Inhalt/Content
 

 
Eiichi Morino, Hideaki Kudô 

Das Geld neu erfinden
Wie in Japans Tauschringen das Geld" Vertrauen zurückgewinnt 

Inhalt: 

Was ist eine Lokalwährung?
Die Natur als Masstab betrachten
Bringt der Besitz von Geld Sicherheit?
Gesell und Miura Baien
Die Gesundung der Region zurückrufen 

Graphication No. 110
Aus der japanischen Zeitschrift 
GRAPHICATION No. 110, August 2000,
The Documentation Company Fuji-Xerox

Die Gesprächspartner:
Eiichi Morino

Eiichi Morino

1949 in der Präfektur Kanagawa geboren. Wirtschaftsanalytiker. Abschluss des Doktorkurses an der Wirtschaftsfakultät der Staatlichen Universität. Leiter der Gesell Research Society Japan. Schon früh interessierte er sich für die Freiwirtschaftsbewegung von Silvio Gesell, der das Geld auf seine ursprüngliche Funktion als Tauschmittel beschränken wollte, um den Menschen so ein gerechtes und freies Wirtschaften zu ermöglichen. Er untersucht die Möglichkeiten für ein neues Wirtschaftssystem jenseits von Kapitalismus und Sozialismus. Seit kurzem reist er als Organisator für Lokalwährungen durch das Land. Mitautor von "Endes letzte Worte - das Geld von Grund auf hinterfragen" und zahlreiche weitere Veröffentlichungen.
Prof. Hideaki Kud�

Hideaki Kudô

Abschluss des Doktorkurses an der Wirtschaftsfakultät der Universität Nagoya. Gegenwärtig Professor an der Universität Chiba im Bereich Wirtschaftsrecht. Nach Untersuchungen über die Wirtschaft in Beziehung zu Umwelt und Gesellschaft setzt er seine Arbeit über Fragen der Wirtschaftswissenschaft und Ökologie theoretisch und philosophisch fort. Autor von Ursprüngliche Kritik der Wirtschaftslehre und Naturalismus. Wirtschaftsgeschichte und Naturerkenntnis"; Übersetzungen ins Japanische: J. Martinez-Alier, Ökologische Wirtschaftswissenschaft. Eine weitere Wirtschaftsgeschichte", R. Clarke, Die Geburt der Ökologie - Biographie von Ellen Swallow" und weitere.


 

Eiichi Morino, Hideaki Kudô

 

 

 

Das Geld neu erfinden

Wie in Japans Tauschringen das Geld" Vertrauen zurückgewinnt

 

 

 
Was ist eine Lokalwährung?

Redaktion: Wohin man auch geht, nirgendwo kann man ein gutes, positives Wort hören. Die Stimmen in diesem Inselland sind voller Klage über die schwankende Konjunktur und wir sind auf einmal überrascht, wie sehr unser Leben mit dem Geld zusammenhängt. In dieser Situation wurde im Mai letzten Jahres von NHK das TV-Programm Endes letzte Worte - die Grundlagen des Geldes hinterfragen" ausgestrahlt. Bei dieser Gelegenheit wurden in allen Regionen Versuche mit Lokalwährungen begonnen, die mit der Globalisierung und des sich zurückziehenden Geldes fertig werden müssen. Auf diese Versuche werden grosse Hoffnungen gesetzt.
Diese Lokalwährungen sind schnell in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses geraten und deshalb wollen wir uns heute mit dem Autor, der sich in dem Buch "Endes letzte Worte" als Wirtschaftsanalytiker um erhellende Erklärungen bemühte, Herrn Eiichi Morino, und dem Spezialisten für Wirtschaftsgeschichte, Herrn Hideaki Kudô, über die Geschichte und die Möglichkeiten der Lokalwährungen unterhalten. Ich denke, es geht dabei vor allem um die Frage, wie das Leben noch erfüllend gelebt werden kann, wenn das Geld fehlt.

Morino: Vor einigen Tagen habe ich im Stadtentwicklungszentrum von Chiba einige Leute getroffen, die dort eine Lokalwährung ins Leben gerufen haben, die heute in Japan wohl am besten funktioniert. Es handelt sich um das Peanuts"-Projekt, dem ich auch angehöre. Herr Kudô wird es sicher kennen, da sich das Peanuts"-Zentrum in der Tulpenbaumstrasse befindet, einer Geschäftsstrasse in der Nähe der Universität von Chiba.

Kudô: Direkt unterm Leuchtturm ist es dunkel!" (Lachen) Ich kannte es bisher nur aus Zeitungsberichten, aber heute hatte ich das Vergnügen Genaueres darüber zu erfahren. Erdnüsse (= peanuts) sind eine Spezialität von Chiba, nicht wahr? Kommt daher der Name für die Lokalwährung?

Morino: Erdnüsse sind eine Spezialität von Chiba, aber das bedeutet nicht, dass Naturalien als Tauschmittel benutzt werden. Der Ruf von Chiba hatte unter der Lockheed-Affäre gelitten und so ist die Wahl des Namens Peanuts" ein Versuch, das Image wieder aufzupolieren. Unter den Lokalwährungen gibt es verschiedene Formen. Die Tauschringe etwa verwenden gewöhnlich ein System, das als LETS bekannt ist (Local Exchange Trading System). Dabei werden die Leih- und Verleihvorgänge unter den erwachsenen Teilnehmern nach einem Punktsystem verrechnet. Es ist ein System, das in Japan sehr gut funktioniert. Personen, die eine Dienstleistung anbieten, tragen in ihrem Tauschheft einen Plusbetrag ein und diejenigen, die eine Dienstleistung erhalten, tragen einen Minusbetrag ein. Auch Peanuts" funktioniert auf diese Weise.

Kudô: Wann etwa wurde das Peanuts"-Projekt begonnen?

