Ringvorlesung

Diana, Diana, Diana...


Wer konnte an jenem Augustsonntag, an dem die englische Prinzessin Diana nach einem Autounfall starb, ahnen, daß die Freie Universität Berlin nur zwei Monate später ihretwegen zu einem Mittelpunkt des Medieninteresses werden würde?

Nach der nie gesehenen Massenreaktion auf Sterben und Begräbnis der Princess of Wales, dem kollektiven Gefühlsausbruch in Großbritannien und dem weltweiten Interesse war das Ereignis auch Gegenstand vieler Diskussionen unter Wissenschaftlern und Studierenden des Fachbereichs Politische Wissenschaft. Und so wuchs der Wunsch, das Geschehnis zu begreifen - sozusagen wissenschaftlich aufzuarbeiten. Die Akademische Mitarbeiterin am Fachbereich Politische Wissenschaft, Priv.Doz. Dr. Sigrid Koch-Baumgarten und die Politologin mit Lehrauftrag Dr. Sabine Berghahn setzten ihre Idee um, "eine Vorlesung zu organisieren, in der KollegInnen verschiedener Disziplinen aus unterschiedlichen Perspektiven die vielfältigen Aspekte der medialen Inszenierungen der Princess of Wales und die Ereignisse um ihren Tod analysieren". Es gelang ihnen, HistorikerInnen, Literatur- und KommunikationswissenschaftlerInnen, SoziologInnen, PsychologInnen und PolitikwissenschaftlerInnen für das Thema zu gewinnen und vor Semesterbeginn eine Ringvorlesung mit 13 Einzelvorträgen zu "Mythos und Politik: Diana - von der Princess of Wales zur Queen of Hearts" zusammenzustellen. "Womit das wissenschaftliche Milieu in einem geradezu atemberaubenden Tempo auf ein Ereignis der jüngsten Geschichte reagiert, anstatt wie üblich, 20 bis 30 Jahre zu brauchen", kommentierte der Spiegel.

Für derlei Überlegungen hatten die Organisatorinnen aber wohl gar keine Zeit, eben durch besagtes Tempo. Sie fürchteten eher, daß wegen der Kürze der Zeit und der bis Semesterbeginn kaum angelaufenen Plakatierung, ihre Vorlesung vielleicht nicht bekannt ge nug würde, um Zuhörer anzuziehen. So wurden sie, als am 30. Oktober die taz titelte "Lady Di als akademisches Objekt" vom Ansturm der internationalen Presse total überrascht. Zunächst erfreut - dann von Tag zu Tag unsicherer, denn "das war nun sicher nicht unsere Intention".

Um es gleich zuzugeben: Was in den folgenden Tagen geschah und uns nun seit Wochen - wenn zum Glück auch etwas abgemildert - beschäftigt, hätte auch die FU-Pressestelle nicht erwartet. Vom Erscheinungstag des taz-Artikels an, waren nicht nur die Telefonzentrale, die Sekretariate im Fachbereich Politische Wissenschaft, das Referat VC, das die Ringvorlesungen betreut, selbst Pförtner und natürlich die Pressestelle nonstop mit Anrufen zu dieser Ringvorlesung beschäftigt. Ich selbst verbrachte fast einen ganzen Arbeitstag damit, Anfragen aus London zu beantworten: von BBC, Times, Sunday Times, etc. Zwei Tage später verfaßten die Initiatorinnen ein Papier mit einer Kurzdarstellung ihres Vorhabens, das wir mit einer Liste der einzelnen Vorlesungen in alle Welt faxten. An diesem Tag zählte Sabine Berghahn 23 Anfragen, Sigrid Koch-Baumgarten vermutete eine ähnliche Zahl und meine KollegInnen in der Pressestelle wünschten sich eine abgetrennte Sprechzelle für mich und Kopfhörer fürs Telefon. So ging es tagelang. Eine Kollegin von Bunte - sie erfuhr von uns aus dem Times Magazin (Sunday Times) - und versicherte, daß sie nicht zur Yellow Press gehöre - interessierte sich ebenso für das Unithema wie Bild Hamburg. Die Anrufer wußten von der Ringvorlesung aus Berichten internationaler Agenturen, aus dem Times Magazin, aus Newsweek, New York Times, BBC World etc. Manchmal erhielten wir die Informationsquellen im Austausch zu unseren Merkblättchen.

