Diese Opposition von Kultur und Ökonomie ist in jedem Fall die Grundlage
für eine lange kulturhistorische Auseinandersetzung mit dem Tourismus,
für die ich paradigmatisch Daniel J. Boorstins Kapitel ,,From Traveler
to Tourist: The Lost Art of Travel`` in seinem The Image, Or, What
Happened to the American Dream untersucht hatte. Die Leitdifferenz ,,Pseudo`` vs. ,,authentisch``, die
den Tourismus dem Reisen, das Medienbild den wirklichen Gegenständen,
stereotype Trivialliteratur einer individuellen Autorenliteratur gegenüberstellt,
leitet sich aus dem humanistischen Wertekanon her, wie ihn Boorstin
als von der kommerziellen Massenkultur bedroht darstellt und in seiner
Analyse gleichzeitig wieder neu bekräftigen möchte.
Die kanonischen Reisenden sind dabei der Kontinente entdeckende Seefahrer,
der forschende Wissenschaftler und der Abenteurer. Der epische Charakter
dieses Kanons von Reisenden ist offenbar von Nostalgie nach einer
längst verlorenen Ganzheit der Kultur und Authentizität der Erfahrung
durchtränkt. Ist beim Entdecker und Wissenschaftler die Bedeutung
für die Gesamtkultur deutlich in der institutionellen Verankerung
zu sehen, ist beim Abenteuer das Paradigma eher schon das der (in
diesem Falle ultimativen) individuellen authentischen Erfahrung. Diese
ist letztlich der Verbindungspunkt zur Reiseliteratur der letzten
200 Jahre, die nicht müde wurde, den sensiblen Reisenden vom in Massen
auftretenden Touristen zu unterscheiden. Es gibt von dieser Konstruktion des Touristen als schlechtem Reisenden
auch mehrere theoretische Versionen, die ich in der Magisterarbeit
schon behandelt habe und auf die hier nicht weiter eingegangen wird.
Der Ansatzpunkt von Boorstins Kritik am Tourismus ist, daß die Kommerzialisierung und Vermassung des Reisens eine authentische Erfahrung verhindert. Das Kriterium, ob eine Erfahrung authentisch ist oder pseudo, fällt für Boorstin in den Bereich der persönlichen Verantwortung des Individuums. Dieses hat es in der Hand, sich angemessen zu bilden, um den Unterschied zwischen authentisch und ,,pseudo`` beurteilen zu können.
Die Erfahrung des Authentischen ist einerseits an die Fähigkeit gebunden, Illusion und Täuschung von der Wirklichkeit unterscheiden zu können. Die Erfahrung des Authentischen ist damit als Erfahrung kaum der Betrachtung wert, denn wichtig ist die Unterscheidung von Wahrheit und Illusion - also eine diskursive Prozedur. Es ist für Boorstin also weniger interessant, wie eine touristische Sehenswürdigkeit erfahren wird, als daß sie als authentisch zertifiziert wird (ähnlich der Zertifizierung eines Kunstwerkes als authentisch diesem oder jenem Meister zuordenbar, deren Ergebnis ungleich viel wichtiger ist als der Weg, auf dem der (seinerseits zertifizierte und dafür gut bezahlte) Spezialist dahin gekommen ist).
Andererseits ist das Authentische niemals erfahrbar, denn es ist ein idealer Punkt, der nur noch als von den Zeitumständen kontaminiert vorstellbar ist. Daher die Beschwörung einer unwiederbringlichen Vergangenheit des Reisehelden. So sehr Boorstins Unterscheidungen eine Entscheidung für den Wert der Hochkultur herbeizuführen beabsichtigen, die Logik des Arguments beruht auf einer romantischen Vorstellung des individuellen Sublimen, das als Erfahrung alle Konzeptualisierungen übersteigt.
Auf den Moment der Distinktion bezieht sich MacCannell, wenn er Boorstins
Tourismuskritik als ,,rhetoric of moral superiority`` bezeichnet und sie eher als Teil des Phänomens denn als einen analytischen
Zugriff betrachtet.
The touristic critique of tourism is based on a desire to go beyond the other 'mere' tourists to a more profound appreciation of society and culture, and it is by no means limited to intellectual statements. All tourists desire this deeper involvement with society and culture to some degree; it is a basic component of their motivation to travel.![]()
Auf der anderen Seite geht MacCannell daran, die Struktur der Authentizität semiotisch aufzudröseln - also das Nichtkonzeptualisierbare als Wirken einer Zeichenstruktur darzustellen. Die hypostasierte Erfahrung wird so aus ihrer Idealstellung herausgehoben und als Struktur betrachtet. Das impliziert natürlich die Untersuchung der gesellschaftlichen Funktion des Tourismus.