Text aus:
Herwig Büchele und Lieselotte Wohlgenannt:
Grundeinkommen ohne Arbeit
1985, ISBN 3-203-50898-2
Katholische Sozialakademie Österreich

Inhalt: Grundeinkommen ohne Arbeit

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1.1. "Garantiertes Einkommen" in den USA

Im Dezember 1966 hielt der Bürgerrechtskämpfer und Friedensnobelpreisträger Martin Luther King vor einer Gruppe amerikanischer Senatoren einen Vortrag, in dem er für ein garantiertes Einkommen eintrat. Etwa zur selben Zeit - ebenfalls im Dezember 1966 - veranstaltete die amerikanische Handelskammer ein nationales Symposium zur Frage des garantierten Einkommens und lud dazu zwei der damals prominentesten Ökonomen der Vereinigten Staaten nebst anderen erstrangigen Persönlichkeiten des wirtschaftlichen und öffentlichen Lebens ein. Auf dem Hintergrund steigender Arbeitslosenzahlen trotz raschen Wirtschaftswachstums und steigender sozialer Unzufriedenheit, die sich nicht nur in der Bürgerrechtsbewegung Martin Luther Kings, sondern auch in jener der Schwarzen Panther und anderer radikaler Gruppierungen bemerkbar machte, auf , dem Hintergrund auch des Vietnamkriegs, rechnete man mit einer Gesetzesvorlage im Rahmen des Programms zur Bekämpfung der Armut, die jedermann ein Mindesteinkommen garantieren sollte.

Die Handelskammer hatte neben Robert Theobald, einem jungen Ökonomen, der wenige Jahre zuvor ein Buch mit dem programmatischen Titel "Free men and free markets" - Freie Menschen und freie Märkte - für die Idee eines Basiseinkommens veröffentlicht hatte, die beiden späteren Nobelpreisträger Milton Friedman und James Tobin eingeladen1. Damit war die Bandbreite der verschiedenen Vorstellungen, die damals in den Vereinigten Staaten unter dem Stichwort "garantiertes Einkommen" diskutiert wurden, abgedeckt. Zwei weitere Podiumsdiskutanten waren eher gegen diese Idee: der Politiker Thomas B. Curtis vertrat nicht ein Recht auf Einkommen schlechthin, sondern ein Recht auf Arbeitsgelegenheit, also das politische Ziel der Vollbeschäftigung. Der Wirtschaftsjournalist Henry Hazlitt fürchtete, der Sozialstaat würde außer Kontrolle geraten, wenn nicht nur jenen geholfen würde, die sich selbst nicht helfen können, sondern auch die Faulheit von Trunkenbold, den Nichtsnutzen und Müßiggängern, unterstützt würde. Und wer sollte wohl die schmutzige und schlechtbezahlter Arbeit tun, wenn man auch ohne Anstrengung Geld bekommen konnte?

 

1.1.1. Milton Friedman: Negative Einkommensteuer

Friedman hatte bereits in seinem 1962 erschienenen Buch "Capitalism and Freedom" die Idee eines garantierten Einkommens in Form einer negativen Einkommensteuer zur Lösung des Armutsproblems vorgeschlagen. Er argumentiert, Bargeld sei die sinnvollste Form der Hilfe für den einzelnen, die negative Einkommensteuer könne alle anderen Formen der Sozialhilfe ersetzen, sie garantiere wie keine andere Form die Freiheit des Individuums bei möglichst wenig Staatseingriffen. Als weitere Vorteile seines Modells sieht Friedman eine gewaltige Vereinfachung und damit Verbilligung der Administration, einen hohen Anreiz zur eigenen Leistung und - last not least - Einsparungen für den Steuerzahler. Die entwürdigende Bevormundung und Bespitzelung der Wohlfahrtsempfänger würde ein Ende finden, es sei gleichzeitig die Garantie gegeben, daß nur die wirklich Armen unterstützt würden, und die Bindung an das Einkommensteuersystem garantiere Durchsichtigkeit und gleichzeitig Weiterentwicklung dieses Systems im Einklang mit der gesamten Einkommensentwicklung. Dies deshalb, weil die Höhe der negativen Einkommensteuer an die Höhe der steuerfreien Einkommen gebunden wäre.

