Medialist 25.97: Einkaufstrubel

Martin Recke (mr94@prenzlnet.in-berlin.de)
3 Jun 1997 14:07:44 GMT

Medialist 25.97: Einkaufstrubel
Hgg. von Martin Recke

        Themen dieser Ausgabe:
        - Thomas Kirch übernimmt Hundert,6
        - Neue Geldgeber bei FAB in Sicht
        - Puls TV geht in Gesamtvollstreckung


Thomas Kirch übernimmt Hundert,6 -- Neustart zur Funkausstellung --
Gafron kündigt Fernsehen an

Der Berliner Radiosender Hundert,6 ist vollständig von Thomas Kirch
übernommen worden.  Der Sohn des Münchner Medienkonzernherrn Leo
Kirch, der sich bereits Anfang des Jahres mit 40 Prozent beteiligt
hatte (Medialist 2.97), erwarb nun auch die Anteile seiner drei
Mitgesellschafter Erich Marx, Klaus Groenke und Georg Gafron.  Dies
teilte Erich Marx, einer der Gründer von Hundert,6, auf einer
Pressekonferenz am 29. Mai in Berlin mit.

Marx räumte indirekt ein, daß die mittelständischen Eigentümergruppe
gescheitert sei:  "Wir haben geglaubt, Unterstützung von vielen Seiten
zu finden", so Marx wörtlich.  "Dies erwies sich als Trugschluß." Nur
Unternehmen mit einem Konzern im Rücken seien am Berliner Radiomarkt
standfest genug, folgerte Marx, der deutliche Distanz zum derzeitigen
Senderkonzept erkennen ließ:  Es entspreche nicht mehr dem
Grundgedanken der Hundert,6-Gründer, wenn das Radio sich den anderen
Sendern anpasse.  "Wir wollen keinen Sender haben, der seine Hörer mit
Gewinnspielen anlockt."

Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) hat der Übernahme bislang
nicht zugestimmt.  Die Station sei mit der Medienanstalt im Gespräch,
sagte dazu Hundert,6-Geschäftsführer Georg Gafron, der weiterhin Chef
des Senders bleiben wird.  Die MABB hat die Frequenz inzwischen
ausgeschrieben.  Der Ausschreibungsbeschluß des Medienrats datiert
bereits vom 26.  Mai.  Die Kirch-Beteiligung könne "im Rahmen der
bestehenden Sendeerlaubnis nicht genehmigt werden", da der
Medienstaatsvertrag Berlin-Brandenburg eine Übertragung der
Sendeerlaubnis ausschließe, heißt es im Votum des Medienrats.
Hundert,6 kann bis zur Entscheidung des Medienrats den Sendebetrieb
fortsetzen.  

Damit könnten nicht nur Arbeitsplätze gesichert und entwickelt werden,
so die MABB-Entscheidung, es würden auch Chancen auf ein Programm "mit
überdurchschnittlicher journalistischer Qualität" eröffnet, die von
neuen Sendern in der derzeitigen Marktsituation nicht zu erwarten
seien.  Das MABB-Gremium will sich im Rahmen der Ausschreibung an der
Vermutung orientieren, daß die Fortführung von Hundert,6 "mehr
Vielfalt und mehr medienwirtschaftliches Engagement" möglich mache als
ein neu beginnender Veranstalter bieten könne.  Die Frist läuft bis
zum 4.  Juli.  Der Medienrat kommt am 11. Juli zu seiner nächsten
Sitzung zusammen.

Hundert,6-Chef Gafron kündigte am 29. Mai an, den Sender zum Termin
der Internationalen Funkausstellung Ende August neu zu starten.  Vom
derzeitigen Konzept ("Top Oldies -- Top News"), mit dem Gafron vor
neun Monaten angetreten war, will die Station sich verabschieden.
Anknüpfend an das Profil der Anfangszeit des vor zehn Jahren
gestarteten Radios soll das Programm dann mit einem Schwerpunkt
Information ausgestattet werden.  Gafron räumte ein, daß der
"Musikdampfer-Versuch" nicht gelungen sei.  

"Ich sehe im Augenblick nicht, welcher Antragsteller mehr bieten
würde", sagte MABB-Direktor Hege auf Anfrage zum angekündigten neuen
Konzept des Senders.  Die vollständige Übernahme durch Kirch werfe
keine medienrechtlichen Grundsatzprobleme auf: In Berlin und
Brandenburg dürfen nach dem Medienstaatsvertrag Fernseh- und
Radiosender zu hundert Prozent in einer Hand sein.  Auch die
Medienanstalt zieht nach den Worten Heges klare Eigentumsverhältnisse
einer unübersichtlicheren Struktur vor.

