Ernst-Reuter-Preis 1997

Zwei Frauen und zwei Männer wurden ausgezeichnet


Gewalt und Moderne

Die italienische Mafia und der kolumbianische Drogenhandel gehören zu den bekanntesten Beispielen für organisierte Kriminalität. Ciro Krauthausen, der in Südamerika aufwuchs und in Kolumbien Soziologie studierte, hat sie in seiner Dissertation "Moderne Gew alten" erstmals systematisch miteinander verglichen. Die Arbeit entstand im Rahmen des Berliner Graduiertenkollegs "Gesellschaftsvergleich", das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird.

Die grundlegende Unterscheidung zwischen markt- und machtorientierten Handlungsmustern (letztere entsprechen eher der italienischen Mafia) ermöglichten Krauthausen eine historische und organisationssoziologische Gegenüberstellung, die bei allen Unterschied en viele Parallelen aufdeckt. Sowohl die Mafiosi als auch die Drogenhändler müssen sich den Problemen der Illegalität ihres Handelns stellen.

Dabei sind Mafia und Drogenhandel keine geschlossenen Welten, die unabhängig vom Austausch mit ihrem legalen Umfeld betrachtet werden können. Auch die Gesellschaften, die sie hervorgebracht haben, weisen überraschende Parallelen auf. So spricht Krauthause n für Kolumbien und Italien nicht nur von "modernen Gewalten", sondern darüber hinaus auch von einer gewalttätigen Moderne.

Die "schöne" Gruppe

Eines der bedeutendsten Resultate der Geometrie der letzten Jahrzehnte ist die Klassifikation der sphärischen Gebäude durch Jacques Tits, die einen Zusammenhang zwischen Geometrie und Symmetriegruppen zum Inhalt hat. Eine Gruppe kann man sich als Menge von Bewegungen eines geometrischen Objektes vorstellen, die das Objekt wieder in sich überführen. Jede Gruppe kann in einfache Bausteine zerlegt werden, so wie jede natürliche Zahl in Primzahlen. Es gibt einige unendliche Serien und 26 Ausnahmegruppen - die s ogenannten "sporadischen Gruppen". Barbara Baumeister hat in ihrer Dissertation das Programm von Tits für eine wichtige sporadische Gruppe fortgesetzt. Baumeister, die sich schon in ihrer Diplomarbeit mit dem Thema beschäftigte, übersetzt in ihrer Doktorar beit geometrische Eigenschaften in gruppentheoretische und löst auf elegante Weise schwierige Probleme der Gruppentheorie, bis sie zu einer Klassifikation der Geometrien gelangt. Sie hat alle Geometrien bestimmt, die gewissen abstrakten Axiomen genügen. Si e konnte eine Geometrie für die dritte Gruppe von Janko, J3, eine der sporadischen Gruppen, konstruieren und diese Gruppe als die einzige "schöne" Gruppe charakterisieren. Die explizite Konstruktion der Geometrie ergibt somit einen neuen Beweis der Existen z der Gruppe, der computerfrei ist und ein neues Forschungsgebiet eröffnet.

Kleine Kriege

Warum verlieren große Staaten kleine Kriege? Guerillakriegsführung scheint für jemanden, der wie Daase zunächst Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte studiert und seine Magisterarbeit über Komödientheorie geschrieben hat, ein entlegenes Dissertation sthema zu sein. Während seines Zweitstudiums im Fach Politikwissenschaft stieß Daase jedoch auf das Phänomen, daß hochgerüstete Staaten mit modernster Kriegstechnik kleinen, oftmals schlecht ausgerüsteten Guerillabewegungen unterlegen sind.

Daase reiste zu Feldforschungen ins südliche Afrika, nach Südostasien und in den Nahen Osten. Die Arbeit geht jedoch über die jeweilige nationale Kleinkriegssituationen hinaus und analysiert deren Auswirkungen auf der Ebene des internationalen Systems.

Daase kommt zu dem Ergebnis, daß große, zwischenstaatliche Kriege seit dem 17. Jahrhundert zur Konsolidierung des Nationalstaates in Europa beigetragen und zur Bildung des internationalen Staatensystems geführt haben; daß aber die kleinen Kriege des 20. Ja hrhunderts dieses System wieder auflösen. Denn in dem Maße, in dem sich Staaten auf militärische Konflikte mit nichtstaatlichen Akteuren einlassen und die irreguläre Kriegführung ihrer Gegner übernehmen, untergraben sie nicht nur die Prinzipien ihrer eigen en Staatlichkeit, sondern auch die Prinzipien des internationalen Systems als Staatengemeinschaft.

Körpergestalt und Schicksal

"Wenn in der Mitte seiner Stirn die Locken nach rechts und links gedreht sind, wird er keine Ehefrau haben, fünf Jahre Leben. " Solche und ähnliche An- und Einsichten stehen in einer Vorzeichensammlung des alten vorderen Orients: Alamdimmu.

Barbara Böck hat in ihrer Dissertation am Fachbereich Altertumswissenschaften diese Omenserie übersetzt und analysiert, nachdem sie sich bereits in ihrer Magisterarbeit über Briefgebete in sumerischer Sprache mit dem geistigen Leben und Wertesystem des mes opotamischen Menschen beschäftigt hatte.

Alamdimmu, "Körpergestalt", ein Kompendium in babylonisch-assyrischer Sprache, handelt von Erscheinungen des menschlichen Körpers, die systematisch untersucht und mit einer Bedeutung, die auf gegenwärtige und zukünftige Ereignisse im Leben des Menschen ode r auf seinen Charakter Bezug nehmen, verknüpft sind.

Die größte Anzahl der Texte des Omenwerkes stammt aus dem 7. Jh. v. Chr., aus der Bibliothek des assyrischen Herrschers Assurbanipal in Ninive. Die Abhandlung diente zur Überprüfung des Menschen. Mit Hilfe von Alamdimmu konnten sein Schicksal und sein Char akter entschlüsselt werden. Diese Ergebnisse spielten bei der Ernennung von Vertrauten des Königs, bei der Beurteilung von Priestern und bei der Wahl des Ehepartners eine entscheidende Rolle.


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