6. Das Multicast Backbone (MBONE) Netz

Die Entwicklung von spezieller Software für Multimedia-Anwendungen im Internet sowie die funktionale Erweiterung des Betriebssystems in Form von Software-Komponenten, die eine Integration zeitbasierter Daten, wie Audio, Video und 3D in digitaler Form am Computer ermöglichen, ist bereits relativ weit fortgeschritten. Auch moderne Mikroprozessoren als Herzstück des Computers haben inzwischen genügend Leistungspotential, besonders rechenintensive Multimedia-Anwendungen ausführen zu können, und sie steuern durch den rasanten Fortschritt auf diesem Gebiet auf ein immer niedrigeres Preisniveau zu, das einen wachstumstarken Multimedia-Massenmarkt begünstigt. Technologische Konzepte zur Datenreduktion durch Kompression, die in Form von Software oder dedizierter Hardware (z.B. durch Digital Signal Prozessoren, DSP, Media-Prozessoren) erfolgen kann und für Multimedia-Anwendungen unabdingbar ist, wurden in jüngster Zeit ebenfalls stark verbessert.

Offensichtlich gehen die Einschränkungen, die hinsichtlich Multimedia in globalen Netzen noch gemacht werden müssen, daher nicht so sehr auf das Konto der Soft- oder Hardware-Entwicklung, sondern das eigentliche Nadelöhr besteht im Bereich der Netzwerktechnologien. Ihre konzeptionelle Verbesserung und gesteigerte Leistungsfähigkeit wird damit zum bestimmenden Faktor, inwieweit sich Multimedia-Anwendungen im Internet als praktikabel erweisen. Es geht also im Grunde um zwei Dinge: erstens, um eine kapazitive Verbesserung der Bandbreite globaler Netze (Datendurchsatz/Übertragungsrate) und zweitens, um eine intelligentere und effizientere Übermittlung der Daten. Kapazitive Verbesserungen ergeben sich durch neue Technologien, wie z.B. B-ISDN und ATM oder einfach auch nur durch die Verwendung von Glasfaser statt Kupfer. Anfang 1992 explodierte eine neue Telekommunikationstechnologie förmlich in den Medien. Aus dem Nichts heraus avancierte B-ISDN (Broadband Integrated Services Digital Network) und ATM (Asynchronous Transfer Mode) zum Dauerbrenner in allen einschlägigen Fachzeitschriften." 1 Eine andere Technologie, die auf eine effizientere Übermittlung von Daten im Internet abzielt, wurde ebenfalls Anfang 1992 entwickelt. Sie läßt unter den bestehenden Gegebenheiten hinsichtlich der verfügbaren Bandbreite eine bessere Ausnutzung letzterer zu. Die als Multicasting bezeichnete Übertragungstechnik wird im virtuellen Teilnetz MBONE angewendet. Mit Hilfe der im Gliederungspunkt Historische Entwicklung und grundlegende Funktionsweise" erworbenen Grundkenntnisse zur Informationsübertragung im Internet soll aufgezeigt werden, warum sich das MBONE und Multicasting als neue Wege der Informationsübermittlung im Internet speziell für den Einsatz von Multimedia-Anwendungen eignen. 2


6.1 MBONE und Multicasting


Heute ist das MBONE ein kritischer Teil der Technologie, die benötigt wird, um Datentransfers, Audio- und Videokonferenzen - mithin den Austausch beliebiger digitaler Informationen zwischen vielen Teilnehmern im Internet billig und bequem durchführen zu können.

Internetforscher, John December, sagt: `MBONE is truly the start of mass-communication that may supplant television. Used well, it could become an important component of mass communication.'" 3 December glaubt, daß eine Reihe von Szenarien möglich sind: Die Kultur des MBONE könnte sich wie die e-zine (electronic-magazine) Kultur entwickeln, indem vielleicht Hunderte von Programm-Kanälen" durch Anbieter entstehen. Einige dieser Kanäle" würden sicherlich professionell produziert und betrieben, andere wären schlichte, hausgemachte Kanäle von Privatleuten. 4 Der Begriff Kanal ist jetzt schon überholt und wird in 10 Jahren gar nicht mehr beutzt werden. Man fragt ja auch nicht, wie viele Kanäle hat ihr Telefon?! Eine unbegrenzte Zahl. Es ist ein vernetztes System, so daß es so viele Kanäle gibt wie Anschlüsse. Also wird es eine unbegrenzte Anzahl von Kanälen geben, mit denen jeder jede Information, jede Unterhaltung auf der ganzen Welt über [...] den Computer [...] jederzeit abrufen kann. Also eine unbegrenzte Anzahl von Kanälen." 5 Diese technische Entwicklung ist allerdings keine Garantie dafür, daß auch jeder vom ehemals passiven Konsumenten zum aktiven Programmdirektor wird.

