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Jochen Schimmang


Mit Träumen im Gepäck und um die Welt ein bißchen mitzuverändern kam Jochen Schimmang 1969 nach Berlin. Der 21jährige schreibt sich an der FU zunächst für Philosophie und Germanistik ein, wechselt dann bald, die Zeit brachte das mit sich, zur Politikwissen schaft. Die Universität aber ist von Beginn an Nebenschauplatz: "Ich habe kaum studiert. Mein Berlin war nicht in Dahlem, sondern in Kreuzberg."

Zur Heimat wird dem jungen Studenten eine der nach 1968 in großer Zahl entstandenen K-Gruppen. Hier findet er die Wärme und Geborgenheit, die er sucht. Doch was der träumende Revolutionär für die Flut einer Bewegung hält, ist tatsächlich schon die Ebbe, ni cht mehr die "Revolution", sondern die Dogmatisierungsphase. Jochen Schimmang hat nach dem Studium (selbst)kritisch über sich und die Zeit nachgedacht und geschrieben. Er ist geworden, was er seit der Kindheit sein wollte: Schriftsteller. "Der schöne Vogel Phönix. Erinnerungen eines Dreißigjährigen" heißt sein Debütroman, in dem Schimmang von seiner Zeit in Berlin, von Ängsten, Hoffnungen und Enttäuschungen erzählt, von seinem Engagement für die K-Gruppe und schließlich vom Aufbegehren gegen bedingungslose Anpassung und blinden Gehorsam. Vom Erschrecken über die Realitätsfremdheit der Gruppe, die auch die eigene war, bis zum endgültigen Bruch ist es dann kein weiter Weg mehr. Sein Erstling sei wichtig gewesen, um diese Zeit aufzuarbeiten. Schimmang will das Buch jedoch keinesfalls als Therapie verstanden wissen, vielmehr als einen Entwicklungsroman. Eine Therapiegeschichte, der Abschied von der K-Gruppe sei eher die Diplomarbeit über den Ideologisierungsprozeß des Marxismus. Der junge Autor erhielt eine wahr e Flut von Leserpost, nachdem "Der schöne Vogel Phönix" 1979 bei Suhrkamp erschienen war. Die Hoffnung und Ernüchterung war die einer ganzen Generation. Aber auch in Schimmangs Suche nach Liebe und Geborgenheit und in seiner Erfahrung von Trennungsschmerz und Einsamkeit fanden sich die Leser wieder. Einige der Briefeschreiber sahen den Autor als Lebenshelfer. Schimmang aber wollte das nicht sein und konnte es auch gar nicht. Nach der anfänglichen Freude über die große Resonanz wurde ihm bald unbehaglich: "W enn so viele sagen, Ôich auchÉ, dann habe ich nicht ganz was Gutes gemacht, dann ist es zu brüderlich, zu selbsterfahrungsmäßig geraten".

Der schnelle Erfolg wurde später zum Klotz am Bein. Das Publikum erwartete sehnsüchtig eine Fortsetzung. Diese aber wollte Schimmang nie schreiben: "Das kann man ja nicht alle fünf Jahre machen, so viel erlebt man ja gar nicht." Schimmang will seine nachfo lgenden Erzählungen und Romane, zuletzt "Königswege" und "Ein kurzes Buch über die Liebe", denn auch als Wunscherfüllungsphantasien verstanden wissen, nicht als Realität. Sein Grundthema aber ist geblieben: Liebe und Schmerz. Er gilt als "ausgewiesener Ex perte für die Leiden des überkultivierten Geistesmenschen", der am liebsten Helden beschreibt, so zuletzt Volker Hage im Spiegel, "die dem Leben zuschauen und ein wenig überrascht sind, wenn es sie ergreift und mitmischen läßt".

"In gewisser Weise bin das auch ich", sagt Schimmang. "Aber mein Verhältnis zur Welt ist ja nicht mehr so gestört, irgendwann findet man ja mal seinen Platz, der nicht unverrückbar ist, aber wo man sagen kann, okay. Angst ist ja immer auch Vernichtungsangs t, daß man nichts ist, nichts werden könnte, die habe ich jetzt so nicht mehr."

Die vordergründige Angst jetzt ist ganz reale und begründbare Existenzangst. Schimmang, der seit 19 Jahren in Köln lebt, ist seit 1993 freier Autor. Zuvor verdiente er sein Geld vor allem als Lehrer für Deutsch als Fremdsprache. Auch jetzt sind es nicht zu erst die verkauften Bücher, sondern hauptsächlich Auftragssarbeiten für Rundfunk und Zeitung mit denen Schimmang seinen Lebensunterhalt verdient: "Es ist ein finanzielles Auf und Ab, ein ständiger Kampf." Unzufrieden ist der 49jährige deshalb nicht: "Das ist nun mal das Leben, das ich mir erwählt habe."

Holger Heimann


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