Ein neues Semester, eine neue Serie: Den Auftakt bei LERNEN und LEHREN macht das Studienbarometer, eine Befragung von Studierenden zu ihrer Einschätzung der Studienbedingungen. Dazu hat Projekt Pro Lehre (PPL) im Wintersemester 1994/95 rund 2.800 Studierende aus 29 Fächern befragt. Eine Antwort, "Schickt uns mehr Lehrkräfte statt Fragebögen, das spart Gelder", steht dafür, daß das Studienbarometer als Meßinstrument und seine Ergebnisse alles andere als unumstritten sind.

"Ein bunter Blumenstrauß von Meinungen"

Oder: Zufriedenheit - der subjektiv-studentische Faktor


Das sei ja fast schon so wie eine Umfrage "über die Qualität der von Eduscho angebotenen Kaffeesorten in einer Bevölkerung, in der es auch Teetrinker gibt, ohne daß die Meinungsforscher wissen, daß sie Teetrinker sind". So spöttelt Professor Peter Hübner, Soziologe am Fachbereich Erziehungswissenschaften, über die PPL-Umfrage. Was er beklagt, ist, daß die Erziehungswissenschaftler in der Studienbarometer-Rangliste ausgerechnet "den Praxisbezug ihrer Lehre sehr negativ bewertet finden", ohne daß die eher theoretisch Interessierten, quasi die Teetrinker des Fachbereichs, angemessen ins Gewicht gefallen wären. Das aber sei ein methodischer Mangel. "Denn: Tatsächlich sind die Studienmotive dieses Fachbereichs außerordentlich heterogen." Was war geschehen?


Wenig Englisch in den Anglistikseminaren


Projekt Pro Lehre hatte in einer Stichprobenerhebung Studierende gefragt, wie zufrieden sie mit den Studienbedingungen ihres Fachbereichs sind. Antworten, so subjektiv sie auch sind, gibt nun das Studienbarometer - für Heidemarie Hecht und Heinz-Otto Gralki von PPL "ein empirisches Instrument, das auch Vergleiche zwischen verschiedenen Fachbereichen zuläßt".

15 Vorgaben enthält der gemeinsam mit Studenten entwickelte Fragebogen, mit dem jeweils etwa 100 Studierende eines Faches* die didaktische Kompetenz der Lehrenden bewerten sollten, Lehrangebot, Studienklima, räumliche Situation, Transparenz der Studienanforderungen, Beratung durch die Lehrenden, Praxisnähe des Studiums. Auch sollten sie angeben, ob sie sich unter- oder überfordert fühlen. Zudem sollten sie über die Bibliotheksausstattung und über Hilfsbereitschaft der Verwaltung urteilen - alles auf einer fünfstufigen Notenskala. Darüber hinaus beinhaltete der Fragebogen einen offenen Teil, in dem sich die Befragten dazu äußern konnten, welche Lehrinhalte sie vermissen und auf welche zu viel Gewicht gelegt werde. Postive wie negative Anmerkungen sowie Verbesserungsvorschläge waren ausdrücklich erwünscht. Die Ergebnisse offenbaren, daß fast allen Studierenden die Nähe zur Praxis fehlt, allen voran den Germanisten, aber auch den Wirtschaftswissenschaftlern, Juristen und Mathematikern. "Es gibt nur einen Fachbereich, der in dieser Hinsicht schmerzfrei ist", diagnostiziert Gralki, "das ist die Zahnmedizin". Obwohl auch dort Kritik aufkam, daß "praktische Grundlagen, die jeder Zahnarzt wissen sollte", nicht ausreichend erklärt würden. Etwa: "richtiges Zähneputzen, welche Zahnbürste sollte man empfehlen, warum ist Perlweiß schlecht". Demgegenüber fehlt den Anglisten die Praxisbezogenheit schon dadurch, als in den meisten Seminaren "zu wenig Englisch gesprochen wird". Selbst die Sportler (beim Praxisbezug liegen sie im Mittelfeld) klagen hin und wieder über "praxisunrelevante Leistungsnachweise" für das Lehramt - beispielsweise "Wasserspringen". Wie ins kalte Wasser geworfen scheinen sich Studierende auch zu fühlen, wenn es um klare Studienanforderungen geht: "Es ist unmöglich rauszufinden, welche Anforderungen an M.A.- Studenten (Nebenfach) gestellt sind", so eine Anmerkung zum Philosophiestudium, "ich kriege kaum raus, welche der vielen Studienordnungen für mich gilt". Mangelnde Transparenz der Studienordnung ist offenbar an vielen Fachbereichen ein Problem: Selbst die beste Note war hier, im Vergleich zu anderen Rubriken, noch ziemlich schlecht.