Hundert,6 will künftig auch Fernsehen machen: "Wir stellen uns dem
Wettbewerb in allen Bereichen, auch im Bereich der bewegten Bilder",
so Gafron, der sich zu Details nicht äußern wollte.  Der neue
Eigentümer Thomas Kirch ist bereits mit 40 Prozent am Münchner
Ballungsraum-Sender tv.münchen beteiligt.  Bereits vor Monaten gab es
Gespräche eines Kirch-Vertreters mit den Gesellschaftern der Berliner
Lokalstation Puls-TV (Medialist 23.97), die inzwischen in Konkurs
gegangen ist (siehe weitere Meldung in dieser Ausgabe).  "Es könnte
sein, daß wir als Zulieferer damit etwas zu tun bekommen", so Gafron
vage.

"Hundert,6 hat das alte Profil verloren und kein neues Profil
gefunden", sagte FORSA-Chef Manfred Güllner, dessen
Meinungsforschungsinstitut seit acht Monaten an der neuen Konzeption
mitgearbeitet hat.  Den potentiellen Hörern bescheinigte Güllner ein
nach wie vor großes Bedürfnis an Information.  In allen
Bevölkerungsschichten gebe es ein besonderes Interesse am Geschehen in
Berlin.  Das neue Konzept, dessen Einzelheiten Gafron vor dem Start im
August vorstellen will, soll sich vor allem gegen den
gebührenfinanzierten Rundfunk richten:  "Der Gegner ist eindeutig der
öffentlich-rechtliche Rundfunk."  Ein Musikkonzept gebe es noch nicht.

Zum Neustart will Hundert,6-Chef Gafron insgesamt 35 neue Stellen
schaffen.  Im vergangenen Jahr hatte Hundert,6 zwei Drittel der
damaligen Belegschaft entlassen.  Das Medienunternehmen will im
Bereich Nachrichten künftig auch als Agentur auftreten und nach
Angaben Gafrons "sehr günstige" Angebote machen.  Unterschriftsreif
sei ein Vertrag mit dem Berliner Journalistenverband über eine
Zusammenarbeit bei der Journalistenausbildung.  (mr)


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Berlin: Frank Otto, DFA und Investorenfonds wollen bei FAB einsteigen
-- Medienanstalt drängt auf Neuausschreibung

Eine Investorengruppe um den Hamburger Medienunternehmer Frank Otto
will eine maßgebliche Beteiligung am Berliner Regional-TV FAB
übernehmen.  Dies teilte das Fernsehen aus Berlin (FAB) am 27. Mai
mit.  Die Frank Otto Medien-Gesellschaft und die Deutsche
Fernsehnachrichtenagentur (DFA) wollen zusammen mit internationalen
Eigenkapitalfonds insgesamt 47 Prozent des Senders auf dem Wege einer
Kapitalerhöhung übernehmen, hieß es.  Frank Otto und die DFA sind
gemeinsam bereits mehrheitlich am Regionalsender Hamburg 1 (HH1)
beteiligt.

Der MABB-Medienrat lehnte in einem Schreiben an FAB vom gleichen Tage
ab, diese Übernahme im Rahmen der bestehenden Lizenz zu erlauben.  Die
neuen Gesellschafter hätten nicht nur dadurch Einfluß, daß die
Finanzierung künftig allein von ihnen abhänge, die Unternehmensführung
sei auch klar so geregelt, daß den derzeitigen FAB-Gesellschaftern nur
"Minderheitenschutzrechte" eingeräumt würden, kritisierte
MABB-Direktor Hans Hege im Brief an FAB.  FAB wird derzeit überwiegend
von mittelständischen TV- und Filmproduzenten getragen.

Der MABB-Chef hatte bereits Anfang Mai klargestellt, daß auch eine
starke Minderheitsbeteiligung an FAB mit der bestehenden Sendelizenz
nicht vereinbar sei (Medialist 23.97).  FAB legte er nun ein neues
Lizenzierungsverfahren nahe und wies auf den Vorrang hin, den ein
regionales Programm vor der Weiterverbreitung eines überregionalen
Satellitenkanals habe.  Das bisherige Engagement der Altgesellschafter
und deren weitere Beteiligung seien Gesichtspunkte, die ein neu
startender Sender nicht vorbringen könne.