Eine andere Möglichkeit ist, daß Organisationen das MBONE als einen billigen Weg für Konferenzen benutzen, ohne daß hierdurch mit Telekommunikationstechnik ausgestattete Konferenzräume benötigt würden. Kleinere, informelle Organisationen könnten das MBONE genauso gut wie große Unternehmen einsetzen, da das MBONE persönlich und nicht kommerziell kontrolliert würde. Mit Sicherheit könnten diese beiden MBONE-Szenarien neben weiteren koexistieren.


6.1.1 Multicasting


Multicasting bezeichnet die Möglichkeit, ein Datenpaket an viele Sites gleichzeitig versenden zu können. Die Größe eines Pakets ist abhängig vom verwendeten Übertragungsprotokoll und kann sich zwischen ein paar bis zu einigen tausend Bytes bewegen. Der gewöhnliche Weg, Informationen im Internet zu versenden, geschieht unter Verwendung von Unicast-Protokollen- in diesem Fall wird ein Paket zu einem bestimmten Zeitpunkt nur an einen Zielrechner verschickt.

Man kann sich Multicasting als die Internet-Version von Broadcasting vorstellen (one-to-many). Ein Internet-Rechner, der Informationen multicast sendet, ist in vielerlei Hinsicht mit einer Fernsehstation vergleichbar, die ihr Signal versendet (broadcast). Das Signal stammt von einer Quelle, aber es kann jeden erreichen, der sich innerhalb der Reichweite des Senders befindet. Es beansprucht einen Teil begrenzt verfügbarer Bandbreite und jeder, der die richtige Ausstattung besitzt, kann sich einschalten. Die Information geht an denen vorbei, die das Signal nicht empfangen wollen oder nicht richtig ausgestattet sind.

In einem Multicast-Netzwerk kann man ein einzelnes Paket an Information von einem Computer an zahlreiche andere Computer gleichzeitig versenden, statt dieses Paket an alle Empfänger einzeln und nacheinander versenden zu müssen. Da 50, 100, 1000 oder noch mehr Computer das gleiche Paket empfangen können, wird Bandbreite gespart. Hinzu kommt, daß, wenn ein Paket multicast versendet wird, man nicht die Adresse von allen kennen muß, die das Multicast-Paket empfangen wollen. Stattdessen startet man einen Übertragung an alle. Es läßt sich optional herausfinden, wer alles das Multicast empfängt - eine Eigenschaft, die sich TV-Manager sicherlich auch sehr wünschen würden.


6.1.2 Unterscheidung zwischen MBONE und Multicasting


Unglücklicherweise ist die Mehrzahl der Router 6 nicht multicastingfähig. Die meisten Router sehen nur das Bewegen von traditionellen Internet-Protocol (IP) Unicast-Paketen vor - Information, die eine einzelne, spezifische Destination besitzt. Obwohl die Anzahl der Router wächst, die mit Multicast-Paketen umgehen können, sind diese Produkte im Internet noch immer in der Minderheit.

Die Hersteller von Routern hielten sich mit der Schaffung von Geräten zurück, die Multicasting beherrschen, bis ein nachweislicher Bedarf für ein derartiges Equipment entstanden war. Wie aber wollte man die Multicasting-Technik ausprobieren, wenn hierfür kein Weg vorgesehen schien? Ohne die richtigen Router kein Multicasting und ohne Multicasting nicht die richtigen Router - offenbar geriet man so in eine Sackgasse.

Im Jahr 1992 kamen einige Mitglieder der Internet Engineering Task Force 7 (IETF) auf den Gedanken, daß das, was kein Hersteller in Form von Hardware machen würde, durch Eigeninitiative auch in Form von Software entwickelt werden könnte. Daher begannen sie mit der Schaffung eines virtuellen Netzwerkes" - einem Netzwerk, das physikalisch das Internet nutzt - und schrieben Software, die die Übertragung von Multicast-Paketen über das Netz ermöglichte. Ausgestattet mit dieser speziellen Software, konnten die IETF-Mitglieder nicht nur an einen Internet-Knoten, sondern gleichzeitig an viele Knoten, versenden. Damit war das MBONE geboren. Das MBONE wird als virtuelles Netzwerk bezeichnet, weil es die selben physischen Medien - Kabel, Router und anderes Equipment - wie das Internet benutzt.