Morino: Das dürfte jetzt knapp ein Jahr her sein. Zuerst wurden alle möglichen Formen von Lokalwährungen ausprobiert. Nach der Ausstrahlung des NHK-Programms kam es schliesslich zur Einführung des LET-Systems. Auch wenn dies als Lokalwährung bezeichnet wird, ist bei diesem System kein Geld im Umlauf, wie etwa in der Stadt Ithaca, N.Y., wo Geldscheine gedruckt werden, die sogenannten Ithaca-Hours". Aufgrund der Rechtslage ist es in Japan schwierig, Geldscheine auszugeben. Die LETS-Form lässt sich jedoch sehr einfach durchführen. Es gibt natürlich auch Formen, wo Scheine benutzt werden, dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Währung, sondern um eine Art von Gutscheinen, die von den Tauschpartnern beim Austausch von Dienstleistungen verwendet werden.

Kudô: Wie geht das bei diesem System praktisch vor sich?

Morino: In der Stadt Kusatsu in der Präfektur Shiga wird z.B. vom Gemeindezentrum eine Währung herausgegeben, die Ômi" genannt wird. Es gibt Scheine in drei Stückelungen im Wert von 1, 5 und 10 Ômi, wobei 1 Ômi etwa 100 Yen entspricht, aber nicht in Landeswährung umgetauscht werden kann. Die Mitglieder zahlen beim Eintritt 1000 Yen und erhalten dafür 8 Ômi. Damit tauschen sie Leistungen aus, die sie selbst erbringen können" gegen Leistungen, die sie sich wünschen". Unter den angebotenen Dienstleistungen befinden sich Dinge wie Einkäufe erledigen" oder frische Eier abzugeben" und eine Vielfalt anderer Dinge. Diese werden in einer Liste zusammengestellt, die von den Teilnehmern eingesehen wird und mit deren Hilfe finden sich die Tauschpartner für einen Handel. Diese Benutzerscheine werden auch von der Zentrale selbst verwendet. Sie eignen sich sehr gut zur direkten Bezahlung, wenn freiwillige Helfer in der Zentrale Dienstleistungen erbringen. So wird z.B. für die Toilettenreinigung ein Honorar von 4 Ômi bezahlt.

Kudô: Irgendwie hört sich das alles recht märchenhaft an. (Lachen)

Morino: Ja, nicht wahr. Aber obwohl es Leute gibt, für die das Ganze kein Spiel mehr ist, muss man doch sagen, dass sich das Projekt noch in einem Experimentierstadium befindet. Es ist ein Vorteil, wenn die Sache auf spielerische Weise und mit Freude gemacht werden kann. Wenn beim Spiel Fehler auftreten, können sie noch gut ausgebessert werden. Im Fall von Ômi werden die Scheine übrigens auch von Taxigesellschaften angenommen.

Kudô: Wie geht das, wenn Taxigesellschaften diese Scheine annehmen?

Morino: Es gibt einige Vereinigungen in der Region, die Spenden geben. Sie wollen einfach die Entwicklung der Region fördern. Die Lokalwährung bietet auf diese Weise auch eine Möglichkeit für Personen, die sich überlegen, wie sie einen Beitrag für die örtliche Gemeinde leisten können. Da sich die Lokalwährung grundsätzlich von der Yen-Währung unterscheidet, werden die Freundlichkeit und das Wohlwollen von Personen, die keine Spende in Yen aufbringen können, wieder wertgeschätzt und als echter Beitrag anerkannt. Da die Lokalwährung auf die jeweilige Region beschränkt ist, kann sie ausserhalb nicht verwendet werden. Andererseits kann man Nutzen aus dieser Besonderheit ziehen, indem die Lokalwährung als Glied in einer Kette zur Entwicklung der Region beiträgt und die Freiheit gibt, eigene Experimente durchzuführen. Ich denke, das ist eine gute Sache.
Unter den Lokalwährungen gibt es auch solche, die damit beginnen, sich in ganz Japan gewissermassen als einem grossen Tauschring auszubreiten. Ich bin auch der Herausgeber des Buchs Einführung in Lokalwährungen - für jedermann verständlich" (Hokuto-Verlag). Die Autoren Yoshihiro Abe und Rui Izumi haben damit begonnen, Personen, die sich für Tauschringe und Lokalwährungen interessieren, zur Teilnahme zu ermuntern. In diesen Formen der Lokalwährung wie dem Regenbogen-Ring" oder auch Ômi" bieten die Teilnehmer nur Dinge an, die sie selber machen können und sie bezahlen eine Verwaltungsgebühr. Die Angebote reichen vom Beaufsichtigen von Haustieren oder Golf-Coach, Reparaturarbeiten, Vermietung einer Ferienwohnung im Sommer, Tischlerarbeiten, Hauslehrer, private Theater- und Musikdarbietungen bis zu Büroarbeiten als Subunternehmer usw.

Kudô: So kann man sagen, dass die Lokalwährung neue Arbeitsplätze schafft. Aber wenn die Bezahlung nur durch den Austausch von Verrechnungspunkten geschieht, könnte es dann nicht Teilnehmer geben, die nur Dienstleistungen nehmen, aber keine geben?

Morino: Das hängt von der Regelung durch die Verwaltung ab. So gibt es z.B. die Möglichkeit, Minuspunkte durch Bargeld (Yen) auszugleichen. Im Regenbogen-Ring, der ganz Japan als Tauschring-Gebiet betrachtet und sich daher nicht wie üblich auf eine kleine Region beschränkt, werden alle, die irgendwelche Tricks versuchen, für alle anderen erkennbar. Die Lokalwährungen bauen auf gegenseitigem Vertrauen auf und das ist auch der grösste Reiz dabei.

Kudô: Lokalwährungen hat es, glaube ich, auch früher schon gegeben. Wieso sind diese Formen nun plötzlich wieder ins Blickfeld des Interesses geraten?

Morino: Lokalwährungen sind in der Tat nicht neu. Das Papiergeld der Daimyôs (Feudalherren) im Japan der Edo-Zeit oder die Kaufgutscheine, die den Arbeitern im Bergbau- und anderen Unternehmen als Entlohnung gegeben wurden, kann man im weitesten Sinne als Lokalwährungen bezeichnen. Doch die heutigen Formen stehen stark unter dem Einfluss der europäischen Freigeldbewegung, die sich auf die Theorien von Silvio Gesell (1862-1930) stützt. In Japan ist Gesell kaum bekannt. Aber Keynes drückte seine hohe Wertschätzung aus, als er sagte, dass die Zukunft mehr vom Geiste Gesells als von dem von Marx lernen würde. Tatsächlich wurden nach der grossen Deflationsdepression in Europa und Amerika Lokalwährungen, die auf der Theorie von Gesell beruhten, eingeführt und es gibt viele Beispiele dafür, wie heruntergekommene Unternehmen und Regionen gerettet wurden. Andererseits wurden diese gut funktionierenden Beispiele vom Staat als Bedrohung aufgefasst und verboten. Als in den 80er Jahren in Deutschland die Partei der Grünen gegründet wurde, begann man, die Lasten, die der Gesellschaft und der Umwelt aufgebürdet wurden, neu zu untersuchen. Unter anderem wurde auch die Theorie von Gesell wieder hervorgeholt und von neuem ins Rampenlicht gerückt.