So erfuhren wir, daß das Times Magazin jetzt nicht mehr glaubt, das "German Universities stodgy and out of date" (schwerfällig und veraltet) sind, Newsweek soll sogar mit einem ähnlichen Vorurteil gegen "The Germans" aufgeräumt haben.

Die Tokioter Zeitung The Mainichi Shimbun will einen Artikel über die Ringvorlesung schreiben, weil "auch in Japan reges Interesse an dem Leben und Tod der Prinzessin herrscht... und besonders interessant ist auch die Frage... warum gerade in Deutschland diese Vorlesung stattfindet", womit wir wieder beim "atemberaubenden Tempo" wären. Von einer argentinischen Wochenschrift kommt die Frage, was mit Evita Peron ist, sie wissen vom Vortrag zu diesem Thema aus Newsweek, und eine Journalistin aus Belgrad! (warum sollten sich die Belgrader nur mit Krieg und Zerstörung beschäftigen?) will wissen, ob auch Madonna dabei ist. Das bringt uns ins Grübeln: wieso Madonna, die lebt noch, (Voraussetzung für den richtigen Mythos ist der Tod) haben die Leute aus dem Ostbloc k vieleicht den "Marienkult" falsch zugeordnet. Nein! Im Gedächtnis ist ein Film und da ist Evita? Richtig, Madonna!

Eine Anruferin aus Prag, die sich als Korrespondentin der Londoner Sun vorstellt, bittet um Material und nennt eine Fax-Nummer in Wien. Kurz darauf will ein Redakteur von The Times aus London die gleichen Informationen und gibt mir, auf meinen Einwand, wir hätten die Unterlagen nur auf deutsch, dieselbe Fax-Nummer in Wien. Soll das heißen, alle Informationen aus der deutschsprachigen Welt kommen von dort? Als ich später ohne Erfolg ein Fax nach Argentinien absetzen will, erscheint mir der Rat "schick&'s doch auch nach Wien", gar nicht so abwegig. In der deutschen Presse gibt es zwei Hauptrichtungen; jedenfalls bis zur 1. Veranstaltung am 6.11.97: Einmal die aus der Boulevardpresse. Die entspricht der der ausländischen Zeitungen und hat den Tenor: Interessant und aktuell. Die andere kommt aus den sogenannten seriösen Blättern und läßt mit leisem Naserümpfen wissen, das die FU eine etwas degoutante Ringvorlesung anbietet oder fragt verschlüsselt, haben unsere Universitäten das wirklich nötig. Und laut Zeit hat sich "nun auch noch die Wissenschaft ...der tödlich verunglückten Prinzessin ... bemächtigt". Manche davon - wie zu unserer Überraschung die Süddeutsche Zeitung -haben ihr Urteil schon gedruckt, bevor sie bei uns nach dem Themenplan fragen und sich um ein Interview mit den Organisatorinnen bemühen. Nichtsdestotrotz greifen sie alle das Thema auf - und die meisten nicht so kurz wie die Zeit. Wir lesen über "Dianologie" (Münchner Abendzeitung) an der FU und "Diana Media Mania" (New York Times) "Die Königin der Herzen ganz wissenschaftlich" (Welt) und der Tagesspiegel leitet selbst seinen Artikel zur Goldenen Hochzeit der englischen Königin mit einer Erwähnung der FU-Vorlesung ein.

