Ohne Spracharbeit gibt es nur noch dampfenden sprachlichen Müll

"Politik" als fortgesetzte Talkshow



"Worte, die alles Wirkliche verflachen und im Geschwätz beruhigen"
(Hugo von Hofmannsthal: Der Schwierige)



Sprachlose Politik. Ein Widerspruch. Politik, so hören wir von Aristoteles bis Hannah Arendt, sei Sprache, geschehe in, mit und durch Sprache. Wenn schon nicht alles, was da Sprache hat und in Sprache, in Sprech- und Schreibakten geschieht, politisch ist, so machtverwandt Sprache ist, Politik ohne Sprache wirkt wie ein Unding.
Gut. Wichtig ist indes, sich darüber bewußt zu sein, daß diese Annahmen, vor allem, was die Politik, jedoch auch, was die Sprache angeht, normativer Natur sind. Seit langen Herrschaftszeiten gilt, für moderne staatszentrierte Pol itik zumal, daß Politik gewaltfundiert geschieht. Ein Apparat physischer Zwangsmittel bildet das 'Herz des Staates'. Diskussion erscheint wie eine mehr oder minder unverbindliche Vermittlung/Versprachlichung zwischen Gewaltenden.
Freilich: Keine uns bekannte Herrschaft verstand sich rundum und dauernd von selbst. Sie war, und sei's nur in verschwindenden Spurenelementen, rechtfertigungspflichtig. Insoweit spielen Mythen, spielt Sprache von Anfang bis zum bekannten Ende heute e ine Rolle. Und das Lebenselixier demokratischer Herrschaft, auch und gerade in ihren repräsentativen Formen ist Diskussion, ist Kommunikation, ist Überzeugen, ist Überreden, ist öffentliche, verständigiungserpichte und kontrolloff en verantwortbare Veranstaltung - kurzum, ist eine vieldimensionale sprachliche Angelegenheit. Darum ist demokratisch Schweigen nie Gold; darum zählt jedes Wort; jede Sprecherin und jeder Sprecher, zumal dann, wenn er oder sie von und für die Po litik lebt, sind für jedes Wort verantwortlich.
Wenn Sprache der besondere Saft der Demokratie ist, dann ist sie nicht nur, nicht einmal primär in diesem oder jenem Wort wichtig; dann prägt sie, in der millionenfachen Wiederholung von Formeln und Schlagworten, in den in ihr eingelassenen Vorurteilen und Suggestivwörtern und mit einer Grammatik, die freier oder herrschaftlicher bindet. Sie ist primäre, sie ist dauernde Sozialisationsinstanz. Sie entscheidet, bevor wir uns darüber je bewußt werden, was wir wie wahrnehme n und wo wir augenvoll blind bleiben.

Und das Lebenselixier demokratischer Herrschaft, auch und gerade in ihren repräsentativen Formen ist Diskussion, ist Kommunikation, ist Überzeugen, ist Überreden, ist öffentliche, verständigiungs-erpichte und kontrolloffen verantwortbare Veranstaltung -kurzum, ist eine vieldimensionale sprachliche Angelegenheit.

