Text aus:
Herwig Büchele und Lieselotte Wohlgenannt:
Grundeinkommen ohne Arbeit
1985, ISBN 3-203-50898-2
Katholische Sozialakademie Österreich

Inhalt: Grundeinkommen ohne Arbeit

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1.2. Garantiertes Einkommen als Thema der US-Politik

Die Initiative der amerikanischen Handelskammer war nicht Anlaß, sondern lediglich Ausdruck einer intensiven politischen Auseinandersetzung um die Einführung eines garantierten Mindesteinkommens gerade aus ökonomischer Sicht. Auf politischer Ebene wurde ein Mindesteinkommenplan vor allem von Daniel B. Moynihan, Berater Präsident Kennedys, angestrebt. Er war es auch, der später unter Präsident Nixon den "Family Assistence Plan" (Familienhilfsplan) erarbeitete, dessen Kern wieder ein garantiertes Einkommen bildete. Dieser Plan wurde ebensowenig angenommen wie ein später unter Präsident Johnson vorgelegtes Papier. Auch Präsidentschaftskandidat McGovern versprach in seiner Wahlkampagne 1972 1000 $ jährlich für jedermann. Er verlor die Wahl.

Ein ähnliches Schicksal wurde auch allen anderen Entwürfen zuteil, die in jeder neuen Legislaturperiode zu diesem Zweck ausgearbeitet wurden; zuletzt unter Präsident Carter, der bei seinem Amtsantritt 1977 die Wohlfahrtsreform zu einem seiner Hauptanliegen machte. Die Reform fand in der vorgeschlagenen umfassenden Form nicht statt, die amerikanischen Wähler und Volksvertreter hatten ein zu tief verwurzeltes Mißtrauen gegen Soziallei1stungen, die an keinerlei Arbeitsverpflichtung gebunden sein sollten.

Trotzdem wurde die Frage eines garantierten Einkommens in den Vereinigten Staaten rund 15 Jahre lang diskutiert und erhielt Unterstützung von den verschiedensten Seiten. So unterschrieben rund 1300 Wirtschaftswissenschafter und etwa 150 Institutionen im Jahr 1968 eine Petition an den Kongreß um rasche Verabschiedung eines Gesetzes über Einkommensgarantien und Zuschüsse. Martin Luther King setzte sich im Rahmen seiner Kampagne für die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Armen nicht nur für Arbeit, hygienische Wohnungen und gute Schulen, sondern auch für wirtschaftliche Sicherheit in Form eines garantierten Jahreseinkommens für alle ein. Erich Fromm vertrat die Idee eines Basiseinkommens als Verwirklichung des Rechts auf persönliche Freiheit und des Rechts auf Leben. Er reiht sich in die Tradition jener ein, die die Einführung einer "allgemeinen Existenzgarantie" mit grundlegenden psychologischen und gesellschaftlichen Transformationen Hand in Hand gehend sehen. Die Mittel der Existenzsicherung sollten ohne Vermittlung durch Geld jedem zur Verfügung stehen: jeder sollte sich beim Bäcker Brot holen können, soviel er wollte, ohne zu bezahlen; Milch und Gemüse stünden frei zur Verfügung; Kleider, öffentliche Transporte und der notwendige Wohnraum sollten gratis sein 3.

Es handelt sich dabei um eine ähnliche Konzeption, wie sie bereits um die Jahrhundertwende in Österreich Popper-Lynkeus vertrat4. Er schlug eine Art allgemeinen Arbeitsdienst: "allgemeine Nährpflicht" (in bewußter Anlehnung an die allgemeine Wehrpflicht) zur Erwirtschaftung der lebensnotwendigen Güter vor. Als Gegenleistung für diese Arbeitsverpflichtung, die einige Jahre dauern sollte, würde jeder bis zum Ende seines Lebens alles Notwendige gratis bekommen. - Brot ohne Bezahlung für alle bleibt so‘ lange ein Menschheitstraum, als nicht für alle genug Brot zum Sattessen zur Verfügung steht. Sobald dieser Traum m einer Gesellschaft erfüllbar wird, ist er uninteressant geworden.

Um die politische Auseinandersetzung um ein garantiertes Einkommen in den Vereinigten Staaten auf eine soliden Grundlage zu stellen, wurde eine Reihe von Experimenten mit Sozialhilfeempfängern durchgeführt. Die Frage, die Befürworter und Gegner heiß debattierten, war diese: Wie stark wird die Arbeitswilligkeit der Armen durch ein garantiertes Einkommen gedämpft werden?