Das Friedman‘sche Modell ist mit einer gleichzeitigen Einkommensteuerreform verbunden und würde wie folgt aussehen: Geht man aus vom damaligen nicht besteuerbaren Jahreseinkommen von 6000 $ für eine vierköpfige Familie, so würde der allgemeine Steuersatz 25% betragen, die Negativsteuer, die eine Familie ohne jedes andere Einkommen erhielte, 1500 $. Diese 1500 $ sind 25% der als nichtbesteuerbar angesetzten 6000 $ Jahreseinkommen, bei einem allgemeingültigen Steuersatz von 25%. Das würde bedeuten, daß jeder verdiente Dollar über die ganze Stufenleiter der Einkommen hinweg gleichmäßig mit 25% besteuert würde, oder, anders herum, daß von jedem selbstverdienten Einkommen 0,75 $ bleiben würden, egal, ob jemand die Negativsteuer ausbezahlt bekommt oder zu den Höchsteinkommenbeziehern zählt. Alle bestehenden Steuervorteile, Freibeträge und Ausnahmen sollten abgeschafft werden. Der Leistungsanreiz wäre für die Armen wie für die Reichen wesentlich größer als im bestehenden System, trotzdem würde, nach der Friedmanschen Berechnung, das Gesamtsteueraufkommen nicht geschmälert. Er sieht auch die Verteilungsgerechtigkeit gewahrt, da auch bei Progressionssystemen durch das Auslaufen der Progression nach oben und das Spiel der Sonderbestimmungen im allgemeinen die mittleren Einkommen relativ höher belastet sind als die hohen.

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Als weitere begleitende Maßnahme sah Friedman die Aufhebung der Mindestlöhne vor, da er der Meinung war, daß die hohe Arbeitslosenrate, etwa unter farbigen Jugendlichen, auf die zu hohen gesetzlichen Löhne zurückzuführen sei. Die negative Einkommensteuer würde es erlauben, auf die Festsetzung von Mindestlöhnen zu verzichten und den Marktgesetzen freien Lauf zu lassen. Bei entsprechend niedrigen Löhnen würden viele der Jugendlichen und andere wenig qualifizierte Arbeitsuchende es viel leichter haben, zusätzlich Arbeit zu finden, um ihr (unter dem Existenzminimum festgesetztes) Mindesteinkommen aufzubessern. Dies würde eine Befreiung der Marktwirtschaft von den Aufgaben, die in den sozialen Bereich zu zählen sind, mit Hilfe der negativen Einkommensteuer bedeuten.

Friedman, der sich selbst als "Rechten" einstuft, trat also aus Gründen einer besseren Effizienz der Marktwirtschaft, der Einsparung von Administrationsaufwand und Steuermitteln für ein staatliches Grundeinkommen ein. Darüber hinaus war für den Liberalen Friedman die Freiheit und Würde der Person des Armen wie des die Armut "verwaltenden" Beamten ein Argument, das ihn für eine negativ-Einkommensteuer in dieser Form votieren ließ.

Trotz dieser sehr klaren Zielsetzung fand Friedman kaum. Anhänger unter Ökonomen seiner eigenen Richtung, aber unerwartet positive Aufnahme bei eher "linken" Sozialreformern.

 

1.1.2. James Tobin: Einkommensgarantie

Tobin, der in der Kritik der Armutsadministration weitgehend mit Friedman übereinstimmte, verfolgte insgesamt wesentlich andere Ziele. Seine Kritik: die Wohlfahrtsprogramme kämen nicht allen zugute, die sie bräuchten, und deckten auch schlecht die Bedürfnisse derer, die tatsächlich Hilfe bekämen. Die aufwendige Administration entziehe Mittel und Kräfte, die für würdigere Aufgaben eingesetzt werden könnten. Seine Hauptsorge ist die Herausbildung einer Armutsklasse von Sozialhilfeempfängern - aufgrund der restriktiven Begrenzungen zusätzlicher Einkommen -, die am Rande der amerikanischen Gesellschaft, ihrer Hoffnungen, Normen und Werte existieren würde. Auch er schlägt eine Negativsteuer vor, die Einkommensunterschiede vermindern, aber nicht aufheben würde, ohne eigene Bemühungen zu bestrafen. Tobin würde einer vierköpfigen Familie ein garantiertes Einkommen von 2500 $ jährlich zugestehen - gegenüber 1500 $ bei Friedman -, noch immer ein Sechstel unter dem staatlich definierten Existenzminimum. Zusätzliche Einkommen würden mit 33% besteuert. Daß sein Programm gegenüber den bestehenden Sozialprogrammen zusätzliche Kosten verursachen würde, stört ihn angesichts der aufgezählten Vorteile nicht:

