Endloses Scrollen

Statt uns durch eine Anzahl von Seiten voller Suchergebnisse/Foren/Feeds etc. zu klicken, um die gewünschte Information zu gelangen, erfand 2006 der User Interface Designer Aza Raskin das endlose scrollen (englisch Infinite Scrolling). Dies ermöglichte das automatische Laden der nächsten Seite, wenn das Ende einer Webseite erreicht ist oder kurz davor ist es zu erreichen. So bekommen Nutzer eine “reibungslose Browsingerfahrung” und können sich somit vollkommen auf die Inhalte konzentrieren, ohne dass der Weiter-Knopf sie von Ihrem Flow unterbricht.

Seitennummerierung vs. Infinite Scrolling

Quelle

2019 sagte er in einem Interview in der Sunday Times, dass es ihm Leid tut und es bereut, das Infinite Scrolling erfunden zu haben. Doch warum die Entschuldigung, wenn dieses Feature so intuitiv ist?

Bodenlose Suppenschüssel

Das endlose scrollen ist vergleichbar mit einem psychologischen Phänomen, das durch die Studie der “Bodenlosen Suppe” veranschaulicht wurde. Im Jahr 2005 wurde nachgewiesen, wie Teilnehmer dazu verleitet wurden, mehr Suppe zu essen, indem selbst nachfüllende Suppenschalen angeboten wurden. Dabei aßen die Teilnehmer mit der bodenlosen Schale 73% mehr Suppe als die mit der normalen Schale und glaubten nicht, dass sie mehr gegessen haben. Gleichzeitig empfanden nicht, dass sie gesättigter sind als die mit der normalen Schale. Die Vorstellung, dass die Menge der Speisen auf einem Teller oder einer Schüssel die Aufnahme erhöht und dadurch die Verzehrsnorm beeinflusst, stehen mit den Ergebnissen der Studie im Einklang. Dies lässt vermuten, dass die Macht unendlicher Feeds auf die Macht der Normalisierung des unendlichen Scrollens zurückzuführen ist. Tech-Firmen gestalten ihre Apps und Webseiten so, indem mehr und mehr Inhalte – ohne Ende – geliefert werden, unabhängig davon, ob wir Nutzer danach fragen oder nicht. So wie bei der Suppe.

Dahinter steckt eine Absicht der Tech-Firmen, da die Designer von den Geschäftsmodellen ihrer Firmen dazu getrieben wurden solche suchterzeugenden Features zu erstellen. Aza Raskin selbst sagt in einem BBC-Interview (2018):

Es ist, als ob sie Verhaltenskokain nehmen und es einfach über die gesamte Benutzeroberfläche streuen, und das ist das, was einen immer wieder zurückkommen lässt. – Aza Raskin

Obwohl das etwas barsch klingt, gab es eine ähnliche Aussage eines Professors der University of Michigan, indem soziale Netzwerk-Plattformen ihre Systeme so suchterzeugend gestalten, wie nur möglich. Sie wollen, dass wir dauerhaft online sind. Durch Benachrichtigungen versuchen sie dann unsere Aufmerksamkeit zu ihrer App oder Webseite zu verleiten. So hat das endlose scrollen der Nachrichtenfeeds eine beunruhingende Ähnlichkeit eines Spielautomaten.

Doomscrolling

Seit dem Ausbruch des Corona-Virus 2020 bekam das Verhalten des endlosen scrollens schlechter Nachrichten sogar einen Namen: Doomscrolling* (ungefähre deutsche Übersetzung “verdammnisscrollen”).

Die Seite The Endless Dommscroller dient als alternative Nutzerschnittstelle und “wirft einen Blick auf unseren softwaregestützten kollektiven Abstieg in die Verzweiflung.” Sie macht auch darauf aufmerksam, inwieweit wir unsere Zeit im Internet verbringen und wer am meisten von der Interaktion des endlosen scrollens profitiert, nämlich die Tech-Firmen.

* Angeblich ist dieser Begriff schon im 2018 aufgetaucht sein (vgl. „On ‘Doomsurfing’ and ‘Doomscrolling’“. https://www.merriam-webster.com/words-at-play/doomsurfing-doomscrolling-words-were-watching (zugegriffen Juli 30, 2021))

The Endless Doomscroller wurde von einem Professer an der School of Art der University of Illinois entwickelt.

Screenshot der Webseite The Endless Doomscroller



Quellenangaben