Ein Teil dieser Studien konzentrierte sich auf alleinerziehende Mütter, die ohnedies den größten Teil der Sozialhilfeempfänger stellten. Obwohl die Transferzahlungen auch im Experiment meist noch nicht einmal die Mindestbedürfnisse deckten, mühten sich die Mütter weniger um die schlechtbezahlten Gelegenheitsarbeiten, zu denen allein sie Zugang hatten. Was etwa in der österreichischen Einrichtung des Karenzurlaubs als soziales Ziel gilt, Müttern die Möglichkeit zu geben, sich ihren Kindern zu widmen, wurde im Rahmen dieser Experimente als negative Folgeerscheinung gewertet.

Ein Experiment, das drei Jahre hindurch ab 1969 in New Jersey durchgeführt wurde, erfaßte einige hundert Haushalte, denen Einkommen zwischen 50% unter der Armutsgrenze bis zu 25% über der Armutsgrenze garantiert wurden. Dieses Experiment wurde durch intensive soziale Studien begleitet. Die Empfänger mußten für häufige Befragungen zur Verfügung stehen und regelmäßig Formulare ausfüllen. Die geringe Zahl der Familien, die intensive Betreuung und das Wissen um die zeitliche Begrenzung bewirkten eine Ausnahmesituation, die es nicht erlaubte, aus den Ergebnissen dieses letztlich auch sehr begrenzten Experiments Schlüsse auf die Auswirkungen einer Einkommensgarantie auf breiter Basis zu ziehen.

Das "Seattle and Denver Income Maintainance Experiment" war weitaus breiter angelegt, nicht nur was die Zahl der Begünstigten, sondern auch was die Familienformen betraf. Untersucht wurde die Veränderung der Arbeitsbemühungen von alleinstehenden Frauen mit Kindern, von Hausfrauen und von Familienvätern. Auch hier wurden allgemein Beschränkungen in der Arbeitsleistung festgestellt, jedoch in unterschiedlichem Ausmaß, je nach Höhe des gewahrten Einkommens und nach Gestaltung der Begleitmaßnahmen. Im Schlußbericht heißt es: "Die empirischen Ergebnisse lassen darauf schließen, daß sowohl das zur Verfügung stehende Einkommen als auch Veränderungen in den Nettolöhnen Ehemänner, Ehefrauen und weibliche Familienoberhäupter dazu veranlassen, ihre Arbeitsleistung einzuschränken..., sie weisen darauf hin, daß das Verhalten den Anreizen entsprechend motiviert wird5." Dies bedeutet: Auch Arme treffen rationale ökonomische Entscheidungen. Hohe Abzüge, die das Gesamteinkommen im Falle eigener zusätzlicher Arbeitsbemühungen nur wenig -unter Umständen überhaupt nicht - ansteigen lassen, sind wenig motivierend. Anreiz zu zusätzlicher Arbeit muß dann entweder aus entsprechend hohen Verdienstmöglichkeiten oder aber aus nichtmateriellen Motivationen kommen.

Die für unsere heutige europäische Diskussion wichtigste Erkenntnis aus den amerikanischen Experimenten der sechziger Jahre ist wohl die Feststellung, daß die Bereitschaft zu zusätzlicher Lohnarbeit steuerbar ist über die Höhe des garantierten Einkommens einerseits, die Höhe der Abzüge bei zusätzlichem Verdienst andererseits. Behutsame Anpassung an die gesellschaftliche Entwicklung und sozial wünschenswerte Ziele wird dadurch ebenso möglich wie - unter anderen Voraussetzungen - die Schreckensvision einer Manipulation arbeitsloser Massen für die Zwecke einer korrupten Macht. Solchen Entwicklungen vorzubeugen, bedarf es geeigneter Begleitmaßnahmen und einer breiten demokratischen Kontrolle.

Die mehr als 15 Jahre währende amerikanische Debatte zur fundamentalen Wohlfahrtsreform durch ein garantiertes Einkommen, mit immer neuen politischen Plänen, praktischen Experimenten großen Ausmaßes, zahlreichen Computersimulationen im großen Stil und zahllosen wissenschaftlichen Begleitstudien blieb ohne Folgen. Die Einführung eines garantierten Einkommens scheiterte schließlich am politischen Widerstand der " Vernünftigen", die zwar durchaus bereit waren, Waisen, Blinde und Behinderte zu unterstützen, jedoch keineswegs dazu, arbeitsfähige Erwachsene mit "Steuerdollars zu füttern". Mit der Wahl Reagans und seiner Politik der Steuererleichterung für die Reichen bei drastischer Kürzung der Wohlfahrtsprogramme fand die Diskussion ihr (vorläufiges?) Ende.

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