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Die Natur als Masstab betrachten
 

Kudô: Diesmal werden das Land und die örtlichen Selbsthilfeorganisationen angeschoben.

Morino: Die Lokalwährung ist die beste Methode, die Einwohner zur spontanen Beteiligung in der regionalen Gesellschaft zu bewegen. Auch im Land kommt man jetzt immer mehr zu der Überzeugung, dass die Bürger auf verschiedene Weise in der Selbstverwaltung der Region und bei sozialen Planungen beteiligt werden müssen. Daher glaube ich, dass die Lokalwährungen, weil sie die Menschen auf spontane Weise anziehen, vom Land und von den regionalen Selbstverwaltungen begrüsst werden. So, wie es heute aussieht, gibt es zwischen dem privaten Individuum und der Öffentlichkeit keine Angelpunkte zur Zusammenarbeit in der Region. Wenn sich die Menschen in der Gesellschaft der Region wieder zusammenfinden, sollte dies von den Verwaltungen begrüsst werden. Als Folge davon können die Kosten der Verwaltung reduziert werden und dies bedeutet einen Vorteil sowohl für die Verwaltung als auch für die Bürger selbst. Es bedeutet, dass die Region durch die Lokalwährung wieder attraktiv wird. Wenn in England, Frankreich und woanders die Entwicklung des Landes auf solche Art vorangetrieben werden kann, warum sollte eine solche Belebung dann nicht auch in Japan möglich sein.
So, wie es bis jetzt aussieht, ist dies nicht die Zeit, in der die zweifellos vorhandenen Schwierigkeiten durch irgendwelche Massnahmen des Staates gelöst werden können. Was wir selber tun können, sollten wir auch selber tun. Wenn wir die Aufgaben der Region als Teil unseres eigenen Lebens betrachten und eigene Lösungen finden können, dann ist dies durch nichts zu ersetzen.

Kudô: Wenn wir uns Geld leihen, betrachten wir es als selbstverständlich, dass Zinsen damit verbunden sind. Das Denken, das hinter dem Vorschlag von Gesell für Freigeld steht, ist jedoch einzigartig.

Morino: Wenn man Gesells Geldtheorie in ganz einfachen Worten ausdrückt, kann man sagen, dass die Menschen das Geld im Überfluss anhäufen möchten, obwohl es eigentlich offen und frei zirkulieren müsste. Ausserdem ist das Geld selbst zum Gegenstand der Spekulation geworden. Deshalb muss das Geld, wenn es aufbewahrt wird, allmählich etwas von seiner Kaufkraft verlieren und mit einer Umlaufgebühr belastet werden. Dadurch wird die reibungslose Zirkulation gewährleistet. Die heute durchgeführten Lokalwährungen werden daher überall entweder ohne Zins oder mit einer Umlaufgebühr verwaltet.

Kudô: Wenn das so ist, dann wird es niemandem schwer fallen, einen Kredit aufzunehmen. (Lachen)

Morino: In gewisser Weise haben die Menschen heute keine Reserven mehr und das Pathologische in der japanischen Gesellschaft verstärkt sich. Es ist überraschend, den schlechten Ausdruck auf den Gesichtern zu sehen, wenn man nach Tokyo kommt. Jeder hat entweder einen leeren, langweiligen Gesichtsausdruck oder einen grimmigen. Wenn man unbekannte Personen anspricht, scheint jeder geschockt zu sein. Es kommt in den Regionen kaum noch dazu, dass sich fremde Leute gegenseitig ansprechen.
Aber in anderen Gegenden ist es genauso. Alte Menschen sterben einsam und es gibt keine Stadt wo es anders ist. In der Präfektur Tottori wird jetzt von der Verwaltung die Einführung einer Lokalwährung mit aller Kraft gefördert. Es ist ein System, bei dem freiwillige Helfer Arbeitszeit deponieren können und ich habe gehört, dass in diesem Fall auch das Problem der einsam sterbenden Alten in Angriff genommen wurde. In den Städten und ebenso auf dem Land ist in Japan allmählich eine verbitterte Gesellschaft entstanden. Ich denke, dass die Lokalwährungen hier Abhilfe schaffen können.

Kudô: Die Frage, wie man die kapitalistische Gesellschaft begreifen kann, weicht ein wenig von unserem heutigen Thema der Lokalwährung ab, aber ich denke, dass wir wieder eine Verbindung zu dem System herstellen sollten, das die Menschen zuvor gehabt haben. An diesem Punkt möchte ich auf den amerikanischen Historiker Stavrianos verweisen, der eine lange Zeitspanne von fünf Millionen Jahren überblickt. Wenn man diese fünf Millionen Jahre unter die Lupe nimmt, dann haben die Menschen bis vor knapp 10.000 Jahren das Leben von Sammlern und Jägern geführt. Wie solch ein Leben wirklich gewesen sein mag, ist schwer nachzuvollziehen, aber da bis heute Völker der Jäger und Sammler überdauert haben, kann man deren Lebensweise noch studieren. Aus diesen Erkenntnissen über die Struktur der Beziehung zwischen Wirtschaft und Natur über 4.990.000 Jahre hinweg können dann Korrekturen abgeleitet werden.
Stavrianos meint, dass sich bei den Indianern Nordamerikas, den Aborigines in Australien oder den Ainu in Japan gewissermassen einige wenige Stämme oder unterentwickelte Formen der Gesellschaft erhalten haben und aus den Überlieferungen dieser Menschen können Schlussfolgerungen gezogen werden, die aufzeigen, dass die Menschen in Beziehungen des Miteinanders gelebt haben, und dass die Formen des harten Wettbewerbs erst vor relativ kurzer Zeit entstanden sind. Vorher überwogen die Formen der Zusammenarbeit, der gleichmässigen Verteilung oder eine sichere Versorgung der Alten in der Gemeinschaft usw. und das symbiotische Zusammenleben war eine Selbstverständlichkeit.
Als z. B. Anthropologen bei ihren Feldforschungen Siedlungen der Eskimos aufsuchten und mit ihnen zusammen lebten, wurde das gewonnene Fleisch wie selbstverständlich gleichmässig unter allen verteilt. Andererseits gibt es Berichte, dass Höflichkeitsfloskeln wie Danke" und dergleichen ganz unüblich sind.

