Und jetzt also das Internet.
An der Vergabe knapper Frequenzen in der Luft wie im Kabel hing und
hängt bisher die Medienaufsicht. Zwar kann ich die Erwartung nicht
teilen, daß mit digitaler Datenkompression das Ende der Knappheit
eintreten wird. Dennoch werden sich die Knappheiten verschieben: Knapp
wird künftig (wie auch heute schon) Bandbreite sein, also die
Kapazität, Datenmengen in gegebener Zeit durch digitale,
paketvermittelte Netze zu schaufeln. Früher oder später wird ein
bestimmter Teil des Frequenzspektrums im vorhandenen
Breitband-TV-Kabelbaum für paketorientierte Datenübertragung
geräumt werden.
Sobald dem Endnutzer auf diese Weise zwei MHz (also known as 2
MBit/s) zur Verfügung stehen und die Backbones dahinter den
entsprechenden Datenverkehr vertragen, kann mit der Übertragung von
Fernsehen in Echtzeit über Internet begonnen werden. Und das wird
passieren, früher oder später. Denn das derzeitige
Nutzungsmodell der teuren Kuperkabel ist eine gigantische Verschwendung
von Bandbreite. Mit RealAudio
steht heute bereits eine Technik
zur Verfügung und im Gebrauch, die Radio in Echtzeit
überträgt. Ob DAB hier übrigens noch Chancen hat, kann ich
nicht beurteilen. Ob, wie und wann dann auch Abruffernsehen (also
known as "video on demand") durch die Internet-Kanäle rauschen
wird, ist von diesem Zeitpunkt an nur noch eine Frage der
server-Techniken, nicht mehr der Netzbandbreite.
Medienregulierung kann dann also nicht mehr an der Frequenzknappheit ansetzen. (Für den Satellitenmarkt gilt das heute schon, hier hat Astra praktisch für Mitteleuropa die frequenzvergebende Rolle der Medienanstalten übernommen.)
Mit solchen Verbreitungstechniken schwindet auch die Bedeutung regional begrenzter Ausstrahlung. Oder andersherum: Es schwindet die regionale Begrenzung, wiederum umgekehrt proportional zur Vergrößerung der Bandbreite auf den Fernstrecken. Was künftig in irgendeinem internet-technisch hinreihend angebundenen Land dieser Erde zugelassen ist, kann überall dort empfangen werden, wo die Netzbandbreiten hinreichen. Damit werden Medienpolitiker noch viel Freude haben.
Wer will mich dann hindern, mein Fernsehprogramm aus den USA zu beziehen? Wer will Fernsehveranstalter daran hindern, ihr Programm aus einer Art "Daten-Schweiz" auszustrahlen?
Bund und Länder, Medien- und Technologie-Politiker streiten mit Verve über den Rundfunkbegriff: Was ist Rundfunk, lautet die Frage, was liegt also im Kompetenzbereich der Länder? Ist Fernseh-Einkauf (also known as teleshopping) noch Rundfunk im Sinne des Rundfunkstaatsvertrages? Ist Heim-Bankverkehr (also known as homebanking) Rundfunk? (Ob schon jemand gefragt hat, ob Internet Rundfunk ist, weiß ich leider nicht.)
Hinter diesem Streit steht die Absicht, eine Regulierungsform zu retten, die von Ab- und Auflösung bedroht ist. Das ist an sich nicht unehrenhaft, könnte aber angesichts der oben geschilderten Tendenzen alsbald ins Leere laufen. Es würde sich vielmehr lohnen, um die Ziele medien- und kommunikationspolitischer Regulierung zu streiten und um Wege zu ihrer Realisierung im digitalen Zeitalter. Denn die Ziele sind ja keineswegs durch die Bank obsolet.
Machtlagen werden immer komplexer. Das Medienrecht und die Medienaufsicht waren schon den vergleichsweise überschaubaren Machtlagen des "Dualen Systems" kaum gewachsen. Für die Zusammenballungen von Produktion und Programmierung in den Händen einiger waren beide systematisch blind. Wenn der Tel*kom und ihren Töchtern demnächst ihre "natürlichen" Monopole im Netzbereich genommen werden, läßt sich auch noch die Medien-Distribution unter medienwirtschaftliche Kontrolle bringen. Das Verbot der Media-Service-GmbH durch die Brüsseler EU-Kommission muß da gar nicht unbedingt zuversichtlich stimmen.
