"SS-Megären" und ihre Opfer in Ravensbrück - ein Frauenprojekt an der FU

Frauen im Konzentrationslager


Seit der deutschen Vereinigung ist Ravensbrück, das größte für Frauen bestimmte Konzentrationslager in Deutschland (1939-45), ins Zentrum der Frauen- und Geschlechterforschung zum Nationalsozialismus gerückt. Für diese Entwicklung sind mindestens drei Grün de ausschlaggebend:

Erstens wurde die Geschichte des Frauenkonzentrationslagers von der KZ-Forschung beider deutscher Staaten so gut wie nicht berücksichtigt. Bis Ende der 80er Jahre lagen überhaupt nur drei publizierte wissenschaftliche Arbeiten zum Thema vor. Darüber hinaus hat es die bisherige Forschung zu den nationalsozialistischen Konzentrationslagern insgesamt versäumt, eine geschlechterspezifische Betrachtungsweise zu entwickeln. Als dritter Punkt ist nicht zuletzt die Öffnung der ostdeutschen und osteuropäischen Archi ve zu nennen; umfangreiches Aktenmaterial zur Geschichte Ravensbrücks ist damit überhaupt erst zugänglich geworden.

An der Frauen- und Geschlechterforschung zu Ravensbrück arbeiten an der FU Soziologinnen, Germanistinnen, Politologinnen, Religionswissenschaftlerinnen und Historikerinnen im Kontext von Forschungsprojekten und Dissertationsvorhaben, die zum überwiegenden Teil vom Förderprogramm Frauenforschung des Berliner Senats finanziert werden. Um hier eine Kooperation zu ermöglichen, wurde 1995 die "Interdisziplinäre Frauenforschungsgruppe Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück - FU Berlin" (IFFG) gegründet, die an der Z entraleinrichtung zur Förderung von Frauenstudien und Frauenforschung angesiedelt ist. Im Mai 1997 veranstaltete die IFFG eine internationale Fachtagung zum Thema "Das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück - Quellenlage und Quellenkritik"; eine Tagungsdoku mentation wird derzeit von der ZE Frauenstudien/ Frauenforschung vorbereitet.

Diese Tagung machte deutlich, daß die Ravensbrück-Forschung zwei Ansätze verfolgt: Zum einen geht es im weitesten Sinne um die Rekonstruktion der Lagergeschichte, wobei bislang vernachlässigte Häftlingsgruppen wie die in Ravensbrück inhaftierten jüdischen Frauen, die Gruppe der "asozialen" Häftlinge oder auch die "Funktionshäftlinge" im Vordergrund stehen. Zum anderen geht es aber auch um die Frage nach den in den überlieferten Dokumenten eingeschriebenen "Weiblichkeitskonstruktionen" und damit auch um die Art und Weise der Thematisierung des Frauenkonzentrationslagers nach 1945. Einen in mehrfacher Hinsicht aufschlußreichen Quellenbestand bilden beispielsweise die Prozeßakten der deutschen Justiz in der sowjetischen Besatzungszone und der ehemaligen DDR, die nach dem gegenwärtigen Stand des Wissens 45 ehemalige Ravensbrücker Aufseherinnen, zwei männliche Angehörige des Lagerpersonals sowie drei ehemalige "Funktionshäftlinge" strafrechtlich verfolgte. Ein am Fachbereich Politische Wissenschaft (Prof. Dr. Pete r Steinbach) angesiedeltes Forschungsprojekt untersucht die Frage, welche Bilder von NS-Täterinnen diese Akten formulieren, und mit Hilfe welcher Argumentationsfiguren die Urteilstexte die Tatbeteiligung der weiblichen Angeklagten begründen. Während die Ve rfahrensakten der späten 40er Jahre ein überraschend apologetisches Täterinnenbild zeichnen - hier ist noch häufig von "einfachen Arbeiterinnen" die Rede, deren Tätigkeit in Ravensbrück als "Fehltritt" und "Entgleisung" beschrieben wird - setzt sich ab Anf ang der 50er Jahre eine Dämonisierung des weiblichen SS-Personals durch: Fortan werden die Angeklagten nur noch als "Bestien", als "Mannweiber", als "SS-Megären" etc. bezeichnet (vgl. Eschebach, NS-Prozesse in der SBZ und DDR. Einige Überlegungen zu den St rafverfahrensakten ehemaliger SS-Aufseherinnen des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück. In: Beiträge zur Geschichte nationalsozialistischer Verfolgung in Norddeutschland, 3/1996, S. 65-74).

Die vergleichsweise junge Frauen- und Geschlechterforschung zu Ravensbrück bewegt sich auf einem derzeit noch "weiten Feld". Es bleibt abzuwarten, auf welche Weise sich die gegenwärtigen detailorientierten Untersuchungsansätze zu Korrektiven im Kontext der übergreifenden Theoriezusammenhänge der Konzentrationslagerforschung entwickeln werden.

Insa Eschenbach


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