Morino: Der Grund liegt darin, dass natürliche Dinge wie Nahrungsmittel nach einiger Zeit verderben würden. Von daher gibt es in Japan seit altersher das Sprichwort: Ein gefangener Wal bereichert sieben Strände." Wenn ein grosser Wal gefangen wurde, konnte er nicht längere Zeit gelagert werden, sondern er wurde unter möglichst vielen aufgeteilt. Deshalb wurden sieben Strände bereichert.

Kudô: Aus dieser Beziehung zur Natur ergab sich, dass die Jäger und Sammler ein nicht sesshaftes Leben führten. Sie nahmen die Tiere und Pflanzen der Gebiete, in denen sie lebten und bevor es für die Natur dieses Gebiets schwierig geworden wäre, sich zu erholen, zogen sie weiter zum nächsten Lagerort. Daher pflegten sie nicht nur einen Gemeinschaftssinn, sondern sie hatten auch eine symbiotische Beziehung zur Natur, bzw. hatten dies als wichtigste Norm ihrer Gemeinschaft verinnerlicht. Das war jedoch nicht nur bei den Eskimos im nördlichen Polarkreis üblich, sondern es gilt bis zu den Buschmännern im Süden Afrikas. In allen Teilen der Welt gab es solche Formen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens.
Aber dann ereignete sich vor 10.000 Jahren die Revolution des Ackerbaus und die direkte Produktion brachte bald die Arbeitsteilung und die Unterteilung in verschiedene Gesellschaftsschichten mit sich. Aber auch in der auf dieser Grundlage beruhenden Gesellschaftsform war der Gemeinschaftssinn zentral. Auf diese Weise wurde die 4.990.000 Jahre andauernde Norm zur Voraussetzung einer auf Produktion beruhenden Lebensweise. So kann man sagen, dass dies bis vor ganz kurzem gegolten hat.
Wenn man die in Europa etablierte moderne Gesellschaft im Zusammenhang mit der langen Geschichte der Menschheit sieht, dann ist es nichts weiter als der Beginn einer neuen Phase der Menschheitserfahrung. Zeitlich und räumlich gesehen ist es eine aussergewöhnliche Erfahrung, aber jetzt wird unter dem Begriff Globalisierung versucht, der ganzen Welt eine neue Norm aufzudrücken.
Die Lokalwährungen stehen gegen das heutige Geldsystem mit der als Globalisierung bezeichneten katastrophalen Situation. Dass nunmehr von Kreisen, die dem Leben wieder das gebührende Recht einräumen wollen, unsere 4.990.000jährige Grundlage des menschlichen Miteinanders und der Einstellung gegenüber der Natur wieder belebt wird, kann man als einen wichtigen Versuch betrachten.

Morino: Gerade für das Geld sollte der Masstab der Natur gelten. In der Tat gab es in der Geschichte der Menschheit zuerst Banken, bevor das Geld aufkam. So soll es in Mesopotamien ein Banksystem gegeben haben bevor das Geld auftauchte. Aber wenn es kein Geld gab, wofür wurden diese Banken dann errichtet? In Wirklichkeit waren dies Getreidebanken.
In Endes letzte Worte" habe ich geschrieben, dass das alte Ägypten über lange Zeit das fortschrittlichste Land war, das sich grossen Wohlstand erwarb. Das Land am Nil hatte sich zu einer blühenden Kornkammer entwickelt. Die Grundlage für diese Entwicklung war dennoch nicht das Geld, sondern es waren die Banken. Das waren grosse Getreidelagerstätten. Als Empfangsbescheinigung wurden in Ägypten Tonscherben gebrannt, die an jeden ausgegeben wurden, der irgendwann Getreide dort eingelagert hatte. Diese Tonscherben konnten als Geld benutzt werden. Da das eingelagerte Getreide jedoch im Lauf der Zeit teilweise verdarb und eine Lagergebühr erhoben wurde, verloren diese Tonscherben an Wert, d.h. wenn am Tag der Wiedereinlösung das Getreide abgeholt wurde, musste ein Verlust hingenommen werden. So wollte man Tonscherben-Quittungen möglichst bald gegen etwas anderes eintauschen.
So wurden diese Empfangsbestätigungen für alles mögliche benutzt, sie wurden für den Ausbau von Bewässerungsanlagen oder auf andere Weise für Verbesserungen des Ackerbaus investiert. Mit solchen wirtschaftlichen Investitionen hatte sich das Land entlang des Nils zu einer blühenden Kornkammer entwickelt und es heisst, dass Ägypten zu jener Zeit im Altertum der am weitesten fortgeschrittene Staat war. Die Vorstellung von Wertminderung beim Geld hat es also schon lange vor Gesell gegeben.

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Bringt der Besitz von Geld Sicherheit?