Und Sprache, die uns noch in der äußersten Spitze der Subjektivität sozial bindet, besitzt kollekt ive Wortschichten. Wird hier keine öffentliche und individuelle Sprach- 'Arbeit' geleistet, dann dampft der sprachliche Müll durch unser Reden und Schreiben. Und seien wir noch so "emanzipatorisch" gesinnt. Man betrachte im heutigen De utschen allein: Die starke Schicht kontinuierlichen Bürokratendeutschs, das heute technisch verstärkt wird; die Huberei mit dynamischen und zu Ersatzsubjekten erhobenen Abstrakta von der Wiedergutmachung bis zur Abwicklung und Erstreckung; eng d amit verbunden das Militärdeutsch mit seinem Kampfesgetümmel, seinem fatalen Heroismus und seiner Helm-fester-Binden-Attitüde: tief im 'zivilen' Bereich erkenntlich im "Krieg gegen die Drogen" und die "Organisierte Kriminalität" bis hin zu den Wissenschaftlern, die jüngst vom zuständigen Wissenschaftsminister an die "Innovationsfront" geschickt worden sind; die nicht gehobene Schicht des braunen, geradezu tiefbraunen Deutschs: Sie findet sich nic ht zuletzt und vor allem im prägekräftigen Strafrechtsdeutsch wieder; das Deutsch des Kalten Krieges schließlich mit seiner 'ererbten' Lust an Reich des Lichts und Reich der Finsternis-Zweiteilungen bis hin zum DDR-Deutsch und seinem "Fakt" und seinen "Positionierungen", vom bundesdeutschen Kampf um unschuldige "Identitäten" aller Un-arten zu schweigen.
Sprache als Verweigerung von Information und Orientierung - das ist das Kunststück der pseudopolitischen Sprache des (nicht nur) bundesdeutschen "Informationszeitalters". Hilfsverbenverbundene Ketten von leeren Abstrakta, die sich als a us Stroh geflochten herausstellen. Formuliert im Essentialismus der Leere. Darum werden "Glaubwürdigkeit", als die anscheinshafte Wahrhaftigkeit wenigstens der "Gesinnung" - die Deutschen immer noch als das Höchste erscheint -, "Authentizität" und die "unverzichtbare" "Identität" zu den sprachlich habituellen Leuchtformeln schlechthin. Die Bilder "in Zeiten der Cholera", sprich der Multimedia, die Sprache ergänzen, ersetz en und übertölpeln, tun ein Übriges in der öffentlichen Entleerung, die auch das Private, das Intime ausschüttet. "Politik", welche Ereignisse, Handlungen kaum und vor allem Attitüden immer mit diesem traditionsentl asteten Begriff bezeichnet werden mögen, "Politik" als fortgesetzte Talkshow, in der Prominente unmittelbar (!) vergegenwärtigen, daß und was sie machtvoll nicht machen. Das ist es übrigens, was politisch im Sinne potentiell verantwortlicher Gestaltung menschlicher Dinge am meisten angst macht.
·ffentliches Sprechen, um Vorurteile zu mobilisieren, auf daß "Akzeptanz", sprich erblödete Zustimmung zu dem, was ohnehin geschieht, positionshalterisch ergattert werde, eine solche Mobilisierung in und durch Vorurteile bis in di e Gesetze müßte in einem langen Kapitel behandelt werden. "Asylantenschwemme". Und das in einem Boot, das ohnehin zu voll ist. Dazu gesellte sich das neu-alte Globalisierungs- und Standort-Deutsch, eine Sportifizierung, nein eine ·kon omisierung, nein eine Militarisierung der Sprache, genauer alle drei Eigenschaften in eins, da bekanntlich ohne "Killer-Instinkt" kein deutscher (oder japanischer) "Boris" das Match um den raren Platz an der Sonne gewinnen kann.
Daß die LTI, die Lingua Tertii Imperii und ihre "selektiven" (!) Botschaften nahezu völlig vergessen sind, beschäftigt mich, älter werdend, mit am meisten, obwohl, ja gerade weil ich weiß, daß die Sprache im globalen Multimediazeitalter und ihrem individualisierten Sozialdarwinismus viel härteren Proben ausgesetzt ist.
"Politik", so formulierte es der Motto-Geber HvH an anderer Stelle, sei "die Verständigung über das Wirkliche." Was Wunder, daß die sprachlose Politik, die (sozial-)wissenschaftlich abstandslos weithin wiederholt od er im bürokratienahen Jargon verschlimmbösert wird, kopflos nur noch eitle "Positioniererei" oder blöde Verdrossenheit erzeugt.
Wolf-Dieter Narr


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