Wider eine niedrige Inflationsrate als erstrebenswertes Ziel per se

Geld drucken ö warum nicht?


Hohe Arbeitslosigkeit, niedrige Renditen (Zinsen), eine geringe Inflationsrate und die permanente Diskussion um die Schließung von Deckungslücken zwischen den Einnahmen und Ausgaben der Öffentlichen Hand kennzeichnen u.a. die Situation in der Bundesrepublik Deutschland. Betrachten wir diese Situation einmal etwas genauer: Eine niedrige Inflationsrate ist seit jeher der Stolz unserer Regierung und ihrer Hüterin der Währung, der Bundesbank, gewesen. Aber ist eine niedrige Inflationsrate tatsächlich ein so positiver Indikator oder ein erstrebenswertes Ziel per se?

Eine niedrige Inflationsrate besagt, daß tendenziell das Angebot auf den Güter- und Dienstleistungsmärkten größer als die Nachfrage ist. Offensichtlich ist aber auch das Angebot an Geld auf den Kapitalmärkten eher größer als die Nachfrage (niedrige Zinssätze!), und daß das Angebot an Arbeit größer als die Nachfrage ist, bedrückt uns inzwischen seit vielen Jahren.

Wie reagiert nun ein (dynamischer) Unternehmer im weltweit so erfolgreichen Kapitalismus. Er hat den Wunsch zu expandieren, sein Geschäft zu vergrößern. Wenn aber die Nachfrage fehlt, dann macht es keinen Sinn zu expandieren. Wenn er dennoch (dynamisch) reagieren will, dann versucht er, die Spanne zwischen Erlös und Kosten zu vergrößern, um mehr Gewinn zu machen. Den Erlös kann er nicht erhöhen (für eine Absatzerhöhung fehlt die Nachfrage und eine Preiserhöhung würde die Nachfrage noch weiter sinken lassen), also versucht er die Kosten ö durch Rationalisierungsmaßnahmen ö zu senken. Rationalisieren heißt aber fast immer: Substitution von Arbeit durch Kapital. Damit erhöht sich die Zahl der Arbeitslosen und mit jedem neuen Arbeitslosen geht ein Stück Nachfrage verloren, da dem Arbeitslosen weniger Geld zur Verfügung steht als dem Beschäftigten. Das Deprimierende an diesem Teufelskreis ist, daß sich jeder einzelne völlig rational und im Einklang mit den Marktkräften verhält und auch verhalten muß, soll ihm kein Schaden entstehen.

Wer sich jedoch nicht nach den Spielregeln des Marktes verhalten muß, das ist der Staat. Tatsächlich verlangt man sogar von einer aktiven Wirtschaftspolitik, daß sie dort das Spiel der Marktkräfte begrenzt und einschränkt, wo sie zum Nachteil der Allgemeinheit wirken. Was also müßte der Staat tun? Wir haben gesehen, daß wegen der zu geringen Nachfrage für Unternehmer kein Anreiz besteht, ihre wirtschaftlichen Aktivitäten auszudehnen, Erweiterungsinvestitionen vorzunehmen und damit zusätzliche Arbeitskräfte einzustellen. Tatsächlich würde es nach allgemeiner wirtschaftswissenschaftlicher Einschätzung sogar reichen, wenn die Unternehmer positive Erwartungen hinsichtlich einer Nachfragesteigerung haben würden, um sie zu (Erweiterungs-) Investitionen anzuregen. Tut der Staat das? Nein, er tut

das genaue Gegenteil. Mit seinen tagtäglichen Schreckensmeldungen, was alles zur Einsparung von Personal, zur Schließung von Einrichtungen, zur Reduktion von Sozialleistungen, zur Kürzung der Renten usw. geschieht und zu geschehen habe, sorgt er für ein immer schlechteres Wirtschaftsklima. Nun ist es natürlich klar, daß auch der Staat nicht in beliebiger Höhe Schulden machen kann, weil irgendwann die Zinszahlungsverpflichtungen die laufenden Einnahmen übersteigen würden. Tatsächlich hat der Gesetzgeber dem auch einen Riegel vorgeschoben, indem er vorschreibt, die Neuverschuldung auf die Höhe der Investitionen zu beschränken.