Morino: So ist es mit dem Getreide wie mit allen anderen natürlichen Dingen: sie verderben im Lauf der Zeit. Deshalb müsste das Geld eigentlich derselben Logik folgen. Aber irgendwann wurden Dinge verwendet, die praktisch keinem Wertverlust unterworfen sind und dann wurden diese zur Verwendung als Geld gewählt. Da sich der Wert dieser Dinge nicht vermindert, kann man sie beliebig lange aufbewahren. In der ersten Klassengesellschaft, die durch die landwirtschaftliche Revolution entstand, wurden Getreideüberschüsse erwirtschaftet, die man einzulagern begann. Ich denke, dass das verlustlose Geld ins Spiel kam, als sich dieser Vorgang von neuem beschleunigte. Schliesslich wurde das Geld zu einer Sache, die sich von der Natur losgelöst hatte.
Aber nun hat das Geld eine übermässig grosse Macht bekommen. Besonders deutlich wird das heute bei der Globalisierung. Das Geld selbst bringt Geld hervor, die Banken unterliegen zwischen den Staaten einem Wettbewerb um Einlagen und erzeugen auf der Basis von Vertrauen Geld. Weitere Ableitungen dieses Vorgangs nach der Hebeltheorie haben das Geld ausserordentlich anschwellen lassen. Im Ergebnis bewegt sich die übermässig angeschwollene Geldmenge als Investitionskapital auf einem grenzenlosen Kapitalmarkt zwischen den Staaten.
Wenn wir über die Auswirkungen dieser Vorgänge sprechen, sehen wir, dass in Amerika eine hervorragende Konjunktur herrscht. Seit etwa zehn Jahren befindet sich die Wirtschaft auf höchstem Niveau. Aber selbst in diesem fortgeschrittensten Land Amerika sind über eine Zeitspanne von 30 Jahren die Realeinkommen der mittleren und niedrigen Einkommen nicht angestiegen. Der in diesen 30 Jahren geschaffene Reichtum kam allein den Beziehern hoher Einkommen zugute. Dadurch entstand ein gewaltiger Unterschied bei den Einkommen.
Dieser Vorgang betrifft den ganzen Erdball. Die Bevölkerung auf der Erde ist auf sechs Milliarden angewachsen, aber etwa die Hälfte der Menschen lebt an der Hungergrenze. Im gleichen Mass wie sich das Geld von der Natur entfernte, hat es letztlich eine Gesellschaftsstruktur hervorgebracht, die den Menschen das Leben schwer macht. Die Zahl der Menschen wächst jedoch heute, die auf diese Zusammenhänge aufmerksam werden.

Kudô: Und an diesem Punkt richten sie ihre Aufmerksamkeit auch auf die Lokalwährungen, die zum internationalen Kapitalmarkt keinerlei Beziehung haben.

Morino: In den Lokalwährungen versuchen die Menschen, wie vorher schon erwähnt, zu dem Reichtum zurückzukehren, der von der Natur und den Menschen kommt und das Ziel ist, diesen Dingen wieder die gebührende Wertschätzung entgegen zu bringen. Denn von allem Anfang an haben sich die Menschen solidarisch verhalten. In Frankreich und anderen Ländern werden Lokalwährungen, Tauschringe etc. als solidarische Wirtschaft bezeichnet. An diesem Punkt beginnt auch die erneute Auseinandersetzung mit Formen der Genossenschaft und es wird diskutiert, ob solche Formen der Solidarwirtschaft nicht wieder belebt werden sollten. Diese Diskussion wird in Europa sehr ernsthaft geführt.
Schliesslich werden die Menschen von Geld allein nicht glücklich, wieviel davon sie auch immer anhäufen. Kein Geld zu haben, bringt allerdings auch Schwierigkeiten mit sich. (Lachen) Da die Menschen kein hundertprozentiges Vertrauen in andere Menschen haben und die Zukunft ungewiss ist, muss man sich auf das Geld, das man besitzt, verlassen können. Aber da die Zukunft ungewiss ist, wäre zu fragen, ob es eine wirkliche Sicherheit bringt, wenn man viel Geld anhäuft und auch dies erscheint nicht hundertprozentig zuverlässig. Wenn daher auf der einen Seite nur 50% Vertrauen besteht und es auf der anderen Seite nichts gibt, dem man ebenfalls 50% Vertrauen schenken kann, dann herrscht kein Gleichgewicht. Das Geld, das gegenwärtig in Japan kursiert geniesst kein 100%iges Vertrauen, deshalb tragen alle so einen verbitterten Gesichtsausdruck zur Schau. (Lachen)
Das Geld ist sicher ein universales Hilfsmittel, aber wenn die Frage lautet, ob Vertrauen käuflich sei, dann muss dies verneint werden. Menschliche Solidarität oder Kontakte von Herz zu Herz können nicht gekauft werden. In der Welt des Yen können keine Lösungen gefunden werden und wenn es daneben keine zweite Welt gäbe, in der Lösungen möglich sind, dann ginge unsere Zeit keiner guten Zukunft entgegen.

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Gesell und Miura Baien

Kudô: Der Ursprung des Wortes Ökonomie geht auf Aristoteles zurück, der damit eine Verwaltung zur Aufrechterhaltung einer Gemeinschaft bezeichnete, und die sich auf den Gebrauchswert von Produkten und den Austausch bezog. Das Wort ist zusammengesetzt aus oikos und nomos und bedeutet so viel wie Haushaltungskunst". Obwohl das Geld als Hilfsmittel zur Vollendung dieses Zwecks entstand, wurde die Geldherstellungstechnik zum Selbstzweck und die Vermehrung des Geldes um seiner selbst willen begann um sich zu greifen. Im Ergebnis ist zu beklagen, dass die Menschen die Technik der Geldherstellung selbst als Wirtschaftskunst missverstanden haben und genau darauf spitzen sich die heutigen Probleme zu.