 

- Die Einbeziehung aller Armen, auch der vollständigen Familien (die bestehenden Programme kamen im allgemeinen nur alleinstehenden Müttern mit Kindern zugute),

 

- Anreiz zum Zusammenhalt der Familie ("im jetzigen System ist das beste, was ein Vater für seine Familie tun kann, daß er sie verläßt, weil sie nur so Unterstützung bekommt"),

Wie Friedman betont auch Tobin die Notwendigkeit, den Wohlfahrtsempfängern Freiheit, Selbstbestimmung und Würde wiederzugeben. Es schien ihm auch falsch, völlige Besitzlosigkeit zur Voraussetzung einer Unterstützung zu machen. Lediglich Einkünfte aus Besitz, nicht der Besitz selbst, sollten zur Berechnung herangezogen werden, da sonst jeder Anreiz, zu sparen oder in ein eigenes Heim zu investieren, verloren gehe. Sein Hauptziel: möglichst geringe Unterschiede zwischen Steuerzahlern und Negativsteuerempfängern, um Leistungsanreize und "Mobilität nach oben" offenzuhalten. Die von ihm geschätzten Gesamtkosten - rund 2% des Bruttonationalprodukts - schienen ihm hierfür gut angelegt.

In ganz anderen Zusammenhängen sieht der Hauptvertreter des garantierten Einkommens in den Vereinigten Staaten seine Vorschläge:

 

1.1.3. Robert Theobald: ökonomische Sicherheit -ein neues Kapitel der Menschheitsgeschichte

"We are living in an age of dreams come true 2" (Wir leben in einem Zeitalter, da Träume Wirklichkeit werden) - dieser Einleitungssatz zu Theobalds Sammelband über das garantierte Einkommen charakterisiert seinen Zugang zum Thema. Ihm geht es um mehr als darum, das Armutsproblem besser in den Griff zu bekommen, die damit verbundene soziale Sprengkraft zu kanalisieren und die Behinderung wirtschaftlichen Wachstums zu beseitigen. Theobald sieht ein neues Zeitalter heraufkommen: das Computerzeitalter der automatisierten Fabriken und der Überproduktion, die Zeit der nutzlosen Arbeitskräfte, eine Ära grundlegender Transformation der westlichen Gesellschaften. Mag die Realisierung seiner Visionen infolge des "Ölschocks" und forcierter Produktion von Rüstungsgütern um 20 Jahre hinausgezögert worden sein - heute ist seine Analyse in vielem aktueller denn je.

Vor dem Handelskammerauditorium nimmt Theobald die Frage nach der Machbarkeit und Wünschbarkeit des Bemühens um Vollbeschäftigung zum Ausgangspunkt, um daran seine Vorstellung einer ökonomischen Basissicherung in Form eines garantierten Einkommens zu knüpfen. "Das Konzept des garantierten Einkommens besagt, daß jedes Individuum oder jede Familie Einkommen in einer bei. stimmten Höhe als absolutes Recht erhalten sollte." Die Entwicklung zeige bereits, daß es immer schwieriger werde, durch Wachstum Vollbeschäftigung - das hieß nach damaligem US-Standard eine Arbeitslosenrate von maximal 4%- aufrechtzuerhalten. Statt nun als oberstes Ziel (unnötiges) Wirtschaftswachstum zum Zwecke der Arbeitsplatzbereitstellung zu betreiben, sei es sinnvoller, den Arbeitslosen direkt Einkommen zukommen zu lassen. Dabei argumentiert er bereits mit dem, was wir heute "autonomen Sektor" nennen: " Es sollte klar gesehen werden, daß vielerlei Tätigkeiten, die heute nicht durchgeführt werden können, weil wenigstens Mindestlöhne bezahlt werden müßten, sich eröffnen würden - neue, dringend notwendige Programme könnten mit sehr viel niedrigeren Kosten durchgeführt werden, weil man keine Gehälter bezahlen müßte ... es fehlt nicht an Arbeit, was fehlt, sind die Mittel, sie zu bezahlen." Dies ist einer der Gründe dafür, daß er neben dem - von jeder Arbeit unabhängigen - Basiseinkommen ein Zusatzprogramm ("Commited Spending") - eine Art Arbeitslosenbezüge, die an die Höhe des früheren Arbeitseinkommens gebunden sind - vorsieht. Leitende Angestellte, die (besonders zu jener Zeit) in den USA oft in mittlerem Alter nach Hause geschickt wurden und kaum mehr Aussicht auf einen neuen Arbeitsplatz hatten, sollten ihren Lebensstandard durch eine Art Pension aufrechterhalten können und dafür ihr Wissen und ihre Innovationsfähigkeit der Allgemeinheit zur Verfügung stellen.