Wohlgemerkt: Selbstverständlich muß auch die Öffentliche Hand ihr Haus in Ordnung halten, muß etwa unnötige Subventionen streichen, überflüssiges Personal abbauen, muß jede unterhaltene kulturelle Einrichtung gegen Alternativen abwägen usw.ö aber das darf eben nicht gerade vornehmlich in einer Krise geschehen, in der ihr plötzlich alle Schandtaten bewußt werden, die sie dann ganz schnell wieder vergißt, wenn es wieder aufwärts geht, sondern in Zeiten, in denen es der Wirtschaft gut geht. Aber auch in diesen hat der Staat ö fast immer ö das Gegenteil davon getan. Wenn es also gar nicht sinnvoll ist, die Ausgaben der Öffentlichen Hand derzeitig zu beschneiden, und wenn die Verschuldung nicht erhöht werden kann, und wenn von Steuererhöhungen sicherlich auch keine positiven Wachstumsimpulse ausgehen werden, dann bleibt nur eine Möglichkeit: Geld drucken ö oder? Das klingt verwerflich, ist es aber nicht! Grundsätzlich sagt man zwar, daß eine Geldmengenerhöhung, die auf ein unverändertes Güterangebot trifft, die Preise steigen läßt, also tendenziell inflationär wirkt, aber eben nur, wenn die Nachfrage größer als das Angebot ist ö wovon aber derzeitig keine Rede sein kann ö und auch dann nicht sofort, sondern im Rahmen eines nur sehr allmählich wirkenden dynamischen Anpassungsprozesses. Tatsächlich ist unbestritten, daß Geldmengenerhöhungen durchaus reale Effekte ö etwa auf dem Arbeitsmarkt ö im Gefolge haben, wenn auch vielleicht nicht auf Dauer ö was auch gar nicht nötig ist, weil es uns ja in erster Linie um positive Impulse geht.Bleibt noch die Frage nach den Verlierern: Wenn die Folge der Geldmengenerhöhung eine höhere Inflationsrate ist, dann trifft es primär diejenigen, die einen Teil ihres Vermögens in nominalen Titeln halten, also etwa die Banken, soweit sie Geld verleihen (Um die mache ich mir keine Sorgen!) oder Personen, die eine Lebensversicherung abgeschlossen haben (um die schon eher). Aber wem ist auch klar, daß eine Person, die 40 Jahre lang durchschnittlich verdient hat ö das waren 1957 DM 5043 pro Jahr und das sind 1996 DM 51108 pro Jahr ö heute DM 1866,80 Rente pro Monat bekommen würde, d.h. pro Jahr für DM 46,67 Rente gearbeitet hat? Diese Menschen werden angesichts der täglichen Rentenkürzungsdiskussion kein großes Mitleid mit dem Besitzer einer Lebensversicherung haben. Zu den Verlierern würden auch diejenigen zählen, die Sparkonten unterhalten (die können ihr Vermögen umschichten ö ganz abgesehen davon, daß im Gefolge der Inflation früher oder später auch die Zinsen steigen werden). Letzten Endes ist alles eine Frage der Abwägung und der wirtschaftspolitischen Verantwortung ö und da ist eines ganz sicher: Die derzeitige Politik der Verantwortlichen erzeugt täglich mehr Arbeitslose und vernichtet täglich weitere Arbeitsplätze ö und das nicht etwa als schwer zu durchschauende Folge von Handlungen, die eigentlich ganz andere Ziele zum Gegenstand haben, sondern als explizit erklärtes Ziel der Politik. Und diese Politik setzt sich mit identischen Folgen in der freien Wirtschaft fort. Wer das ö wie ich ö nicht will, muß eben andere Wege aufzeigen, selbst wenn sie nicht populär sind und der Erfolg auch einen Preis hat.


Peter Kuhbier
Peter Kuhbier ist Prodekan des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft und hat dort eine Professur am Institut für Statistik und Ökonometrie.


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