Text aus:
Herwig Büchele und Lieselotte Wohlgenannt:
Grundeinkommen ohne Arbeit
1985, ISBN 3-203-50898-2
Katholische Sozialakademie Österreich

Inhalt: Grundeinkommen ohne Arbeit

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1. Garantiertes Einkommen in Theorie und Politik

Die Frage einer materiellen Existenzsicherung stand geschichtlich immer im Zusammenhang mit dem Recht der Armen, Witwen und Waisen auf Lebensunterhalt. Dieses universell anerkannte Recht, das in traditionalen, überschaubaren Gesellschaften keiner besonderen Absicherung bedurfte, wurde durch die Industrialisierung und die zunehmende Vorherrschaft des Geldes mehr und mehr gefährdet. War die eigentliche und wesentliche Antwort auf diese gesellschaftlichen Veränderungen die Herausbildung der auf Solidarität basierenden Sozialversicherungen und anderer Einrichtungen, die den modernen Sozialstaat prägen, so stellte sich doch andererseits immer stärker die Frage nach der Absicherung der Lebensgrundlage derjenigen, die an diesen Einrichtungen keinen Anteil hatten, da sie, aus welchen Gründen auch immer, keinen Beitrag dazu leisten konnten. Sie blieben privater Wohltätigkeit und Ermessensentscheidungen von Behörden unterworfen.

Neben dieser immer wieder auftauchenden Frage nach der Existenzsicherung für die Ärmsten gibt es eine zweite Gedankenlinie mit grundlegend anderen Vorstellungen: Hier geht es um eine Gesellschaft, in der die Mittel der Existenzsicherung für alle verfügbar sind, weil sie nach dem Bedürfnisprinzip - wenn auch nicht unbedingt ohne Gegenleistung - verteilt werden.

Im folgenden geht es nicht um eine historische oder vollständige Darstellung der Thematik, sondern lediglich darum, aus Erfahrungen, die anderswo gemacht wurden, Folgerungen zu ziehen. Da ein Recht auf materielle Grundsicherung nirgends sonst so lange mit Unterstützung aus so verschiedenen Lagern und mit so weitreichenden praktischen und politischen Folgerungen wie in den Vereinigten Staaten zwischen Beginn der sechziger und Ende der siebziger Jahre bis zur Regierung von Präsident Carter diskutiert wurde, kann diese Erfahrung als Ausgangspunkt unserer eigenen Diskussion dienen. Die dabei verwendeten Begriffe - wie negative Einkommensteuer - werden in Kapitel 2 noch näher erläutert.

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