Probleme bei der sprachlichen Wiedervereinigung

Ein Land - zwei Register


Germanistik

Woran erkennt man einen Ostler? Sagt er wirklich noch Broiler, Winkelement und Jahresendflügler? Oder ostalgischerweise schon wieder? Mit diesen Unterschieden ließe sich leben, und daß sie eher marginal sind, zeigt eine differenziertere Betrachtung des Spr achverhaltens ehemaliger DDR-Bürger. Die sprachliche Neuorientierung im sozialen Umbruch ist, wie unsere empirischen Studien im DFG-Projekt "Perspektivierung im Diskurs" erhärten, vertrackter. Sie wirkt-gewissermaßen subkutan - a uf allen Ebenen des Sprachsystems und ist für Ostler und Westler nicht nur gleichermaßen spürbar, sondern-und das wiegt schwerer-verhindert oder erschwert die soziale Verständigung.
In der verordneten Kohabitation müssen neue Lebensformen ja nicht nur von jedem einzelnen neu entworfen, sondern auch neu kommuniziert werden. Dies zeigen Beschreibungen sprachlicher und kommunikativer Unterschiede in der Darstellung von Ereignis sen um den 9. November 1989, die wir in informellen Gesprächen mit 25 Ost- und 25 West-Berlinern erhoben haben. Unsere Studien stellen eine Art 'Kollektives Gedächtnis' für diese kulturspezifischen Unterschiede dar.
Während aber nun der kognitive Zugriff auf das Lexikon einer bewußten Kontrolle weitgehend zugänglich ist, weshalb Begriffe wie Broiler und Jahresendflügler strategisch vermieden oder strategisch eingesetzt werden können, gel ten syntaktische Strukturen oder interaktive Muster als eher vorbewußt; sie sind der Kontrolle weitgehend entzogen. Die Aneignung neuer sprachstruktureller und interaktiver Formen verläuft daher schwerfälliger und diffuser und zeigt intere ssante Dynamiken von Sprachwandel.
An so harmlos wirkenden Erscheinungen wie den Partikeln eben und halt zum Beispiel läßt sich die Beobachtung stützen, daß die ehemaligen DDR-Bürger unter sozialem Anpassungsdruck an den westlichen Stil syntaktische Planungsm uster übernehmen. Das vorher dort nicht realisierte halt, ein Marker für subjektive Evidenz, tritt neben das objektive Evidenz markierende eben, und dies-befragt man die Sprachbenutzer danach-unbewußt. Halt scheint auf dem 'linguistischen Markt', wie Bourdieu es treffend formuliert, einen höheren Marktwert zu besitzen. Ein Effekt, der als Registerübernahme gekennzeichnet werden kann.
Daß Kollektivität in der ehemaligen DDR einen hohen politischen Stellenwert hatte, ist bekannt; daß das Denken im Kollektiv in den alten Bundesländern eine weitaus geringere Rolle spielt, ebenfalls. Daß diese alten, kollekt iven Deutungsschemata im Umbruch und in der Umorientierung auf westliche Stile zur Labilität sprachlicher Strukturierung führen, zeigen die folgenden Beispiele: Eine ehemalige Ostberliner Lehrerin etwa erzählt, daß ich Verwandtschaft habe, die selbst Lehrer ist. Die Wendesituation führte bei einem ehemaligen Ostberliner nicht dazu, daß man sagen könnte, da sind nu Freundschaften ... entstanden.
Auch das Sprechen über die Lebensbereiche Arbeit und Einkaufen, die von der politischen Umstrukturierung zentral betroffen sind, dokumentiert sprachliche Destabilisierung (Brüchigkeit) jenseits des Lexikons. Eine ehemalige DDR-Bürgerin resümiert beispielsweise: Also von der Anerkennung unseres Berufs her war'n wir eigentlich eh mit in der Gesellschaft sehr hoch gefragt. Eine andere fürchtet beispielsweise, daß der Stand im Berufsleben gefährdet ist. Befragt nach den Veränderungen, die für ihn eingetreten sind, antwortet ein Ostberliner: Mein ganzes Kaufempfinden is ein ganz anderes geworden, während bei einem anderen "diese Euphorie der Kaufhäuser schon längst vorbei ist. Eine einheitli che sprachwissenschaftliche Beschreibung dieser Äußerungen ist mit dem Begriff der 'Registerkontamination' gegeben: Zwei verwandte, nicht aber zugleich produzierbare Formulierungsmuster, denen verschiedene Deutungsmuster korrespondieren, werden gewi sserweise übereinandergelegt.
Nicht nur kleinere, synta gmatische Einheiten sind von sprachlichen Kontaminationen (Vermischung zweier sprachlicher Kulturen) betroffen; vielmehr werden sie auch beim Erzählen über persönliche Erfahrungen wirksam. Eine ehemalige Ostberlinerin erzählt: Ok zum B eispiel janz blödet Beispiel hat man da 'n Papier liegen na und dann liecht dit da, is ooch ejal, bei uns - glei weg damit- dit is 'n janz blödet Beispiel, jetzt aber so so so irgendwie so aba ürgendwie mit der Zeit weeß nich is dit allet so selbstverständlich daß man dis ürgendwie so hinnimmt na dann isset halt so also man wird automatisch 'n bißchen freier denn ne in seinen Gedanken und Jefühlen ne äh ürgendwie.
Subjektive Erfahrungen werden überlagert von fremdgesteuerten Deutungsangeboten und verhindern, sich als 'geborgte Sprache' in den Diskurs nistend, zugleich die subjektive Erlebnisverarbeitung.
Ganz im Unterschied zu den euphorischen Stimmen, wenige Jahre nach der Wiedervereinigung werde kulturelle Harmonie hergestellt sein, kommen wir auf der Folie unserer sprachlichen Beschreibungen eher zu dem Schluß, daß die vermeintlich große Geschwindigkeit der politischen und gesellschaftlichen Vereinigung durch die Verlangsamung der sprachlichen in Frage gestellt wird.
Ursula Bredel / Norbert Dittmar

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