Das MBONE erlaubt es Multicast-Paketen über Router zu wandern", die eigentlich nur für die Handhabe von Unicast-Verkehr konfiguriert sind. Software, die das MBONE benutzt, versteckt die Multicast-Pakete in traditionellen Unicast-Paketen, so daß Unicast-Router mit dieser Information umgehen können.

Das Schema Multicast-Pakete zu versenden, indem man sie in reguläre Unicast-Pakete hineinpackt, bezeichnet man im Englischen tunneling. In Zukunft werden die meisten kommerziellen Router die Multicasting-Übertragungstechnik unterstützen und man wird sich kein Kopfzerbrechen mehr darüber machen müssen, Informationen mittels tunneling über Unicast-Router zu versenden.

Erreichen in Unicast-Paketen versteckte Multicast-Pakete einen Router, der Multicast-Pakete verarbeiten kann bzw. eine Workstation, auf der die richtige Software läuft, so werden die Pakete erkannt und als die Multicast-Pakete bearbeitet, die sie in Wirklichkeit sind. Maschinen, die so ausgestattet sind, daß sie Multicast-IP unterstützen, werden als mrouter (Multicast-Router) bezeichnet. Mrouters sind entweder kommerzielle Router, die Multicasting beherrschen (seltener) oder dedizierte Workstations, auf denen spezielle Software in Verbindung mit gewöhnlichen Routern läuft (häufiger).

Was also ist der Unterschied zwischen Multicasting und dem MBONE? Multicasting ist eine Netzwerkübertragungstechnik - eine Methode, Pakete an mehr als einen Internet-Rechner zu einem bestimmten Zeitpunkt zu versenden. Das MBONE ist ein loser Verbund von Internet-Rechnern, bei denen gegenwärtig IP-Multicasting implementiert ist.

Das MBONE von heute ist ein phantasievoller Notbehelf - ein temporäres Werkzeug, welches vermutlich überflüssig wird, wenn Multicasting ein Standardmerkmal von Internet-Routern wird. Bis dahin wird sich eine Basis von MBONE-Nutzern etabliert haben, worüber sich die Router-Hersteller sicherlich freuen werden. Die Behelfswerkzeuge und Programme, die im heutigen MBONE funktionieren, werden vermutlich auch im Multicast Backbone der Zukunft einsetzbar sein. Mit steigender Anzahl der Multicast-Router läßt sich dieses Multicast Backbone dann nicht mehr vom Internet als Teilnetz differenzieren - das MBONE und das Internet sind zukünftig mithin identisch und man wird nicht mehr explizit vom MBONE sprechen.


6.2 Anwendungen im MBONE


Derzeit wird Multicasting hauptsächlich für Audio- und Videokonferenzen und zum gemeinsamen Arbeiten an verteilten Dokumenten benutzt. Konferenz-Multicasts beinhalten in der Regel drei Medien-Typen: Audio, Video und ein Whiteboard. Letzteres ist ein virtuelles Notizbord, das allen Konferenzteilnehmern zur Verfügung steht (vgl. Whiteboard Funktion" auf Seite 64 ).

Die vielleicht gefragteste Funktionalität des MBONE ist die Möglichkeit zum Videokonferieren. Das MBONE ist ursprünglich aus den Versuchen der Internet Engineering Task Force entstanden, Zusammenkünfte dieser Gruppe als Internet-Videokonferenzen zu multicasten". MBONE Video ist nicht annähernd vergleichbar mit der Qualität von TV-Bildern, doch mit einigen Frames pro Sekunde (Einzelbildern) ist die Videoqualität für viele Einsatzgebiete völlig ausreichend.

Da die Interessen der IETF-Mitglieder stark technisch ausgerichtet sind, handelt es sich bei vielen MBONE-Sendungen eo ipso um Konferenzen mit technischem Inhalt. Beispielsweise gab es im MBONE eine Übertragung der 2. Internationalen Konferenz über intelligente Systeme für Molekularbiologie an der Stanford Universität. Auch konnte man im MBONE live beobachten, wie Astronauten des Space Shuttles Endeavor das Weltraumteleskop Hubble" reparierten.

