang des Studiums kontinuierlich er weitert. Im Gegenteil! Häufig berichten sie, daß von ihrer früheren Lust am Schreiben nichts geblieben sei. Sie haben eine geschätzte Ausdrucksmöglichkeit eingebüßt, verlieren an Selbstvertrauen, und die Ausarbeitung von Referaten wird zur gehaßten Pflicht , die oft lange hinausgeschoben wird. "Früher war das Schreiben für mich ein Ort der Kreativität. Ich habe meine Gedanken aufgeschrieben, um Dinge zu begreifen, um meine Gedanken zu finden. Heute bin ich nur verunsichert und traue mir nichts mehr zu. Ich weiß eigentlich nicht, was von mir verlangt wird, ich vermute nur, daß ich wohl nicht wissenschaftlich genug schreibe. Jetzt lese ich pausenlos und schiebe das Schreiben vor mir her." Dieses Statement einer Studentin der Geschichtswissenschft im 9. Semester ist typisch. Sie hat zwar "irgendwie" ihre Scheine bekommen, das mindert aber ihre Angst nicht, die sie vor der anstehenden Magisterarbeit hat. Kein krönender Abschluß, sondern eher eine quälende Prozedur, die ihr Selbstbewußtsein weiter schwächen wird.

Es ist inzwischen unumstritten, daß Demotivation im Studium und lange Studienzeiten insbesondere auf Schwierigkeiten beim Erstellen von Hausarbeiten und Examensarbeiten zurückzuführen sind. Konsequenzen bleiben aber weitgehend aus.

"Schreiben lernt man in der Schule, und wissenschaftlich Schreiben kann man, wenn man mit wissenschaftlichen Texten umgehen muß", ist eine Behauptung, der zwar kaum jemand so zustimmt, die jedoch das Handeln an deutschen Hochschulen zu bestimmen scheint. D och der Beratungsbedarf der Studierenden ist groß. Sie wollen einem hohen Leistungsstandard genügen, bekommen aber zu selten Unterstützung.

Es reicht eben nicht zu wissen, daß eine wissenschaftliche Hausarbeit anders aussehen muß als ein Deutschaufsatz in der Schule. Studierende sind mit fertigen wissenschaftlichen Ausarbeitungen konfrontiert, deren Rhetorik oder Konstruktion sie abschreckt od er auch begeistert, vor allem aber einschüchtert. Solche Texte tragen keine Spuren des Entstehungsprozesses mehr. Da den Studierenden keine Informationen über die einzelnen Schritte der Textproduktion vermittelt werden, sind überzogene Ansprüche an eigene Schreibarbeiten oft die Folge.

Für das Studienverhalten ist das verhängnisvoll, weil das Erstellen von wissenschaftlichen Arbeiten zur Privatsache geworden zu sein scheint. Es wird wenig über Standards und Kriterien, nach denen wissenschaftliche Texte zu beurteilen sind, gesprochen, Tex tentwürfe werden nicht hergezeigt und gegenseitig kommentiert, sondern schamvoll versteckt. Notwendige Korrekturen bleiben aus.

Nur wenigen Studentinnen und Studenten geht das akademische Schreiben locker von der Hand, Ursache für die Schreibprobleme sind nicht nur geringe Übung, unzulängliche Arbeitstechniken, mangelnde Systematik und Rhetorik, sondern auch Hemmungen und emotional e Konflikte. Diese sind oft an spezifische Anforderungen der jeweiligen Studienphasen geknüpft. Die Unsicherheit von "Anfängern", eigene Gedanken zu formulieren, die Isoliertheit beim Schreiben von Examensarbeiten und Dissertationen beeinflussen den Schre ibprozeß ebenso wie persönliche Konflikte.

Die Zentraleinrichtung (ZE) Studienberatung und Psychologische Beratung hat in den letzten Jahren ein differenziertes Angebot von Veranstaltungen zum wissenschaftlichen Schreiben entwickelt. In den Gruppen werden sowohl persönliche Schreiberfahrungen refle ktiert, als auch grundlegende Techniken zum wissenschaftlichen Schreiben, zur Planung und Organisation komplexer Schreibvorhaben, Methoden des kreativen Schreibens, Prinzipien der Rhetorik und Strukturierung von wissenschaftlichen Texten vermittelt. Neben semesterbegleitenden Schreibgruppen sind besonders Workshops für Examensarbeiten und Dissertationen sehr gefragt, ebenso wie jours fixes, bei denen sich Examenskandidat/innen regelmäßig und kontinuierlich über den Fortgang ihrer Arbeiten austauschen und ge zielt schreibpädagogische Unterstützung bekommen. Ziel aller Veranstaltungen ist, Verständnis für die Komplexität des Schreibprozesses mit seinen unterschiedlichen kognitiven und emotionalen Anforderungen zu wecken. Die große Resonanz der Workshops und Kur se der ZE Studienberatung und Psychologische Beratung macht deutlich, daß der Bedarf größer ist als das Angebot sein kann.

Zur Einrichtung eines Schreiblabors (aus Mitteln des Hochschulsonderprogramms) konnte sich die Universität noch nicht entschließen. Vielleicht wird das anders, wenn auch Hochschullehrer nicht mehr ausschließlich an ihren wissenschaftlichen Leistungen gemes sen werden, sondern sich auch stärker für Mängel in der Qualität von Lehre und Studium verantwortlich fühlen und dafür sorgen müssen, daß an ihrem Fachbereich - in der Konkurrenz mit anderen Hochschulen - lange Studienzeiten vermieden werden.

Edith Püschel

Grafik2Edith Püschel ist Mitarbeiterin der Studienberatung. Sie führt Kurse in wissenschaftlichem Schreiben durch


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