Einen Tag vor der ersten Vorlesung mit dem Titel "Zerrissene Welt und verborgener Sinn - Zur Funktion mythischer Gestalten für die Moderne"(Dr. Dietmar Schirmer, Berlin) gibt es Anfragen wegen Foto- und Filmgenehmigungen. Auf meine Frage, was sie denn zu sehen erwarten, bekomme ich keine Antwort. Sicher ist nur, daß da ein Hörsaal sein wird, hoffentlich mit Zuhörern, und Dr. Dietmar Schirmer hinterm Rednerpult - nicht Prinz Charles als Honorarprofessor. Auch den Rat eines Fernseh-Journalisten, doch zur Finanzierung der FU neben der Tür "einen Devotionalienstand" aufzubauen und/oder Sticker mit der Aufschrift "Ich war dabei, 1. Ringvorlesung zu Lady Di" anzubieten, werden wir nicht aufgreifen.

Wir alle sind gespannt auf den Start, aufgeregt und voller gemischter Gefühle. "Auf dem Flur", wird Henrik Broder später im Spiegel schreiben "interviewen sich die Reporter gegenseitig". Scheinwerfer, Kameras, Mikrophone viel Gewimmel aber auch der Hörsaal -164Plätze - ist fast voll, und die meisten sehen nicht nach Reportern aus, sondern wie Studenten und etliche auch wie ganz normale Berliner. Jede Kamera pickt sich Interviewpartner heraus: "Warum sind Sie hier?" höre ich. Neben mir sagt einer (Student, d a bin ich sicher, ich habe gefragt): "Was für ein Theater, da bleibe ich nicht lange". Auch er blieb bis zum Schluß.

Die Vorlesung beginnt mit vier Kamerateams und einer angekündigten "Soll-Bruchstelle" nach zehn Minuten "...damit die Reporter, die nicht bis zum Schluß dableiben wollen, dann gehen können, ohne zu stören". Drei Kamerateams gehen, ein neues kommt dazu, alle anderen harren aus bis zum Ende. Aber sonst ist alles, wie man es von einer Ringvorlesung erwarten darf: Ein wissenschaftlicher Vortrag "Für mich ist es eigentlich gleichgültig, ob ich über Mythos und Bismarck oder Mythos und Diana spreche, ... an der Person bin ich nicht übermäßig interessiert", meint Schirmer. Nach dem Vortrag, dem Thema gemäß und vor konzentrierten Hörern (kein Ruckeln und Lärmen, das Langeweile signalisierte), kommt noch eine recht lebendige Diskussion zustande. Alle sind erleichtert und hoffen, daß "der Rummel" jetzt erstmal vorbei ist. Das ist er nicht, auch wenn beim zweiten Vortrag "Mythos in der Geschichte: Der Luisenmythos im 19. Jahrhundert" (Dr. Rudolph Speth, Berlin) nur noch CNN (Amerikanischer Sender) filmt und etwa anwesende Journalisten weder auffallen noch wahrgenommen werden, mit Ausnahme eines japanischen (vermute ich) Herrn in der letzten Reihe, der ab und zu aufsteht, um ein Foto zu schießen. Dafür sind eher mehr Zuhörer gekommen, offensichtlich viele ältere Berliner, die immer noch ein Herz für die tote Preußenkönigin haben. Auch "Liebe, Öffentlichkeit und ein Staatsbegräbnis" - über Gefühle als politische Herrschaftsressource" (Dr. Birgit Sauer, Wien) ist bestens besucht. Diesmal filmt der NDR. Inzwischen gibt es Anrufe von den Lübecker Nachrichten und anderen Zeitungen, die unsere Meldungen sonst eher über die Agenturen beziehen. Es vergehen auch Stunden ohne einen Anruf zum Thema und das normale Pressestellenleben hat mich wieder; aber vorbei ist es noch immer nicht.

Nach der ersten Vorlesung war in der Berliner Zeitung als Kommentar einer befragten Studentin zu lesen: "Blöd". Warum, frage ich mich, war die Interviewerin so sicher, daß die Studentin die Vorlesung meinte?

Anne Schillo

P.S. Jetzt auch im Australischen Rundfunk (ABC) und im Honolulu Advertiser.


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