Zwei Stimmen - vom Campus und von außerhalb - zur Emeritierung des Historikers Arnulf Baring
Patriotische Fragezeichen
Von Hermann RudolphWie Arnulf Baring als Professor war, weiß ich nicht, denn ich habe nie eine Vorlesung von ihm gehört, in keinem seiner Seminare gesessen. Dafür habe ich manchen Text von ihm in Satz gegeben oder ihn zu Rezensionen oder Aufsätzen überredet. Es ist also eine andere Perspektive als die seiner Kollegen und Studenten, in der er für mich steht, und es paßt vielleicht dazu, daß der erste Beitrag von ihm, an den ich mich erinnere, ihn noch als journalistischen Kollegen, nämlich als Redakteur beim Westdeutschen Rund funk in Köln, ausweist (dort hat Baring seit 1962, vor seiner akademischen Laufbahn, sich journalistische Sporen verdient). Er erschien im guten, alten "Monat", der legendären Nachkriegszeitschrift und trug einen Titel, der Baring-Kennern und -Kritikern ei n vergnügtes Gefühl der Bestätigung entlocken wird: er hieß "Patriotische Fragezeichen".
Kann man also sagen, Baring habe sich gar nicht geändert, denn patriotische Fragezeichen habe er sein Leben lang geschrieben? Aber genausogut könnte man, ganz im Gegenteil, einen erstaunlichen Marsch durch das politische Spektrum konstatieren. Denn der Auf satz, zum Beispiel, ist ganz neue Ostpolitik, knüpft energisch jede deutsche Wiederannäherung an die Anerkennung der Spaltung. Gewiß steht Baring heute, wo er die große Krise beschwört und uns eine neue, nachgeholte Nationalbewegung empfiehlt, nicht mehr d ort, wo er damals stand. Aber wenn, nach dem bekannten Diktum, der Stil der Mensch ist, ist er sich erstaunlich gleich geblieben: der Aufsatz wird von dem gleichen, leicht erregten, sozusagen Schaumkronen treibenden, mehr Fragen als Antworten gebenden Dukt us getragen, der auch sein letztes, eben erschienenes Buch prägt.
Vermutlich ist es dieses Temperament, in dem seine Wirkung wurzelt, das seinen Rang begründet. Denn mit jenen Rechts-Links-Kategorien, die der Alt-Liberale Reinhold Maier als "politische Gesäßgeographie" verhöhnte, ist ihm nicht gerecht zu werden. Er gehört, allen Irritationen zum Trotz, mit denen er Freunde und Gegner immer wieder überrascht, zu jenem neuen Typus des politischen Professors, der ein Gewinn der alten Bundesrepublik ist; zu den Dahrendorfs, Sontheimers, Schwarz', denen die politische Öffentlichkeit eine eminente Belebung und die Betrachtung der praktischen Politik eine beträchtliche Bereicherung verdankt.
Natürlich kann man fragen,wo hier die Wissenschaft aufhört und wo der politische Journalismus, ja, auch die Politik selbst beginnt, aber schwerer wiegt doch, daß sie die Grenze zwischen der Wissenschaft der Politik passierbar gemacht haben.Davon hat die Wi ssenschaft profitiert, aber auch, so denke ich, unser Verhältnis zur Politik.
Im Fall Barings ist es der eigenwillige, theoretisch unverkrampfte Zugriff auf die Zeitgeschichte, mit dem er an unser aller Zeitbewußtsein mitmodelliert hat. Ohne ihn sähe auch die interessierte Öffentlichkeit die Vergangenheit der Bundesrepublik, zumal das Gebirge der Adenauer-Zeit und den Übergang zur sozial-liberalen Koalition, anders.
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