Morino: Während der Edo-Periode (1603-1868) lebte der Denker namens Miura Baien* (1723-89), der ein Buch mit dem Titel Grundlagen des Preises" (Kagen) schrieb. Es fiel mir zufällig in die Hände und als ich es las, überraschte mich die ungewöhnliche Übereinstimmung mit der Lehre Gesells. Er schrieb nicht über ein Schwundgeldsystem, aber seine Lehre lässt sich auf das gegenwärtige Ausufern des internationalen Kapitals beziehen.
Miura Baien spricht vom Geist des Geldes" (senshin), was bedeutet, dass das Geld letztlich seinen eigenen Geist hervorgebracht hat. Gesell hat dieselbe Sache gemeint, als er vom Gott der Gier" sprach. Das Geld hat keine Beine. Es hat keine Beine und daher fliegt es. Und wenn man den internationalen Kapitalmarkt betrachtet, ist es erkennbar: es bewegt sich nicht zu Fuss, sondern es fliegt. Das Geld hat sich vom natürlichen Masstab losgelöst und folgt der Logik des Geldes. Die Folge ist, dass der Masstab der Natur und der des Menschen verletzt wird.
In der Währungskrise von 1997, die in Thailand begonnen hatte, wurde das deutlich. Ausländische Investoren, die zur Wirtschaft des Staates keinerlei Beziehung haben, können sich ebenso schnell bloss aufgrund eines Gerüchtes wieder verflüchtigen. Das reine, substanzlose Geld bewegt sich auf dem Kapitalmarkt und Menschen, die all ihre Kraft einsetzen, erleiden immensen Schaden. Genau das ist der Geist des Geldes, der Gott der Gier, der den Eindruck vermittelt, als könne er fliegen.
Baien spricht deshalb auch von der Macht des Geldes (senken). Gesell benutzte dasselbe Wort, auch er sprach von der Macht des Geldes (kahei no seiryoku). Da sich das Geld nicht vermindert, wenn man es besitzt, will es jeder haben. Wenn dies geschieht, bekommt der Geldbesitzer Macht. Daher sind es die Reichen, die die Macht ausüben. Letzten Endes kann man aus Baiens Worten herauslesen, dass das Geld ein Transportmittel wie ein Boot oder ein Wagen ist und dieses Denken teilt er mit dem von Gesell oder den Lokalwährungen, wo Geld als etwas gesehen wird, das etwas transportiert. Da nämlich die ursprüngliche Aufgabe des Geldes die Vermittlung von Austausch ist, ist es nur für diesen Zweck zu gebrauchen. Die Nützlichkeit besteht darin, dass die Menschen, die darüber verfügen, Sachen oder von Personen angebotene Dienstleistungen untereinander austauschen können. Diese Rolle erfüllt es sehr gut. Es ist erfreulich, dass es in der Edo-Zeit bereits jemanden gegeben hat, der diese Gemeinsamkeiten mit den Lokalwährungen oder dem Denken von Gesell dargestellt hat.

Kudô: Wenn man das Kapital-System vom Blickpunkt der Gerechtigkeit aus sieht, kommt man vielleicht zu ganz ähnlichen Schlussfolgerungen. Die Idee der Lokalwährung ist schliesslich, dass sie nicht wie das Kapitalsystem Zinsen hervorbringt, sondern bestrebt ist, zu einem ursprünglichen Tauschsystem zurückzukehren, in dem in vielfältiger Weise Dinge ausgetauscht werden können.

Morino: Ja, es ist die Wiederbelebung einer alten Tauschform, ein vielfältiges Austauschsystem. In der alten europäischen Geschichte gab es einmal einen Tempel des Handels. Überschüssige Dinge wurden alle in den Tempel gebracht. Zwischen zwei Personen allein ist der Austausch schwierig. Im Tempel wurden die Dinge vorübergehend den Göttern dargebracht. Aber da die Götter nichts konsumieren, konnte ein anderer die geopferten Dinge bekommen, die er gerade benötigte. Und da dies im Tempel vor sich ging, wo die Götter zusahen, waren keine Mogeleien möglich. Jeder erhielt die seiner eigenen Opfergabe entsprechende Sache. So könnte man sagen, dass auf diese Weise der Austausch von Dingen zwischen den Menschen ermöglicht wurde.
Die Lokalwährung ist ein ganz ähnliches System. Da man heute auf elektronischem Wege Handel treiben kann, ist die Plus-Minus-Verrechnung ganz einfach geworden. In diesem Fall kann man innerhalb des Systems auch ohne Geld ein systemeigenes Geld selbsttätig herausgeben und benutzen. Auf dem eigenen Konto entsteht ein Minusbetrag. Wenn man dann einem anderen eine gewünschte Dienstleistung erbringt, wird dies mit einem Pluseintrag verrechnet. Dies ist die Besonderheit bei den Lokalwährungen oder Tauschringen.
Die auf Solidarwirtschaft beruhenden Organisationen oder Genossenschaften agieren innerhalb der staatlichen Währung, deshalb kann man nicht darin teilnehmen, wenn man kein Geld besitzt. Aber da man in der Lokalwährung keine Yen benötigt, kann man auch teilnehmen, wenn man nichts besitzt. Die Leute, die sich am Anfang einbringen, indem sie etwas kaufen, werden respektiert. Wenn jemand damit beginnt, etwas zu kaufen, erhält der Verkäufer einen Pluseintrag auf seinem Konto und da er nun eine Leistung fordern kann, kann er seinerseits etwas kaufen.
Bislang war es so, dass erst jemand Geld besitzen musste, um die Macht des Geldes anzuwenden und Leistungen zu beanspruchen. Das besondere Merkmal bei den Tauschgeschäften ist jedoch, dass auch jemand, der kein Geld hat, Leistung in Anspruch nehmen kann.

Redaktion: Darin liegt doch auch die gegenseitige Hilfe.

Morino: Es muss die ursprüngliche Rolle des Geldes gewesen sein, diesem Zweck zu dienen und zu dieser Funktion wollen wir wieder zurückkommen.