Die Fähigkeit des MBONE Audio und Video zu übertragen, macht es zu einem geeigneten Medium für die Übertragung von Seminaren, Lesungen und anderen Formen des entfernten Lernens, was im Amerikanischen als distance education bezeichnet wird. Stellen Sie sich einmal vor, Sie säßen" in einer Vorlesung, die einige Tausend Kilometer von Ihnen entfernt stattfindet und in der Sie Fragen stellen oder sich an der Podiumsdiskussion beteiligen könnten. Dies ist inzwischen keine Vision mehr, sondern wird schon erfolgreich praktiziert. Im Durchschnitt schalten sich zwischen 10 bis 12 Universitäten und Labore aus den USA und Westeuropa bei einer distance education Vorlesung im MBONE zu. 8

Tatsächlich ist vieles von dem, was sich heute auf dem MBONE abspielt, von eher technischer Natur, d.h. die Informationen, die dort geboten werden, sind für viele Menschen nicht von Interesse. Allerdings ist die Nutzung des MBONE nicht nur den Technophilen vorbehalten, auch wenn diese es gegenwärtig vermutlich noch dominieren. Multicasts, bei denen ein Konzert übertragen wird, die für eine do-it-your-self-Radiostation oder Talkshow genutzt werden, sind ebenso denkbar. Die Rolling Stones haben z.B. bereits ein Konzert auf dem MBONE multicasted" (Audio + Video). 9

Das, was MBONE so unglaublich faszinierend macht, fassen Macedonia und Brutzman mit dem Satz zusammen: It is not every day that someone says to you `Here is a multimedia television station that you can use to braodcast from your desktop to the world.' These are powerful concepts and powerful tools that tremendously extend our ability to communicate and collaborate. These tools are already changing the way people work and interact on the net." 10


6.3 Größe des MBONE


Zahlen über die Größe des Internet oder das MBONE als einer Teilmenge hiervon, gestalten sich wegen des exponentiellen Wachstums als schnell veraltet und sollten daher immer nur zur Orientierung dienen. Während um das Jahr 1995 ca. 1700 Netzwerke 11 in über 20 Ländern zum MBONE gehörten, ist diese Zahl bis 1997 auf über 3200 öffentliche Netze 12 angestiegen. Diese Größe ist in etwa mit der Größe vergleichbar, die das gesamte Internet noch 1991 eingenommen hat. Die genaue Zahl der Nutzer, die innerhalb der 3200 Netze auf das MBONE zugreifen, kann aus technischen Gründen nicht ermittelt werden und ist daher unbekannt. Kumar berichtet von über 10000 Organisationen, die am virtuellen Teilnetz MBONE bereits angeschlossen sind. 13

ABBILDUNG 27: Wachstum des MBONE bis Dezember 1995, (Anzahl der Subnetze)

Nimmt man einmal die Zahl aus dem Jahr 1995 mit 1700 Netzen und vergleicht sie mit der Zahl von 48500 Subnetzen, aus denen das gesamte Internet im Februar 1995 bestand, so dehnte sich das MBONE damals nur über einen Anteil von 3,5% des Internet aus. Dieser prozentuale Anteil dürfte in nächster Zeit extrem stark ansteigen.


6.4 Computer-Systeme zur Teilnahme am MBONE


Obwohl jeder, der die richtige Ausstattung besitzt, am MBONE teilnehmen kann, sind die Ansprüche an die Hardware und die Netzanbindung zur Teilnahme am MBONE viel größer als die Ausrüstung, die den meisten Internet-Teilnehmern zu Hause zur Verfügung steht. Ein nicht besonders leistungsstarker PC im Zusammenspiel mit einem schnellen Modem besitzt nicht über genügend Rechenleistung bzw. Bandbreite, um MBONE-Übertragungen versenden oder übertragen zu können.

Die Ansprüche für multicast-IP sind relativ hoch. Insbesondere die Multicasting-Software, die quasi unauffällig im Hintergrund für das Bewegen, Codieren, Dekomprimieren und Manipulieren von Multicast-Paketen zuständig ist, steht fast aussschließlich für high-end UNIX-Workstations zur Verfügung. Auch für die preiswerten und leistungsstarken PowerPCs der Firma Apple Computer wurden - allerdings ohne technische Unterstützung seitens des Herstellers - ebenfalls MBONE-Software-Komponenten 14 entwickelt, so daß die im Multimedia-Bereich ohnehin häufig eingesetzten Rechner dieses Herstellers eine sehr preiswerte Alternative bieten, an das MBONE Anschluß zu finden. Auch für LINUX, ein kostenloses und sehr beliebtes UNIX-Derivat, das auf viele Prozessor-Architekturen portiert wurde, sind die MBONE-Programme verfügbar, so daß sich auch die leistungsstärksten Intel-Pentium-Systeme (PC") im MBONE einsetzen lassen.

