
Hier spricht euer Kapitän. Ich habe zwei Nachrichten für euch - eine gute und eine nicht so gute. Die erste Nachricht ist: Wir haben einen ganz starken Rückenwind und wir machen eine riesige Geschwindigkeit - so ungefähr 1200 Stundenkilometer. Ja - und die nicht so gute Nachricht ist: Wir wissen nicht, wo wir sind." 1 Mit diesen mehr oder weniger humorvollen Worten kann die gegenwärtige Zeiterscheinung von zunehmender Beschleunigung und Unübersichtlichkeit nicht treffender skizziert werden: das Multimedia-Zeitalter. Die Entwicklungen, die Leistungsmerkmale, die aktuellen Einsatzmöglichkeiten und die zukünftige Nutzbarmachung der neuen Technologien sind in der Hausarbeit ausgiebig beschrieben worden: Nach diesen Erkenntnissen steht die Entwicklung erst an der Schwelle der multimedialen Herausforderung.
Das Internet ist das globale Netzwerk, dessen Nachfolger - der Information Superhighway - erst in Teilen Wirklichkeit geworden ist. Der Beginn zu einer grenzenlosen Informations- und Kommunikationsinfrastruktur ist mit diesem weltweiten Netz geschaffen worden. Der entwicklungsgeschichtliche Weg und die auf die Zukunft ausgerichteten politischen und wirtschaftlichen Aktivitäten wurden im Gliederungspunkt Das Internet" aufgezeigt. Seit der Erfindung des World Wide Web erlebt das Internet einen kaum beschreibbaren Zulauf, der sich in exponentiellen Wachstumsraten äußert und der das Internet damit zum am schnellsten wachsenden Medium unserer Zeit macht. Die Zahl der Websites verdoppelt sich alle fünfzig Tage. Alle vier Sekunden geht eine neue Homepage ins Netz." 2 Dieser große Erfolg ist einerseits auf die erstmals einfache Bedienung eines Internet-Dienstes zurückzuführen und andereseits auf das Hypermedia-Konzept, mit dem Funktionalität und Nutzung im Internet eine neue Dimension erreicht haben.
Die mit Abstand populärste Software zur Teilnahme am WWW ist der Netscape Navigator. Durch Browser wie diesen, steht erstmals eine Software-Lösung zur Verfügung, die mit einer standardisierten grafischen Benutzeroberfläche über verschiedene Computer-Systeme hinweg eine konsistente und einfache Handhabe zur Bewältigung von Kommuikationsprozessen bietet. Mit separaten Hilfsprogrammen und mit Software-Erweiterungsmodulen kann der Funktionsumfang erweitert werden.
Auch außerhalb des WWW bietet die heutige Internet-Infrastruktur seit etwa Ende 1994 Möglichkeiten für Audio- und Video-Anwendungen sowie zur Zusammenarbeit an verteilten Dokumenten. Im Punkt AV-Programme im Internet von heute" wurden einige dieser Programme beschrieben, die neuerdings unter Internet Enthusiasten - den Cyberpunks", wie William Gibson 3 sie bezeichnen würde - Aufsehen erregen: Geschäftsbesprechungen können unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltsort der Teilnehmer durch Videokonferenzen und document sharing abgehalten werden sowie auch Lehrveranstaltungen, ohne im Hörsaal zu sein, mitverfolgt werden. Die Programme leisten verschiedene Verbindungsarten: one-to-one, one-to-many und many-to-many. An vielen der vorgestellten Programme - zum Teil noch Pionier-Lösungen -wird weiter geforscht. Aber diese Kinderkrankheiten werden die zunehmende Virtualisierung unserer Welt nicht aufhalten können und Die Frage, wo sich jemand befindet, wird zweitrangig, da er ja praktisch von jedem Ort her an praktisch jedem anderen Ort etwas bewirken oder zumindest kommunikativ anwesend sein kann." 4 Die nachhaltigen Veränderungen in der Sichtweise von Wirklichkeit des einzelnen und der Gesellschaft als Ganzem sind schwer abschätzbar.
Abschätzbarer sind dagegen die zu erwartenden enormen Investitionsmöglichkeiten verschiedener Industriezweige auf dem Gebiet der neuen digitalen Kommunikationstechnologien. Das Aufbrechen der Benutzerstrukturen im Zuge der Kommerzialisierung des Internet hat sichergestellt, daß die kommunikative Präsenz im Internet nicht nur privilegierten Gruppen vorbehalten bleibt. Globale, audio-visuelle Kommunikation zum Ortstarif ist eine sehr interessante Komponente, aus der die Anwender sicherlich ihren Nutzen ziehen werden. Die Bemühungen der amerikanischen Telefongesellschaften, auf juristischem Wege, ein Verbot von AV-Programmen bzw. der Übertragung von AV-Daten im Internet unter Nutzung ihrer Telefonleitungen zu erwirken, sind gescheitert.
Die Verquickung von Staat, Hochschule und Wirtschaft in Amerika ist am Beispiel der CU-SeeMe-Software abzuleiten. Die Software ist das Ergebnis aus einem mit staatlichen Mitteln geförderten Forschungsprojekt an der Cornell University. Mit der Entwicklung einer kommerziellen und funktional erweiterten Version durch die Firma WhitePine Software, wurde der Brückenschlag zwischen Hochschule und Wirtschaft realisiert - freilich, ohne die Entwicklung der kostenlosen Version der Cornell University einzustellen.