Kudô: Beim Gipfeltreffen auf Okinawa im Juli war es ein grosses Thema, wie die Schulden der Entwicklungsländer verrechnet werden können. Es gab Überlegungen, wie die Entwicklungsländer trotz der hohen Schuldenlast, die sie im Lauf der Zeit angehäuft haben, möglichst schnell eine Wirtschaft der fortgeschrittenen Länder entwickeln können, gewissermassen nach dem Muster von Europa oder Amerika. Von seiten der fortgeschrittenen Länder wurde auch das europäisch-amerikanische Modell vorgeschlagen, das auf der Unterstützung mit Technologie und Kapital beruht. Am Ende erscheint der Erfolg solcher Pläne fraglich, da es viele Länder gibt, deren Schuldenlast bereits so gross ist, dass sie die Schulden selbst nicht mehr zurückzahlen, sondern nur noch die Zinsen für die Schulden bedienen können.
Eine Entwicklung nach diesem europäisch-amerikanischen Modell würde sich auf Massnahmen von aussen stützen, wobei versucht wird, die Entwicklung durch Einführung von Bodenschätzen und Kapital zu planen. Von Leuten, die die beschränkten Möglichkeiten einer solchen Vorgehensweise erkannten, wurden entgegengesetzte Ideen vorgebracht, die eine Entwicklung von innen heraus betonen. Im Gegensatz zur Forderung des Modells, dass irgendwelche Dinge von aussen beschafft werden müssen, die in den Entwicklungsländern nicht vorhanden sind, gehen diese Ideen davon aus, dass die eigenen Dinge wie natürliche Bodenschätze auch mit der eigenen Kultur und Geschichte übereinstimmen und deshalb zusammen mit der Kultur ausgewertet werden sollten.
Die ursprünglichen Begriffe der Entwicklungs- und Erschliessungstheorien für die Entwicklungsländer von innen heraus treffen tatsächlich auch auf die fortgeschrittenen Länder selber zu. In Japan gibt es viele Verkaufsstrassen in den Regionen, die nach dem Tokyoter Modell gestaltet sind. Auf irgendeine Art wurde versucht, die Ginza nachzubauen und so durch Übernahme der Tokyoter Kultur die Entwicklung zu fördern. Doch die Entwicklung der Regionen unterscheidet sich von der Tokyoter Kultur, deren Geschichte und ihren Bedingungen der natürlichen Umgebung. Nun kommt auch in den Regionen das Denken auf, dass die dort vorhandenen Dinge zum Leben erweckt werden sollten. Hier und da wird in den aufstrebenden Regionen auch schon das Wort von der Entwicklung von innen heraus benutzt.
Von den Entwicklungsländern, bei denen eine Entwicklung von innen heraus bereits praktisch begonnen hat, habe ich den Eindruck, dass in sehr vielen Fällen Lokalwährungen eine grosse Rolle dabei spielen.

Morino: Tatsächlich beschäftigen sich gerade die Entwicklungsländer besonders lebhaft mit den Lokalwährungen. Bis jetzt hat Japan auch nur Entwicklungshilfe-Darlehen (ODA - Official Development Assistance) an verschiedene Länder gegeben.

Kudô: Der Betrag dieser japanischen Entwicklungshilfe ist der höchste in der Welt.

Morino: Aber wenn man davon spricht, was das eigentlich alles mit sich bringt, dann fallen den meisten Menschen nur die Schulden ein. Ursprünglich denkt niemand an die Zinsen und alle versuchen, Geld zu leihen. Die Folge ist, dass z.B. in Südostasien viele Bauern die Sklaven ihrer Schulden geworden sind. Deshalb ist es an der Zeit, das Modell erneut zu überprüfen, wie denn die eigene Entwicklung gefördert werden soll, wenn das Kapital von aussen kommt. An diesem Punkt wird die Auseinandersetzung mit Methoden wie den Lokalwährungen unumgänglich, weil sie die Entwicklung fördern, indem der eigene Reichtum in der Region zirkuliert.

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Die Gesundung der Region zurückrufen

Morino: Ich möchte das Gespräch nun auf Chiba und die Peanuts" zurückbringen. Da die Lokalwährungen die Solidarität zwischen den Menschen erneuert, ist die Teilnahme für jeden erfreulich. Der Gesichtsausdruck der Menschen verändert sich. Manche Leute fragen, was man tun kann, wenn in der Lokalwährung jemand etwas Schädliches tut. Aber solche Dinge passieren vor allem in der Welt des Yen. Wenn jemand in einer bestimmten Region etwas stehlen würde, könnte er es woanders nicht verwenden und in seiner eigenen Region kann er es nicht benutzen, weil man ihn kennt. Wenn die Menschen Schatten haben, dann haben sie auch Sonnenseiten. In den heutigen Lokalwährungssystemen die Schattenseiten hervorzukehren, ist nicht leicht. In den Tauschringen zeigen sich nur die Sonnenseiten. (Lachen)
In den Lokalwährungen gilt das Wort vom Gewinner - Gewinner". Niemand verliert dabei. Im heute bestehenden Geldsystem muss es Gewinner und Verlierer geben. Ich denke, dass man in einer Welt, in der Gewinner und Verlierer so scharf voneinander getrennt sind, nicht gut leben kann. In der Welt der Lokalwährungen ist mein Vorteil auch der Vorteil aller anderen Teilnehmer. Es macht auch einen grossen Unterschied, ob man eine Welt kennt, in der man wirklich erfahren kann, dass Menschen nicht aufgegeben werden.
Auch wenn mit den Peanuts" von Chiba o.ä. der Handelsumsatz in einem Laden nur 5% in Lokalwährung ausmacht, entsteht zwischen Kunden und Ladenbesitzer, die sich vorher nicht kannten, eine Beziehung, die auf der Gemeinsamkeit der Region beruht. Wenn sie dann miteinander handeln, begrüssen sie sich mit Händedruck und nennen sich Freunde - Amigos". (Lachen) Alle, die da mitmachen möchten, werden Mitglied in dem Kreis.
Auf diese Weise gehen in der Region, in der sich die Menschen bisher gegenseitig nicht beachtet haben, grosse Veränderungen vor sich. Die Leute in den Geschäften bekommen das Gefühl, dass der eigene Laden auch wirklich ein Teil der regionalen Gesellschaft sein kann und am Ende erhöht sich sogar der Umsatz in Yen-Währung. Der Laden, der Peanuts" annimmt wird zu einem Bekannten, es entsteht eine Vertrautheit. Es entsteht ein gutes Gefühl zwischen den Menschen, wenn sie die Hände schütteln und sich Amigos nennen. Es ist ein gutes Gefühl, sich überall gegenseitig wertzuschätzen, sich gegenseitig anzuerkennen und sich gegenseitig auf gleicher Ebene zu behandeln. Wo dies nicht so ist, wird das Leben den Menschen schwer.

Redaktion: Es wäre sicher wünschenswert, wenn Versuche mit Lokalwährungen als Mittel zur Belebung der Region unternommen würden. Andererseits ist aber auch die Yen-Wirtschaft notwendig.