Die Möglichkeit, Multicast-IP-Pakete zu bearbeiten ist eine Sache, aber Multicasting-Software ist von keinem besonderen Nutzen, wenn keine Multicast-Pakete vorhanden sind. Weil das MBONE und das Internet derzeit jedenfalls noch nicht ein und dasselbe sind, muß man, bevor man Multicast-Pakete empfangen kann, mit seinem Internet-Provider Kontakt aufnehmen und ihn bitten, Anschluß an den nächsten MBONE-Knoten zu finden und einen Tunnel" zu konfigurieren. Dieses Projekt wird selbst einen erfahrenen Netzwerkadministrator ein bis zwei Wochen lang beschäftigen.


6.5 Bandbreiten-Anforderungen


Selbst wenn ein Benutzer heute schon über die richtige Hardware verfügt, um einen multicast-IP zu senden, gibt es eine andere große Hürde, die verhindert, daß das gegenwärtige Internet gänzlich im MBONE aufgeht: Die meisten Anwender verfügen nicht über genügend Bandbreite. Ein Multicast-Video-Strom mit 1 - 4 Frames/s verschlingt etwa 128 Kbps an Bandbreite und liefert ein langsames, grobkörniges Video. Allerdings benötigt dieser Video-Strom immer dieselbe Bandbreite - gleichgültig, ob er von einer oder hundert Workstations empfangen wird.

Nebenbei bemerkt, die Bandbreite von 128 Kbps entspricht der neunfachen Geschwindigkeit eines 14,4 Kbps Modems. Ein gewöhnlicher ISDN-Anschluß bietet bei einer Bündelung der beiden ISDN-Kanäle genau diese 128 Kbps. Wie oben beschrieben, bietet also auch diese Form der Netzanbindung, die mittlerweile in vielen Ländern für Privatpersonen finanziell tragbar geworden ist, gerade einmal genug Bandbreite, um Multicast-Video zu empfangen.

Um Video selber senden zu können, würde demnach noch einmal eine Bandreite von 128 Kbps benötigt, so daß selbst ein als modern geltender ISDN-Anschluß für Zwei-Wege-Videokonferenzen kaum ausreicht. Nach Aussage vieler Experten, deren Meinungen im Internet nachzulesen sind, stimmen diese mehrheitlich darin überein, daß für eine effektive Anwendung der Multicasting-Technologie - d.h., um effektiv arbeiten zu können - mindestens die Bandbreite einer T-1 Leitung 15 oder eine noch schnellere Anbindung an das Internet benötigt wird. Demgegenüber gibt es allerdings auch Aussagen anderer Benutzer, die behaupten, selbst mit einer Bandbreite von nur 56 Kbps am MBONE teilgenommen zu haben. Da bereits ein 128 Kbps Video-Strom etwa 10% einer T-1 Leitung konsumiert", würden mehrere gleichzeitig stattfindende Sessions" heute noch schnell zu einer Überlastung der Netzwerk-Verbindungen führen.

Leider sind Hochgeschwindigkeitsanbindungen an das Internet gegenwärtig noch eine sehr teure Angelegenheit. Dies gilt für Europa in viel stärkerem Maße als für die USA. 16 Der Unterschied zu gewöhnlichen Formen des Netz-Zugangs über Modem oder ISDN gegenüber schnelleren Zugangsformen ist bislang so gewaltig, daß Privatpersonen zumindest noch in der Gegenwart keine Option auf einen ausreichend schnellen Anschluß zur Teilnahme am MBONE haben.