Die vorgestellten AV-Programme sind nicht nur wegen eines Preisvorteils für globale Kommunikation interessant, sondern weil sie eine Bestandsaufnahme darstellen, wie weit die Verschmelzung ehemals unterschiedlicher Kommunikationstechnologien infolge der Digitalisierung bereits fortgeschritten ist (digital convergence). Obwohl noch längst nicht jeder Zugang zum Internet hat - vor allem dauerhaft - und Bandbreiten-Probleme nur Video mit niedriger Bildwiederholrate und Bildauflösung erlauben, überwinden die vorgestellten Internet-Lösungen konzeptionell ein Manko, welches den traditionellen Medien (Radio, TV) noch anhaftet. Aber ganz abgesehen von seiner zweifelhaften Funktion (wer vieles bringt, wird keinem etwas bringen), hat der Rundfunk eine Seite, wo er zwei haben müßte. Er ist ein reiner Distributionsapparat, er teilt lediglich zu." 5 Diese Bemerkung machte Bertolt Brecht bereits vor über 60 Jahren in seiner Rede über die Funktion des Rundfunks. Seine Forderung, Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln." 6 , wird im Internet schon längst umgesetzt.
Unter dem QuickTime Media Layer" werden zahlreiche Software-Komponenten und technologische Konzepte zusammengefaßt, die zeitbasierte Daten als binäre Information zur Verarbeitung am Computer erfassen. Für distributed multimedia ergeben sich unterschiedliche Bedingungen gegenüber lokalen Multimedia-Anwendungen (CD-ROM, Information-Kiosk). Mit QuickTime Conferencing" als weitereren Baustein des QuickTime Media Layer wird diesen Belangen Rechnung getragen. QuickTime VR" erörtert eine neue Technik, mit der realitätsnahe Erfahrungen in virtueller Umgebung erlebt werden können. Diese Technik kann auch im World Wide Web angewendet werden.
Noch stoßen Multimedia-Anwendungen im Internet schnell auf bestehende technische Schranken. Im Vordergrund steht insbesondere die Verschiebung der technischen Schranken, die unter den Sammelbegriff Netzwerktechnologien" fallen. Dieser Begriff ist sehr komplex. Grundsätzlich ist es ratsam, Netzwerktechnologien, die sich auf die physikalischen Eigenschaften (Kupfer, Glasfaser) eines Netzes beziehen, von Techniken zur Übermittlung der Daten abzugrenzen. Im Kontext zur Arbeit wird vom Internet samt seiner physikalischen Eigenschaften ausgehend im Punkt Das Multicast Backbone (MBONE) Netz" auf Seite 106 ein virtuelles Teilnetz erörtert, welches unter Nutzung derselben Infrastruktur wie das Internet, mit der Multicasting-Übertragungstechnik bessere Voraussetzungen für Multimedia-Anwendungen in IP-Netzwerken schafft. Das MBONE besitzt einen experimentellen Charakter, da es Unzulänglichkeiten der im Internet eingesetzten Netzwerk-Hardware (Router) und verwendeten Protokolle (unicast) durch intelligente Software zu umgehen versucht. Mit dem Wandel des Internet zum Information Superhighway wird Multicasting als Übertragungstechnik im gesamten Netz verfügbar sein - das MBONE als virtuelles Netz mithin nicht mehr benötigt.
Resümierend kann aus den aufgezeigten technischen Zusammenhängen, die in Verbindung von Internet und den darauf aufbauenden Multimedia-Anwendungen stehen, gesagt werden, daß die Wirklichkeit längst einen Teil der Visionen eingeholt hat. Zweifelsohne wird das Internet sowohl technisch als auch inhaltlich von Amerika dominiert. Von daher ist es erklärlich, daß die Impulse auf eine digitale Zukunft hin hauptsächlich von den USA ausgehen.
We are on the verge of a revolution that is just as profound as the change in the economy that came with the industrial revolution. Soon electronic networks will allow people to transcend the barriers of time and distance and take advantage of global markets and business opportunities not even imaginable today, opening up a new world of economic possibility and progress." 7
1. BROCK, Markus: Allein unter Computern? Leben im Netz. - Gespräch mit Joseph WEIZENBAUM. In: TV-Sendung auf 3SAT am 28.03.1997. Südwestfunk: Baden- Baden 1996.
2. NEGROPONTE, Nicholas: Total Digital. Die Welt zwischen 0 und 1 oder Die Zukunft der Kommunikation. München 1997, S. 12
4. WERSIG, Gernot: Fokus Mensch: Bezugspunkte postmoderner Wissenschaft: Wissen, Kommunikation, Kultur. Frankfurt am Main; Berlin etc. , 1993, S. 20
5. HECHT, Werner et al (Hrsg.): Bertolt Brecht Werke. Schriften I: Schriften 1914-1933. Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. Rede über die Funktion des Rundfunks. Band 21. 1. Auflage. Frankfurt a.M. 1992, S. 553