Eine ungehaltene Rede eines Berliner Abgeordneten zur Lage der Hochschule *

Wieviel Universität braucht unsere Hauptstadt?


Liebe Berliner und Berlinerinnen!

Wir bedanken uns für die Gelegenheit, vor diesem hohen Hause die Bevölkerung darüber aufklären zu dürfen, wieviel Universität unsere Hauptstadt benötigt. Die Beantwortung dieser Frage ist ganz einfach: gar keine. Es gibt auch andere Hauptstädte ohne Universität, Nukoalofa, die Hauptstadt von Tonga zum Beispiel oder San Marino, die Hauptstadt von San Marino. Sicher, es gibt auch welche, die mehrere haben, Paris mit, so weit wir wissen, sieben, Tokio mit über hundert. Wir meinen: Das schafft nur Unübersichtlichkeit und Konkurrenz. Hauptstädte mit hervorragenden Universitäten sind sowieso selten, und was ist ihr Preis? In Amsterdam wurde der Drogenkonsum freigegeben und in Wien beleidigen die Studenten den Opernintendanten.


Hauptstädtischer Provinzialismus zeigt sich nicht nur in der Berliner Hochschulpolitik

Unser Berlin soll eine solche Hauptstadt nicht sein. Wir haben uns deshalb entschieden, die Forschung außeruniversitären Einrichtungen zu überlassen, deren Leiter mit uns freundschaftlich verflochten sind. Die Universitäten möchten wir schließen bzw. als Fachhochschulen weiterführen: ohne Autonomie, klare Lehrpläne, berechenbarer Output, keine Professoren, sondern Oberstudienräte, keine Forschungsmätzchen.

Wir sind nicht der Meinung des Wissenschaftsrates, daß die "Hochschulen die wichtigsten Stätten der Forschung" sind. Wenn doch, dann muß sich das ändern. Wir sehen auch nicht die Notwendigkeit einer Internationalisierung der Forschung. Wir wollen gar keinen, auch keinen wissenschaftlichen Streit mit Ausländern. "Interdisziplinarität?" ö "Schuster bleib bei deinen Leisten" können wir da nur sagen. "Wissenschaftlicher Nachwuchs als Aufgabe der Universität"? Völlig unnötig. Das können die Betriebe besser. Dort ausgebildete Arbeitskräfte halten, wie in Japan, ihrer Firmenfamilie die Treue.

Und meine Damen und Herren von der oppositionellen Bevölkerung: Kommen Sie uns nicht mit dem Hochschulurteil des Bundesverfassungsgerichts! Dort stand der absurde Satz: "Der Staat hat die Pflege der freien Wissenschaft und ihre Vermittlung an die nachfolgende Generation durch Bereitstellung von personellen, finanziellen und organisatorischen Mitteln zu ermöglichen und zu fördern." Zu der Frage, wovon wir den Tiergartentunnel bezahlen sollen und die Magnetbahn, da stand dort nichts.

Wir halten auch Grundlagenforschung für nicht mehr erforderlich. Im Grunde ist ja alles erforscht. Was wir jetzt brauchen, ist, in den Worten der SPD, "praktische Intelligenz". Damit kommt man weiter und vor allem hinter dieses überholte Godesberger Programm zurück: Wissenschaftsarbeiter sind es, die wir brauchen, keine Bildungsbürger.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, in Erinnerung an Helmut Schmidt möchten wir für ein forschungsfreies Jahrzehnt werben. Es gibt so viele Bücher in den Bibliotheken. Wenn alle durchgelesen sind, können wir überlegen, ob neue geschrieben werden müssen.

Wir kommen nunmehr zu einer Darlegung unserer konkreten hochschulpolitischen Vorhaben: Unsere Regierungsuniversität in Berlin-Mitte haben wir rechtzeitig ausgebremst. Wir hatten ja versucht, alles beim alten zu lassen und deswegen auf eine Generalabwicklung verzichtet. Aber in den Fachbereichen, die wir erneuert haben? Was ist da der Dank? Neuberufene Westprofessoren verklagen uns vor dem Verwaltungsgericht und verlangen eine Einlösung ihrer Berufungszusagen. Offenbar haben sie den Symbolwert ihrer Universität nicht verstanden. Dabei haben wir wirklich alles getan, z.B. für die Medizin: Wir haben das Rudolf-Virchow-Klinikum umbenannt , die Zahnmedizin geschlossen, und wir sind im Prinzip sogar bereit, das letzte FU-Klinikum zu entfernen. Sind die FU-Mitglieder so krank, daß sie ein eigenes Klinikum brauchen?

An der HDK muß der nächste Schritt die Abschaffung des Einzelunterrichts sein. Wir sind nicht der Meinung, daß Fischer-Dieskau nur einzelnen Studenten vorsingen sollte. Das kann man rationalisieren, insbesondere durch die Pflege des Chorgesangs. Und die Technische Universität? Sie war einmal der Stolz der deutschen Industrie. Strebsame junge technikbegeisterte Menschen werden heute von Sozialwissenschaftlern in Zweifel gestürzt, ob sie sich nicht besser für Umweltschutz engagieren sollen. Am Ende haben wir nur noch saubere Fabrikschornsteine, von denen aber keiner mehr raucht. Wir haben deshalb entschieden, die TU in eine Ingenieurschule umzuwandeln.

Wir kommen zu der abschließenden Frage, der nach der Zukunft der FU. Auch diese ist einfach beantwortet: Sie hat keine. Muß ich Sie, liebe Berliner und Berlinerinnen wirklich noch daran erinnern, wie in den sechziger und siebziger Jahren FU-Studenten in befremdlichem Aussehen das Ansehen der Stadt beschädigt und uns alle ins Angst und Schrecken versetzt haben? Das einzige vernünftige, was damals passiert ist, war die Verbrennung des FU-Wappens. Heute haben wir als Bürger endlich die Gelegenheit, den auf unsere Kosten "Gebildeten" zu zeigen, daß die Geschichte nichts vergißt. Wir sind deswegen froh, daß unsere kreative Finanzsenatorin einen glänzenden Vorschlag gemacht hat, der bei vielen Bürgern mit großer Zustimmung aufgenommen wurde: Verlagerung auf den Flughafen Tempelhof, noch vor Einstellung des Flugbetriebs und dann Bewährung beim Abtragen der Rollbahnen. Die unangenehme Erinnerung an die etwas unschönen Meinungsverschiedenheiten zwischen Ost und West, zwischen den Kollegen und Freunden aus der SPD und der PDS wird, wenn es keine "Freie" Universität mehr gibt, auch bald getilgt sein. Denn, wie hieß es doch 1989 auf den Straßen unserer Nachbarstädte: "Wir sind ein Volk" und wir fügen hinzu: In den Fragen der Hochschulpolitik sind wir Berliner alle eine Partei! Wir versichern Ihnen, liebe Berlinerinnen und Berliner: Auf dem von uns gewählten Weg wird es keinerlei Gegensätze zwischen dem Volk und den Wissenschaftlern mehr geben. Schluß mit jeder Differenzierung!

Dieter Lenzen

* Das Manuskript wurde Prof. Dr. Dieter Lenzen noch vor der Genehmigung durch die Regierung aus gut informierten Kreisen zugespielt.


Dieter Lenzen ist Prodekan des Fachbereichs Erziehungswissenschaft, Psychologie und Sportwissenschaft. Er hat eine Professur am Institut für Allgemeine Pädagogik, Arbeitsbereich Philosophie der Erziehung.


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