Morino: Deshalb sagen wir, dass eine gut funktionierende Wirtschaft aus Yin-Wirtschaft und Yang-Wirtschaft besteht. Im menschlichen Körper ist es das Gleichgewicht zwischen den Nerven des Sympathikus und des Parasympathikus, das erst das ganze Leben ermöglicht. Die bestehende Wirtschaft ist jedoch nur als Yang-Wirtschaft konzipiert. In der Yang-Wirtschaft kann man sich vielleicht niemals eine Mittagsruhe gönnen. Aber der Mensch ist nichts Absolutes. Er wird dann seltsam.
Wenn es für die Yin-Wirtschaft keine lokale Gesellschaft gibt, wo sie zu arbeiten beginnen kann, dann gibt es auch keine normale Wirtschaftstätigkeit, die sich mit aller Kraft entfalten kann. In diesem Sinne kann man die Lokalwährung als ein Modell für die Yin-Wirtschaft verstehen. Aber auch eine hundertprozentige Yin-Wirtschaft entspricht nicht der Natur des Menschen und wäre eine hässliche Sache. Der Mensch hat auch einen Drang aus der Gemeinschaft herauszukommen und er will sich frei bewegen. Wenn es jedoch nur eine Yin-Wirtschaft gäbe, könnte er nirgends hingehen, er könnte sich nicht bewegen. Das wäre bestimmt ein Unglück. Die Yin-Wirtschaft und die Yang-Wirtschaft müssen ineinandergreifen und so wie das Blut im Körper zirkuliert, sollte auch das Geld in der Wirtschaft zirkulieren. In der japanischen Wirtschaft zirkuliert das Geld heute nicht mehr. Die Japaner wissen jetzt sehr gut, was das bedeutet Geld bewegt die Welt". Ursprünglich war das Geld keine Sache, die gehortet wurde, sondern umlaufen sollte.
Wenn man heute durch die Geschäftsstrassen kleiner Städte auf dem Land geht, gähnt einem die Leere entgegen, kein Mensch ist unterwegs. Die Rolläden der Geschäfte sind selbst am Sonntag überall heruntergelassen. Alle, die irgendwo Einkäufe machen wollen, müssen 30-40 Minuten mit dem Auto zum nächsten Grosseinkaufszentrum fahren. Dort kaufen sie dann z.B. abgepackte Milch in Tüten. Aber wenn sie nach Hause zurückkehren, wäre in der Nachbarschaft eine Molkereifarm gewesen. (Lachen)
Solch eine Szenerie kann überall entstehen.
Soviel man in einer Region mit grösster Anstrengung auch verdienen kann, schliesslich fliesst alles in den Geldbeutel des ganzen Landes, es fliesst in Richtung Tokyo oder ein anderes grosses Zentrum. Wenn ich reich werden will, gibt es daher nur eines: Die Ausgaben sollen das Einkommen nicht übersteigen".
Das ist eine alte Weisheit der Japaner. Einkommen erzielen kann man in jeder Region. Man setzt seine ganze Kraft ein und siedelt Fabriken oder dergleichen an. Aber es gelingt nicht, die Ausgaben auf der Höhe des Einkommens zu halten. Die selbst erworbene Kaufkraft fliesst schnell woanders hin. Man fährt 30 Minuten zum nächsten Einkaufszentrum, um einen Kohlkopf zu kaufen, während es einfacher wäre, zu Fuss zur nahen Einkaufsstrasse zu gehen und den Kohlkopf beim Lebensmittelhändler zu kaufen. Dort kann man sich mit dem Verkäufer unterhalten, und selbst wenn der Preis 10 oder 20 Yen höher ist, verbleibt das zirkulierende Plus am Ort. Die Rechnung, dass nach Abzug der Benzinkosten zum Einkaufszentrum immer noch 5 Yen billiger eingekauft wurde, macht uns schliesslich doch noch arm.

Kudô: Mit der Lokalwährung werden sich die Verbrauchergewohnheiten in den kleinen Städten ändern.

Morino: Die Lokalwährung ist die wichtigste Methode, um eine synthetische Neugestaltung der Städte zu erreichen, aber ohne die Initiative der Bürger wird das nicht gut gehen. Es muss auch einige Non-Profit-Organisationen (NPO) geben, die neben ihren vielfältigen Aufgaben eine passende Lokalwährung in der Region einführen. Ich denke, das ist sehr wichtig.

Kudô: Im Gespräch haben Sie vorhin erwähnt, dass das Leben für die Menschen schwer wird, wenn sie keinen Ort haben, wo sie als ganze Menschen wertgeschätzt werden. Eine Organisation, in der diese Wertschätzung gilt, muss aber von den Bürgern selbst gestaltet werden, nicht wahr?

Morino: Ja. Wo eine Lokalwährung benutzt wird, beteiligen sich die Menschen als ganze dabei. In der jetzigen Gesellschaft gibt es kaum einen Ort, wo ein Mensch als ganzer wertgeschätzt wird. Das Bedürfnis nach einem solchen Ort, wo ein Mensch ganz angenommen wird, ist jedoch sehr gross. In der Schule, in der örtlichen Gesellschaft, in der Familie. Wenn Freunde der Lokalwährung beitreten, bekommen sie alle einen guten Gesichtsausdruck. Wer als ganzer Mensch wertgeschätzt wird, freut sich darüber.
In der Welt des Yen kann kein menschliches Gefühl aufkommen, aber in der Lokalwährung ist das möglich. Schliesslich betrachten sich die Menschen als gleichwertig und das entstehende Vertrauen und gegenseitige Wohlwollen bildet dann die Grundlage für eine Kultur, deren Leistung ihr zum Lob gereicht.

Kudô: Nun haben wir also einen Anhaltspunkt gefunden, in welche Richtung sich die japanische Gesellschaft wohl verändern wird.

 


 

(Übersetzung aus dem Japanischen: Robert Mittelstaedt)
 



Anmerkung des Übersetzers:

* Miura Baien war ein Naturphilosoph, der 1723-1789 lebte. Sein Hauptwerk "Gengo - Tiefe Worte" ist bislang das einzige, das in eine westliche Sprache übertragen wurde. In zehnjähriger Arbeit hat die neuseeländische Japanologin Rosemary Mercer dieses Buch übersetzt. Von KAGEN - Grundlagen des Preises", das im Text erwähnt wurde, ist eine Übersetzung ins Englische in Vorbereitung.

Deep Words. Miura Baien's System of Natural Philosophy. Translation and Philosophical Commentary by Rosemary Mercer. Leiden (NL) 1991, E. J. Brill (Verlag) ISBN 90 04 09351 6
 


 

   
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