Text aus:
Herwig Büchele und Lieselotte Wohlgenannt:
Grundeinkommen ohne Arbeit
1985, ISBN 3-203-50898-2
Katholische Sozialakademie Österreich

Inhalt: Grundeinkommen ohne Arbeit

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1.4. Die neuere Diskussion im europäischen Raum

Unter dem Eindruck der Wirtschaftskrise und steigender Arbeitslosenzahlen zu Beginn der 80er Jahre wird auch in Europa immer stärker eine neue Form der Verteilung von Einkommen zur Existenzsicherung diskutiert. 1982 veröffentlichte Keith Roberts9 ein Modell einer Nationaldividende für Großbritannien. Er sieht darin ein alternatives Modell einer Marktökonomie, das einerseits eine Antwort auf die durch Rationalisierung rasch steigende Arbeitslosigkeit bietet und gleichzeitig den Sozialstaat auf eine neue Basis stellt. Nach diesem Modell wird die Nationaldividende, die die Grundbedürfnisse abdeckt, allen Bürgern ausbezahlt, ohne Berücksichtigung sonstiger Einkommen. Diese sind völlig frei, zusätzliche Einkommen aus Arbeit und sonstigen Quellen zu beziehen, nach den Gesetzen des Marktes, wofür Einkommensteuer zu bezahlen wäre. Da unter diesen Umständen Löhne und Gehälter nicht mehr die Grundbedürfnisse abdecken müßten, könnte dank der Marktkräfte ein Gleichgewicht entstehen, bei dem jeder, der arbeiten möchte, Arbeit bekommen könnte, und jede notwendige Arbeit auch getan würde. Sowohl das Problem der Arbeitslosigkeit als auch die Notwendigkeit, um der Arbeitsplätze willen Arbeit mit staatlicher Stützung zu schaffen, wäre somit ausgeschaltet. Das Modell könnte sowohl in einer stagnierenden als auch in einer wachsenden Wirtschaft funktionieren. Finanziert werden sollte dieses Modell nach Roberts durch ein gemischtes System von Einkommensteuer und Umsatzsteuer, wobei er von der Überzeugung ausgeht, daß weder die gesamte Staatsquote erhöht werden müßte, noch die Preise steigen würden. Zwar würden die Einkommen anders verteilt, doch würde die Administration entlastet und so die Staatskosten insgesamt sinken. Der Wirtschaft würde dieses Modell hohe Produktivität bei gleichzeitig hoher Beschäftigung bringen und Anpassungsschwierigkeiten überwinden helfen, was einen hohen Lebensstandard für alle ermöglichen sollte.

Sehr ähnlich ist auch das Modell einer Nationaldividende, das in einem internationalen Seminar 1982 in Maastricht diskutiert wurde. Auch hier ist an eine gleichmäßige Auszahlung für alle Staatsbürger gedacht, unabhängig von Einkommen, von Geschlecht oder Familienstand, lediglich mit einer Abstufung zwischen Erwachsenen und Kindern, eventuell weiteren Abstufungen je nach Alter. Das persönliche Gesamteinkommen würde sich bei diesem Modell ebenfalls aus der Nationaldividende und zusätzlichen Einkommen zusammensetzen. Die Nationaldividende wäre steuerfrei, Arbeits- und sonstige Einkommen mit einer progressiven Einkommensteuer bis zu einer Höchstgrenze belegt. Die Nationaldividende sollte praktisch alle bestehenden sozialstaatlichen Einrichtungen, inklusive Arbeitslosenunterstützung und Pensionen, ersetzen.

Auch die Vertreter dieser Nationaldividende argumentieren damit, daß so die Löhne und Gehälter frei wären, sich den Gesetzen von Angebot und Nachfrage anzupassen, und daß damit jeder Arbeit finden könnte. Da gleichzeitig Beschränkungen wie Mindestlöhne oder starre Arbeitszeiten aufgehoben würden, könnte auch die gegenwärtige starre Trennung zwischen "Beschäftigten" und "Arbeitslosen" verschwinden, auch etwa für ältere Arbeitnehmer, die noch weiter arbeiten wollen. Auch die Befürworter dieser Nationaldividende - die sich im übrigen für eine Einführung in ganz Europa einsetzen wollen - erwarten, daß die Summe der Einkommen steigt, daß die Produktion von Gütern und Dienstleistungen steigt und daß letztlich auch die Arbeit steigt durch die neuen Möglichkeiten im informellen wie im formellen Sektor.

Auch neue Modelle einer negativen Einkommensteuer wurden wieder in Diskussion gebracht, so etwa von Gerhardt/Weber10. Ihr Vorschlag eines abgestuften Grundeinkommens von 800 DM ist mit einer 50prozentigen Besteuerung des erworbenen Einkommens bis zum gänzlichen Wegfall der negativen Steuer gekoppelt (vergleiche Kapitel 2, negative Einkommensteuer). Neben der Problematik der Abgrenzung des Bezieherkreises und den Problemen der Administrierbarkeit stellt sich hier auch die Frage der sehr hohen "Besteuerung" der zusätzlichen Verdienste, wodurch die Versuchung zur Verschleierung von Einkünften steigt.

Ein Grundeinkommen in der einen oder anderen Form wird heute in vielen europäischen Ländern von verschiedenen Kreisen und verschiedenen Interessenlagen aus diskutiert. Die Ziele reichen dabei von bloßen Einsparungen des Sozialstaates bei gleichzeitiger Verwaltungsvereinfachung bis zu einer vollständigen Neugestaltung der Gesellschaft. Den unterschiedlichen Zielen entsprechen auch unterschiedliche Modelle.

Im folgenden sollen die grundtypischen Vorstellungen von Grundeinkommen einer genaueren Prüfung unterzogen werden.

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