EX & TOP

Andreas Nachama


Seit dem 25. Juni diesen Jahres ist Andreas Nachama ein gut bewachter Mann. Vor dem Portal des Gemeindehauses der Jüdischen Gemeinde zu Berlin in der Fasanenstraße, deren neuer Vorsitzender der 45jährige ist, patrouillieren mehrere Polizisten. Im Inneren d es Gebäudes wird der Besucher von Sicherheitsbeamten empfangen und an das Gemeindesekretariat weitergeleitet - dies ist die letzte Hürde auf dem Weg in das Büro des neuen Vorsitzenden. Nachama selbst betrachtet diese Sicherheitsmaßnahmen eher gelassen als "objektive Einschätzung derjenigen, die sich professionell mit Personenschutz beschäftigen". Erfahrungen mit militanten Antisemiten sind ihm bisher glücklicherweise erspart geblieben.

Die Bewältigung von Hürden ganz anderer Art bringt das Amt für Nachama mit sich. Der neue Vorstand, der sowohl aus Mitgliedern des alten Vorstands als auch aus der alten Opposition sowie unabhängigen Gemeindeangehörigen besteht, soll dafür sorgen, daß alte Gräben geschlossen bleiben und keine neuen aufgerissen werden. Dennoch weiß Nachama, daß in seinem neuen Amt Schwierigkeiten unterschiedlichster Art auf ihn zukommen werden.

Als eher unbeschwerte Zeit hat der gebürtige Berliner seine Studienzeit an der Freien Universität in Erinnerung. Nachdem er schon während seiner Schulzeit als Gasthörer Judaistik-Vorlesungen besuchte, immatrikulierte er sich 1972 für Geschichte und Judaistik. Durch die enge Zusammenarbeit mit den Hochschullehrern und die Unterstützung der Tutoren fand sich der Student schnell zurecht. Bereits nach drei Semestern schloß Nachama sein Grundstudium ab. Um sich sein Studium zu finanzieren, war Nachama nebenher als Religionslehrer für die jüdische Gemeinde der US-Armee tätig. Das Studium endete 1976 mit dem Magisterexamen. 1981 promovierte er mit einer Arbeit über "Ersatzbürger und Staatsbildung im 17. Jahrhundert".

Bereits 1980 wurde er Mitarbeiter der Berliner Festspiele und übernahm unter anderem die Öffentlichkeitsarbeit und Koordination der 750-Jahr-Feier der Stadt Berlin. Seit 1991/92 leitete er außerdem die Jüdischen Kulturtage und organisierte 1992 die Ausstel lung "Jüdische Lebenswelten". Nach neun Monaten als Generalsekretär der Jüdischen Gemeinde wurde er 1994 zum Geschäftsführenden Direktor der Stiftung "Topographie des Terrors" ernannt. Seit Nachama im letzten Juni zum neuen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde gewählt wurde, hat er sich von diesem Posten vorerst beurlauben lassen.

Als wichtigstes Ziel der Gemeindearbeit nennt Nachama die Integration der etwa 5.000 russischsprachigen Zuwanderer, die seit 1990 fünfzig Prozent der Jüdischen Gemeinde zu Berlin ausmachen. "Diese Menschen bedürfen der besonderen Zuwendung, denn sie kommen aus einem Land, in dem über drei bis vier Generationen Religion und damit auch Judentum nicht tatsächlich praktiziert werden konnte."

Von "mehr oder minder akademischer Disziplin geprägt" ist der Blick des Historikers Nachama auf die Geschichte der deutsch-jüdischen Beziehungen. Die Auseinandersetzung mit der Shoah in der Gemeinde finde mittlerweile auf einer eher "didaktischen und durch die Wissenschaft gefilterten Ebene" statt. Gleichzeitig gibt es in der Jüdischen Gemeinde noch zahlreiche Zeitzeugen, die den Naziterror am eigenen Leib erfahren mußten und deshalb anders auf diese Vergangenheit blicken. Mit diesen Menschen seine Zeit tei len zu dürfen betrachtet Andreas Nachama als Privileg.

Daß die Vergangenheit vergeht, glaubt Nachama nicht: "Wir haben Gedenktafeln, wir haben Mahnmale, wir haben Gedenktage; und all das zusammengenommen führt schon dazu, daß jemand ziemlich autistisch sein muß in diesem Land, um sich nicht mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen."


Stefanie Lehnart


Ihre Meinung: Grafik2

[vorherige [Inhalt] [nächste