Sollte Leo Kirch die Möglichkeit bekommen, das Berliner TV-Kabelnetz mit seinen 1,1 Millionen Haushalten zu kaufen? Oder ist die Aussicht viel bedrückender, daß demnächst die Tochter eines der drei deutschen Stromriesen dieses Geschäft in die Hand nimmt? Letzteres ist gar nicht unwahrscheinlich, plant die Veba-Tochter Vebacom doch die Vermarktung digitaler Distributionsdienstleistungen ebenda. (Die medienrechtlichen Entscheidungen sollen im Medienrat der MABB in den kommenden Wochen fallen.)
Dieses Thema stellt sich also neu und ganz anders. Ich halte es für keineswegs ausgemacht, daß in der vertikalen Integration (vulgo Konzentration) das kommerzielle Heil liegt. Vertikale Konzentration ist eine Strategie in Zeiten des Mangels. Sollte es aber so sein, daß wir einer Zeit des (relativen) Überflusses an Medieninhaltsproduktion, Medieninhaltsformation (vulgo Programmen) und Mediendistributionskanälen (vulgo Bandbreite) entgegengehen, wo liegt dann noch der Vorteil, alles in einer Hand zusammenzufassen?
Gleichwohl dürfte es zu solchen Konzentrationsprozessen kommen, und ich halte es für sinnvoll, hier einen ordnungsrechtlichen Riegel vorzuschieben. Wo genau die Trennungslinien gezogen werden, darüber wäre noch zu streiten. Der Forderung, die in der Abschlußerklärung dieser Tagung (Fassung vom 14.01.96) erhoben wird, kann ich mich jedenfalls anschließen:
Die Betreiber von Netzwerk-Infrastrukturen und andere technische Dienstleister, von denen Programmanbieter für die Verteilung ihrer Dienste und Programme abhängig sind, dürfen nicht selbst als Anbieter solcher Leistungen auftreten.
Es wird Zeit, die beiden Topoi zusammenzuführen. Unter dem Techno-Paradigma Internet wird es darauf ankommen, den Zugang zu den großen pipelines für Jedermann zu sichern. Dieses Thema wird, wenn auch weniger unter Internet-Aspekten, zur Zeit unter dem Stichwort "Universaldienst" im Entwurf für ein Telekommunikationsgesetz bearbeitet.
Besonders in der bundesdeutschen Debatte scheint hingegen die Umstellung auf das many-to-many künftiger (Medien-)Kommunikation (noch?) nicht angekommen zu sein. So wird der Netzzugang häufig als digitale Einbahnstraße mit schwach ausgeprägtem Rückkanal gedacht. Es könnte sinnvoll sein, das Leitbild des many-to-many in Telekommunikations- und Mediengesetzgebung zu verankern.
Nebem den Zugangsfragen bleibt weiterhin die Frage nach public
service-Angeboten virulent. Die Aufgabe der
öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, der Bevölkerung eine
Grundversorgung mit Information und Unterhaltung zu sichern,
bleibt nicht nur bestehen, sie stellt sich auch für die neuen
Datenströme in globalen Netzwerken. Zur Zeit sichert der Sog, den das
Internet ausübt, einen modus vivendi des content is
free. Auf dieser Entwicklungsstufe befinden sich auch die
herkömmlichen elektronischen Medien. Ob es überhaupt gelingt,
eine Struktur des what-you-pay-is-what-you-get (WYPIWYG)
zu etablieren, ist mindestens fraglich.
In jedem dieser Fälle jedoch werden öffentlich-rechtliche content provider benötigt: Ob der Werbemarkt oder ein Kundenmarkt die Angebote refinanziert - es wird immer Inhalte geben, die nicht marktfähig sind, die eine Gesellschaft aber trotzdem kommunizieren will und muß. (Bei Lichte besehen ist übrigens auch der jetzt gern als Referenz herangezogene Printbereich nicht völlig den rohen Marktkräften überlassen: Man denke nur an kirchliche oder universitäre Printerzeugnisse.)