Er denkt an Initiativgruppen ("Consentives"), die auf freier Basis zusammenarbeiten und ihre Produkte und Dienste auch auf dem Markt - nicht unbedingt zu kostendeckenden Preisen - anbieten. Sollte solch eine Initiativgruppe erfolgreich sein, kostendeckend und gewinnbringend arbeiten, ginge sie automatisch in den offiziellen Sektor über. Umgekehrt könnte ein kleiner Handwerker - oder Dienstleistungsbetrieb, der nicht kostendeckend arbeiten kann, sich in eine "Consentive" verwandeln.

Abgesichert würde dies durch ein im Gesetz verankertes "Recht auf Einkommen", das den Staatsbürger vor der Gefahr materieller Armut wie vor der Willkür des Staates und seiner Beamten schützte.

Theobald, der ja von einer rasch wachsenden Arbeitslosenzahl ausging, stellte sich ein garantiertes Einkommen in Höhe der amtlich definierten Armutsgrenze vor, das jährlich anwachsen könnte. Eigenes Einkommen würde bei seinem Vorschlag eine fast ebenso hohe Kürzung des Transfereinkommens bedeuten, da es ja nicht sein Ziel war, die Empfänger der staatlichen Garantie zur Arbeit im offiziellen Sektor zu motivieren. Im Laufe der Diskussion schloß er sich dann allerdings der Vorstellung abgestufter Transfers im Sinne der von Friedman und Tobin vertretenen "negativen Einkommensteuer" an.

Die langfristige Strategie Theobalds zielt allerdings auf eine vollständigere Abkoppelung zwischen Arbeit und Einkommen. Da er mit wachsender Arbeitslosigkeit durch Rationalisierung und Kybernetik rechnet, plädiert er für eine schrittweise Einführung des Grundeinkommens, die beiden Wohlfahrtsempfängern beginnen würde und durch bessere Nutzung der Überkapazitäten der Wirtschaft zusätzliches Wachstum bringen sollte. Im Einklang mit dem Produktivitätszuwachs sollte das Basiseinkommen erhöht werden und immer weitere Kreise einbeziehen.

 

1.1.4. Die amerikanische Öffentlichkeit

Das Presseecho auf die Handelskammerveranstaltung läßt erkennen, wie stark das Thema bereits in der Öffentlichkeit diskutiert wurde und wie umstritten es war. "Hätte die Handelskammer der Vereinigten Staaten in Washington eine Enquete über fliegende Untertassen veranstaltet, die Überraschung hätte nicht größer sein können", schrieb der Christian Science Monitor, und der Leitartikelverfasser des Richmond News Leader meint: "Das akademische Gewächshaus scheint nicht der beste Boden, ein realistisches Menschenbild hervorzubringen." Die Hauptsorge der Kommentatoren: Wer wird wohl Schuhe putzen, Mülltonnen leeren und andere schmutzige und stinkende Arbeiten verrichten, wenn diese Leute ihr Geld auch so bekommen können? Andere Kommentatoren läßt zumindest das Prestige der prominenten Professoren Friedman und Tobin vorsichtiger urteilen. Die Washington Post schreibt: "Zwei Ökonomen, die bei anderen Gelegenheiten Gegenpole sind, waren sich einig, daß eine negative Einkommensteuer der 100prozentigen "Steuer", die heute praktisch bei Sozialhilfeempfängern in Anwendung kommt, vorzuziehen sei", und wundert sich über die darin zum Ausdruck kommende Übereinstimmung von Vertretern sehr unterschiedlicher Richtungen. Der ebenfalls in Washington erscheinende Evening Star dagegen befürchtet nichts geringeres, als daß die Einführung eines garantierten Einkommens - gleich in welcher Form - die amerikanische Wirtschaft ruinieren würde. "Als Endlösung des Problems unseres Jahrzehnts könnte das garantierte Jahreseinkommen die Armut so komplett heilen, daß wir alle im Armenhaus landen." Die Gefahr scheint unmittelbar drohend: "Wir müssen damit rechnen, daß irgendwann im herannahenden neunzigsten Kongreß dieses Gremium das garantierte Einkommen verabschiedet. "

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