Studienberatung könnte Abhilfe schaffen. Aber genau daran hapert es offensichtlich. Die Studierenden - besonders die der medizinischen Fachbereiche - beklagen nicht nur, daß die Beratung durch die Lehrenden nicht ausreicht. Überhaupt fänden sie selten Gehör bei den Lehrenden, meist seien die auch gar nicht erreichbar. Positiv bewerten dagegen die Studierenden der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft (AVL), des John F. Kennedy-Instituts und des Psychologischen Instituts den Kontakt zu den Lehrenden. Im Ganzen aber ist das Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden aus studentischer Sicht distanziert bis "katastrophal". "Da zeigt sich" für das PPL-Team "wieder das Gesicht der Massenuni". Prima Klima scheint eher in kleineren Fächern zu herrschen.

Relativ gut fielen für die Lehrenden die Didaktik-Noten aus. Gralki: Diese Vorgabe gehörte "fast immer zu den sechs am besten beurteilten 15 Vorgaben unseres Fragebogens". Von der Anglistik bis zur Zahnmedizin kritisieren die Studierenden allerdings, daß die Professoren zu sehr ihre "Steckenpferde" reiten. Der Biochemie überdrüssig sind die Veterinärmediziner, in der Pharmazie geht es den Studierenden zu oft um Chemie, und die Wirtschaftswissenschaftler haben schlicht genug von Theorie.

Auch über das verlangte Leistungsniveau singen vor allem Pharmazeuten und Veterinärmediziner ein Klagelied: viele fühlen sich dort überfordert. Eher unterfordert scheinen dagegen die zu sein, die Geologie, Politologie, Publizistik, Pädagogik oder Soziologie studieren. Das Fach sei zu "lasch" organisiert, heißt es im Anmerkungsteil zur Soziologie.


Weg mit dem DiMiDo-Stundenplan


Auch scheint sich Unterforderung an manchen Tagen deutlicher zu zeigen als an anderen - weg mit dem DiMiDo-Stundenplan, ist eine Forderung aus der Anglistik: "Veranstaltungen sollten während der ganzen Woche von Montag 8.00 bis Freitag 16.00 oder 18.00 Uhr stattfinden. " Da wäre ein Fachwechsel zur Zahnmedizin hilfreich - und ernüchternd. Hier, so ein studentisches Statement, wird man "von früh um 8 Uhr bis abends 18 Uhr mit Wissen bombardiert und soll immer konzentriert sein".

Mitunter verlagert sich der Arbeitseifer auch in die Bibliotheken. Zwar werden auch hier längere Öffnungszeiten verlangt, aber ansonsten bekommen Arbeitsbedingungen und Ausstattung der Bereichsbibliotheken doch die besten Beurteilungen des Barometers. Spitzenwerte verzeichnet das JFK-Institut.

Nicht immer locken allein die Bücher. Das kann auch "das schöne Mädchen in der Bibliothek" des Fachbereichs Rechtwissenschaft sein, "das immer so nett lächelt". Eine Exkursion, wie bei den Geowissenschaften, kann solche Bande dann vielleicht enger schnüren. Der Kontakt der Studierenden untereinander jedenfalls scheint hier besonders ausgeprägt, ebenso bei den Sportlern, in der Mathematik und Physik sowie der AVL und am Lateinamerika-Institut (LAI), das hier die beste Bewertung erreichte.

Großes Lob erhielt mancherorts auch dieVerwaltung für ihre Hilfsbereitschaft, zum Beispiel in den Fächern Mathematik, AVL und am JFK-Institut.

Inwieweit manche Defizite, die das Barometer aufzeigt, auch längere Studienzeiten mit verursachen, darüber läßt sich nur spekulieren.


Kampf um Praktikaplätze


Anhaltspunkte aber gibt es: Wenn die Transparenz der Studienanforderungen relativ schlechte Werte erhält, so könnten die daraus resultierenden Orientierungsprobleme auch zu den langen Studienzeiten beitragen. Biologiestudenten benennen ganz konkrete Gründe, warum sich ihr Studium zieht: "Wahnwitzige Loswahlen für Praktika"; "Wenn man Pech hat, wird man ein Semester zurückgeworfen, weil man die Pflichtpraktika nicht belegen kann". Manche, etwa in der Philospophie, vermissen auch Antworten auf ganz banale Fragen: "Wie schreibe ich eine Hausarbeit?" Ein Lehrender, der darauf Antworten gibt, wie der Anglistikprofessor Hans Dieter-Gelfert in seinem Seminar "Der gerade Weg zum Examen", wird denn auch schon mal zur Heiligsprechung vorgeschlagen.