Ob es gleich eine "duale Informationsordnung" (Kubicek) geben muß, ist dabei eine offene Frage. ("Welches sind überhaupt grundlegende Informationen, für deren Verteilung die öffentliche Hand die Verantwortung übernehmen sollte, und wer darf dies festlegen?" - Eckwertepapier der SPD-Bundestagsfraktion )
Ob es in diesem Szenario weiterhilft, über den Rundfunkbegriff zu
streiten, weiß ich nicht. Man könnte ja auch offen über
Macht-, Zugangs- und Inhalts-Fragen debattieren. Ob es dagegen
weiterhilft, sich auf § 2 Abs. 1 des Rundfunkstaatsvertrages zu
berufen, bezweifle ich.
Wenn sich Bund und Länder nicht über die Kompetenzverteilung einigen können, dann wird demnächst sicherlich ein dreizehntes, vierzehntes oder fünfzehntes Karlsruher Rundfunkurteil notwendig werden. Vielleicht muß die überbordende Komplexität erst höchstrichterlich reduziert werden, bevor sie im politischen System weiterverarbeitet werden kann.
Der Titel meines kurzen Statements, erfunden übrigens von Rainer Rilling, ist wenig originell. Interessanterweise hielt ausgerechnet der "Zukunftsminister" Jürgen Rüttgers einen ganz ähnlich betitelten Vortrag vor der Alfred-Herrhausen-Gesellschaft ("Politikfähigkeit medial bestimmter Demokratien"). Rüttgers macht sich gerade daran, ein "Multimedia-Gesetz" zu entwerfen, das eine Art Bundesmedienrechtsrahmengesetz werden könnte. Damit gerät er zwangsläufig in Kompetenzkonflikte mit den Ländern, erste Proteste hat es bereits gegeben. Diese Gesetzesinitiative soll mit der anstehenden Neuregulierung der Telekommunikation wenn nicht verknüpft, so doch synchronisiert werden. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck, der auch der Rundfunkkommission der Länder vorsitzt, nannte auch die Novellierung des Rundfunkstaatsvertrages in diesem Zusammenhang (epd/Kifu 1/1996). Wir werden sehen, wohin das führt. Interessant daran ist jedenfalls das erste deutliche Anzeichen dafür, daß die beiden Politikfelder nicht länger völlig getrennt behandelt werden.
From: UZS106@ibm.rhrz.uni-bonn.de (Heiko Recktenwald) Newsgroups: de.soc.netzwesen Subject: Re: Staatsanwaltschaft vs. Compuserve Date: Thu, 04 Jan 96 02:33:47 MEZ Message-ID: <177042414S85.UZS106@ibm.rhrz.uni-bonn.de>
Alle Welt sagt, das Internet kann man nicht zaehmen und die Bayern sagen, frei nach William S. Borroughs (The electronic revolution): Machen wir doch einfach mal ein Experiment:)
In bester medienpolitischer Tradition der inhaltlichen Kontrolle befanden sich Compu$erve und Münchner Staatsanwaltschaft, als Compu$erve das Anraten der Staatsanwälte falsch verstand und zum Jahreswechsel weltweit über 200 Usenet-newsgroups sperrte. Dies hat sofort an die legendären bayerischen Separat-Programme in der ARD erinnert, in gewisser Weise auch an Edmund Stoibers Attacken auf die ARD. Doch aller Wahrscheinlichkeit nach kann dieses Thema unter dem Posten bayerischen Brauchtums und Folklore abgebucht werden.
Solche Versuche, die technisch verlorengehende Möglichkeit zu
inhaltlicher Kontrolle und Zensur zu re-implementieren, dürfte es
noch öfter geben. (Siehe auch Exon-Bill.
Der Kontrollimpetus der Medien- und Kommunikationspolitik läuft ins
Leere. Der Regulierungsimpetus wird dagegen immer wichtiger. Wenn es das
ist, was Wolfgang Hoffmann-Riem mit "Regulierung der
Selbstregulierung"
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