Zwei Stimmen - vom Campus und von außerhalb - zur Emeritierung des Historikers Arnulf Baring
Der eigene common sense
Von Gesine Schwan
Arnulf Baring ist ein lebendiger Widerspruch. Seine zahlreichen öffentlichen Auftritte suggerieren das Bild eines publizitätssehnsüchtigen Salonhelden. Wer ihn privat kennt, beobachtet, daß er sich besonders gern in die Intimität seiner Familie zurückzieht.
In den letzten Jahren gilt er vielen als unverantwortlicher Stichwortgeber für eine neue Rechte - und man kann diesen Eindruck nicht rundweg bestreiten. Und doch ist es keine zehn Jahre her, da geißelte er "unseren (der Deutschen) neuen Größenwahn". Dann wieder polemisierte er gegen diejenigen Deutschen, die sich als "politische Zwerge" vor der Verantwortung drücken wollen. Zielt Baring damit einfach auf ein "juste Milieu"? Seiner Absicht nach sicher, aber sein Bedürfnis, provokant "wachzurütteln", führt ihn doch oft über das "juste Milieu" hinaus und verführt ihn dann dazu, das Kind mit dem Bade auszuschütten. 30 Jahre lang - von 1952 bis 1983 - war er Mitglied der SPD, heute darf man das Wort "soziale Sicherheit" in seiner Gegenwart nicht in den Mund nehmen, ohne daß er Blindheit gegenüber Mißbrauch unterstellte.
Verdächtig ist es vielleicht, wenn man einen emeritierten Professor zunächst mit Kennzeichnungen würdigt, in denen die Wissenschaft nicht vorkommt. Arnulf Baring nimmt das vermutlich nicht übel. Er fand und findet die Grenze zwischen politikwissenschaftlicher Zeitgeschichte und journalistischer Analyse eher willkürlich, war ja auch selbst zunächst Journalist. Aber er hat dann unbekümmert auf zeitgeschichtlichem Felde geforscht und mit seinen Büchern über die "Außenpolitik in Adenauers "Kanzlerdemokratie" und über den "Machtwechsel. Die Ära Brandt - Scheel" zeithistorische Werke vorgelegt, an denen keine Auseinandersetzung mit der deutschen Nachkriegsgeschichte vorbei kann; die überdies nach wie vor gelesen werden und griffbereit in den Buchhandlungen stehen. Methodenfragen haben ihn dabei kaum interessiert. Baring arbeitet hart, fast besessen, aber er verläßt sich bei der Beobachtung und Erörterung seiner Gegenstände schließlich auf seine Intuition. Er baut auf langjährige Lebenserfahrung und auf "common sense", vor allem auf seinen.
Wer ihn für deutschnational hält, im Sinne eines Hegomieanspruchs, der die Selbstbestimmung anderer nicht respektiert, irrt sich sehr, denn er ist ein profilierter weltgewandter Kosmopolit - zahlreiche Auslandsaufentbalte an renommierten wissenschaftlichen Institutionen (Harvard, Oxford, Washington, New York) und Studienreisen nach Asien, Afrika, Südamerika belegen dies. Drei Rufe hat er während seiner Berliner Zeit abgelehnt, auch das verlockende Angebot, die Leitung des FAZ-Feuilletons zu übernehmen, und dies obwohl er die FU wohl nicht gerade ins Herz geschlossen hat. Er setzt sich für seine Studenten ein, unternimmt viel mit ihnen, bürdet ihnen aber auch allerlei auf. Er ist unberechenbar in der intellektuellen Kontroverse, eröffnet so befreiend Raum für neue oder gegensätzliche Argumente - und er ist bei aller Unberechenbarkeit ein zuverlässiger Freund. Man kann sich sehr über ihn ärgern, aber es ist schwer, ihn nicht sehr zu mögen.
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