Andere fordern "Toleranz gegenüber sogenannten Langzeitstudierenden", kritisieren die Haltung "Hopp-hopp-ab-durch-die-Uni-und-schnell-wieder-raus" und verlangen die Abschaffung der "Zwangsberatung". Den Sinn der obligatorischen Prüfungsberatung kann man jedoch gerade auch von der Umfrage bestätigt sehen. Die Beratungsverpflichtung ist offensichtlich notwendig, für Lernende und Lehrende.

"Evaluation kann schmerzhaft sein", sagt Gralki, wenn sich Fachbereiche mit weniger schmeichelhaften "Zufriedenheitsaussagen der Studenten" konfrontiert sehen. Schmerzhaft aber auch für die, die das Studienbarometer nun präsentieren. PPL hat inzwischen im Akademischen Senat regelrecht Prügel bekommen. Gegner sprechen von "Klo- und Mensasprüchen", kritisieren die empirische Methode und beklagen eine Verfälschung der Wirklichkeit: "Statistische Mittelwerte", so auch Soziologe Hübner, seien "zur Charakterisierung des Meinungsbildes ungeeignet".

"Sicher ist einiges richtig" sagt die Dekanin der Geowisschaften, Karin Labitzke. Aber der Statistikansatz sei sachlich nicht in Ordnung. Das Studienbarometer vernachlässige Zusammenhänge und gebe damit ein schiefes Bild. Auch sie befürwortet längere Bibliotheksöffnungszeiten an ihrem Fachbereich, aber "hundsmiserable Zustände", bedingt durch "haarsträubende Stellenpolitik und Haushaltslage", sprächen nun mal dagegen. Auch seien die Aussagen der Studenten so widersprüchlich, daß sich daraus kaum etwas ableiten lasse. In einer ersten Stellungnahme hatte der Fachbereichsrat der Geowissenschaften das Studienbarometer als "Zufallsprodukt" und "Pamphlet" bezeichnet und vermutet, "daß hier entweder mit akribischem Dilettantismus oder aber mit diffamierender Pseudowissenschaftlichkeit Politik betrieben wird".

Anglizist Gelfert sieht die Sache anders. Ganz allgemein herrsche "eine panische Angst vor Evaluation", meint er. Und die gehe Hand in Hand mit der "Angst vor einem Makel", wenn dabei ein schlechter Ranglistenplatz für das Fach herauskomme. "Da gibt es Fachbereiche", so Gelferts Meinung, "die hätten am liebsten eine Glasglocke über sich - und dann nur viele Steuergelder rein. " Das Studienbarometer ist für ihn "ein bunter Blumenstrauß studentischer Meinungen". Nicht die Ergebnisse des Studienbarometers sind für ihn von Bedeutung, sondern deren Wirkung. Den Studierenden seines Faches beispielsweise kann er nur zustimmen, wenn sie kritisieren, daß kaum Seminare in englischer Sprache gehalten werden: ein "katastrophaler Zustand". Auf der Rangliste ist u.a. Gelferts Fach bei keiner der 15 Vorgaben des Fragebogens im positiven Feld gelandet. Trotzdem nimmt er das Studienbarometer vor Kritikern in Schutz: "Hier wird, wie so oft, der Überbringer der schlechten Botschaft erschlagen. " PPL weist derweil weiter darauf hin, das Studienbarometer könne nur die "Diagnose" stellen, "die Behandlung liegt in den Händen der Fachbereiche".


Panische Angst vor Evaluation


Hinweise und Empfehlungen an die Fachbereiche zu geben "dazu ist PPL nicht in der Lage", kritisiert Andrea Syring, studentische Vertreterin im Akademischen Senat. Das müsse den Fachbereichen, den Fachbereichsräten und Ausbildungskommissionen überlassen bleiben. Und weiter: Die Fächer-Rangliste sei "oberflächlich mit plakativer Wirkung". Die vorliegenden Ergebnisse und ihre möglichen Effekte stehen für Syring dabei in keinem Verhältnis zum finanziellen Aufwand des Studienbarometers. Es frage nur "subjektive Befindlichkeiten" ab.

PPL räumt ein, daß es sich bei den Ergebnissen "allein um Zufriedenheitsaussagen von Studenten handelt." Man halte allerdings "die Zufriedenheit von 'Abnehmern' einer Dienstleistung für einen wichtigen Indikator zur Beurteilung der Qualität dieser Dienstleistung".

Michaela Volkmann


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