Wie an vielen Stellen dieser Arbeit bereits deutlich gemacht wurde, ist der technologische Fortschritt im Internet von einer so hohen Dynamik gekennzeichnet, daß auch die zuletzt erwähnte Situation schon sehr bald der Vergangenheit zuzurechnen ist. In diesem Zusammenhang sei auf Macedonia und Brutzman verwiesen, die in einem Artikel des IEEE Computermagazins vom April 1994 äußern: Only a few years ago, transmitting video across the Internet was considered impossible. Development of effective multicast protocols disproved that widespread opinion. In this respect, MBONE ist like the proverbial talking dog: It's not so much what the dog has to say that is amazing, it's more that the dog can talk at all!" 17

Heute, also einige Jahre nach Erscheinen dieses Artikels, wurde in den Gliederungspunkten Das World Wide Web (WWW)" auf Seite 29 und AV-Programme im Internet von heute" auf Seite 44 beschrieben, daß Audio- und Videoanwendungen existieren, die weder das MBONE noch einen - für Privatleute kaum finanzierbaren - Hochgeschwindigkeits-Zugang zum Netz zur Bedingung machen. Allerdings bieten diese Lösungen nicht die konzeptionellen Vorteile des MBONE, wie z.B. den sparsamen Umgang mit der zur Verfügung stehenden Bandbreite im gesamten Internet.

Geht man einmal davon aus, daß der heute noch als modern geltende Zwei-Kanal-ISDN-Anschluß schon bis zur Jahrtausendwende als genauso veraltet angesehen sein wird wie ein 14,4 Kbps Modem heute (welches noch zu Beginn der 90er Jahre als State of the Art" galt und ca. DM 800,- kostete), dann wird Multicasting-Übertragungen von zu Hause aus kein Bandbreiten- oder Kostenproblem mehr gegenüberstehen.

Audio-Multicasts stellen geringere Anforderungen hinsichtlich der benötigten Bandbreite und finden daher im MBONE z.Zt. noch häufiger als Video-Multicasts statt. Multicast-Audio benötigt etwa eine Bandbreite zwischen 56 bis 64 Kbps. Durch die Weiterentwicklung und den Einsatz neuer Kompressionsverfahren wurden zwischenzeitlich MBONE-Audio-Sessions demonstriert, die sich sogar mit einer Bandbreite von nur 9600 bps realisieren ließen. Die Entwicklung hocheffizienter Kompressionstechniken, die zu einer weiteren Reduktion der Audio- und Video-DatenStröme führen und damit zu einer weiteren Verringerung der benötigten Bandbreite, wird vielleicht sogar eine Teilnahme am MBONE über relativ langsame Netzzugänge ermöglichen.

Die Weiterentwicklung von Prozessoren, Kompressionsalgorithmen und Netzwerktechnologien müssen Hand in Hand gehen, damit das Multicast-Übertragungsmodell, welches dem MBONE zugrunde liegt, als Massenmedium erfolgreich wird. Unbestritten ist, daß in allen drei Bereichen jetzt und in Zukunft weiterhin große Fortschritte erzielt werden. Jedoch ist eine Prognose über den Zeitraum, innerhalb dem sich das Multicast-Übertragungsmodell zu einem erfolgreichen Massenmedium entwickeln könnte, schwierig.

Wachsende Teilnehmerzahlen mit zunehmend schnellerer Anbindung an das Multicast Backbone bzw. Internet stellen wegen der enorm großen Datenmengen, die dann übertragen werden müssen, vor das Problem einer Übersättigung der Bandbreite, die im Internet insgesamt zur Verfügung steht. Die IETF sieht deshalb eine ihrer Aufgaben darin, einen rien ne vas plus" Zustand im Internet als Folge der Datenflut zu verhindern.

Das kapazitive Limit, mit dem Daten im MBone übertragen werden können, liegt bei 500 Mbps (million bits per second). Mithin ist zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Auslastung der Bandbreite durch 4 Videoübertragungen (a 128 Kbps) oder 8 Audiocasts (a 64 Kbps) erreicht.


6.6 Reichweite von MBONE-Paketen


Da Multicast-Pakete keine eindeutige Adresse haben, würden sie scheinbar endlos lange im Netz herumschwimmen". Nach einer Weile würde das Netz von Multicast-Paketen regelrecht überflutet werden. Das dabei entstehende Chaos wäre vergleichbar mit dem, das entstünde, wenn alle Babies so laut schreien könnten, daß man sie auf der ganzen Welt hörte. Aus diesem Grund gibt es einen Mechanismus, wie man die Lebensdauer - die Reichweite - der gesendeten Multicast-Pakete limitieren kann. Jedes Multicast-Paket erhält einen sogenannten time to live Wert (TTL-Wert). Dieser Wert verringert sich beim Passieren eines mrouter jeweils, so daß sich Multicast-Pakete schließlich - ähnlich einer Zeitbombe - auflösen. Durch den TTL-Wert wird somit die Reichweite eines Multicast bestimmt. Dies ist vergleichbar mit der Reichweite einer Fernsehstation.


1. KYAS, Othmar: ATM-Netzwerke: Aufbau, Funktion, Performance. Bergheim 1993, S. 48

2. Multicasting kommt in lokalen Netzen schon länger zum Einsatz - nicht aber im Internet.

3. SAVETZ, Kevin; Neil RANDALL, Yves LEPAGE: MBONE: Multicasting Tomorrow's Internet. Online in Internet: URL: http://www.northcoast.com/savetz/mbone/ch3.html, [Stand: 07.04.1997].

4. Vgl SAVETZ, Kevin; Neil RANDALL, Yves LEPAGE: MBONE: Multicasting Tomorrow's Internet. Online in Internet: URL: http://www.northcoast.com/savetz/mbone/ch3.html, [Stand: 07.04.1997].

5. DADELSEN von, Bernhard; Hans Jörg HÄMMERLING: Die Medienrevolution. In: aspekte extra vom 12.04.1994. ZDF: Mainz 1994.

6. Ein Router ist ein Gerät, das ein lokales Netzwerk (Local Area Network, LAN) - wie z.B. das Netzwerk eines Büros - mit einem Wide Area Network (WAN) - wie z.B. das Internet - verbindet. Die Aufgabe des Routers ist das Verschieben von Information zwischen den beiden Netzwerken. Die meisten Router heute sind Unicast-Router: Sie sehen das Bewegen von Information von einem spezifischen Platz zu einem anderen spezifischen Platz vor. Allerdings werden Router, die über Multicastfähigkeiten verfügen, mehr und mehr der Standard.

7. Vgl. IETF: Overview of the IETF. Online in Internet: URL: http://www.ietf.org/overview.html, [Stand: 07.04.1997].

8. Vgl SAVETZ, Kevin; Neil RANDALL, Yves LEPAGE: MBONE: Multicasting Tomorrow's Internet. Online in Internet: URL: http://www.northcoast.com/savetz/mbone/ch3.html, [Stand: 07.04.1997].

9. Vgl. KUMAR, Vinay: Real-time Multimedia Broadcasts With the Internet Multicast Backbone. Microsoft Interactive Developer 02/97. Online in Internet: URL: http://www.microsoft.com/mind/0297/mbone/mbone.htm, [Stand: 31.03.1997].

10. MACEDONIA, Mike; Don BRUTZMAN: MBONE, the Multicast BackbONE". Naval Postgraduate School. Online in Internet: URL: http://www.cs.ucl.ac.uk/mice/mbone_review.html, [25.08.1996].

11. Vgl. DEERING, Steve: IP Multicast and the MBone: Enabling Live, Multiparty, Multimedia Communication on the Internet. Xerox Palo Alto Research Center. USA, Dezember 1995. Online in Internet: URL: hhtp://sandbox.xerox.com/deering, [Stand: 28.08.1996].

12. Vgl. KUMAR, Vinay: Real-time Multimedia Broadcasts With the Internet Multicast Backbone. Microsoft Interactive Developer 02/97. Online in Internet: URL: http://www.microsoft.com/mind/0297/mbone/mbone.htm, [Stand: 31.03.1997].

13. Vgl. KUMAR, Vinay: Real-time Multimedia Broadcasts With the Internet Multicast Backbone. Microsoft Interactive Developer 02/97. Online in Internet: URL: http://www.microsoft.com/mind/0297/mbone/mbone.htm, [Stand: 31.03.1997].

14. Diese basieren auf der QuickTime Conferencing Technologie (vgl. QuickTime Conferencing" auf Seite 76 ).

15. Die Bandbreite einer T-1 Leitung (1,56 Mbit), die in den USA angeboten wird, entspricht etwa der zwölffachen Bandbreite eines Zwei-Kanal-ISDN-Anschlusses.

16. Das schmalbandige ISDN mit zwei B-Kanälen ist allerdings - je nach Ort - in den USA sogar teurer. Erst bei den dicken" Leitungen sind die Preise der amerikanischen Telefon-Gesellschaften billiger als die der Deutschen Telekom.

17. MACEDONIA, Michael R.; Donald P. BRUTZMAN: MBONE Provides Audio and Video Across the Internet. In: IEEE Computer 27. April 1994, S. 30-36