FAB will durch den Einstieg der neuen Gesellschafter die "notwendigen
finanziellen Mittel zum weiteren Ausbau" der Station zum
"wettbewerbsfähigen Lokalfernsehsender" besorgen.  Den
Neugesellschaftern werde "wesentlicher Einfluß" auf die künftigen
Entwicklungen von Programm und Vermarktung gegeben.  Das täglich neu
produzierte Programm von derzeit fünf bis sechs Stunden, die in einem
Rotationssystem wiederholt werden, will FAB durch Nachrichten,
Magazine und Frühstücksfernsehen auf acht bis neun Stunden erweitern.

Die Produktion der neuen Programme soll zum Teil den neuen
Gesellschaftern obliegen.  Die bereits in Berlin vertretene DFA will
dazu ihr Engagement "auch personell wesentlich erweitern", wie es
hieß.  Mit der neuen Struktur bliebe die FAB-Philosophie von "tätigen
Gesellschaftern" erhalten und würden gleichzeitig "strategische
Partner" für die Weiterentwicklung gewonnen.  FAB wies in diesem
Zusammenhang auf die mögliche Zusammenarbeit mit der Hamburger
Fernsehstation HH1 hin.  (mr)


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Berlin: Puls TV geht in Gesamtvollstreckung -- Konkursverwalter will
Sendebetrieb aufrechterhalten

Die Berliner Lokalstation Puls-TV hat am 28. Mai das Konkursverfahren
eingeleitet.  Das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg hat daraufhin am
29. Mai den Rechtsanwalt und Notar Wolfgang Schröder zum Sequester für
den Sender bestellt.  Dies teilte Puls TV am 1. Juni mit.
Konkursverwalter Schröder erklärte inzwischen, er werde den
Geschäftsbetrieb "bis auf weiteres" aufrechterhalten.  Puls TV ist der
erste Kommerzsender in Deutschland, der in Konkurs geht.

Sequester Schröder soll nun Verhandlungen mit potentiellen Investoren
aufnehmen, die an der Übernahme interessiert sind.  In ersten
Stellungnahmen war von Interesse sowohl auf Seiten Frank Ottos als
auch Thomas Kirchs die Rede.  Frank Otto ist an einem Konzept zur
Übernahme des Puls-TV-Konkurrenten FAB beteiligt, Thomas Kirch hat
bereits den Berliner Radiosender Hundert,6 übernommen (siehe weitere
Meldungen in dieser Ausgabe).  Daneben gibt es nach Angaben Schröders
weitere Interessenten.

Reinald Walter, der Geschäftsführer von tv.münchen und Vertreter
Thomas Kirchs (Medialist 23.97), erklärte in der vergangenen Woche das
Interesse, mit einem Konzept anzutreten, das den
Puls-TV-Gesellschaftern bereits im vergangenen Jahr vorgelegen habe.
Demnach sollen lokale Magazine mit Nachrichten- und Sportsendungen
kombiniert werden sowie ein Anteil von weniger als 40 Prozent mit
Spielfilmen und Serien bestritten werden.  Walter zufolge sind
Anlaufverluste von rund 80 Millionen Mark in einem Zeitraum von vier
Jahren einkalkuliert.

Der Konkurs von Puls TV zeichnete sich ab, nachdem der Hauptfinanzier
der Station, die Central European Media (CME), Mitte Mai eine weitere
Finanzierung abgelehnt hatte.  Die Gesellschafter, neben der CME Time
Warner, George Soros, APA Falladium und Ulrich Schamoni, beschlossen
daraufhin, das  Kommanditkapital der Gesellschaft nicht mehr zu
erhöhen.  Diese Kapitalerhöhung wäre notwendig gewesen, um die
fortlaufenden Verluste von Puls TV auszugleichen (Medialist 24.97).
Die Gesamtverluste werden auf 130 Millionen Mark beziffert.

Wie inzwischen bekannt wurde, hatten Time Warner und Ulrich Schamoni
zuvor die CME-Pläne blockiert, den kanadischen Sender City TV aus
Toronto am Sender zu beteiligen.  Mit dem
Gesamtvollstreckungsverfahren, das Sequester Schröder nun eröffnen
wird, wird der Weg für eine Neustrukturierung frei, weil die
bisherigen Gesellschafter darauf keinen Einfluß mehr haben.  Außerdem
wird nach Angaben Schröders eine Haftung des Erwerbers für
Verbindlichkeiten von Puls TV ausgeschlossen.

Unklar ist derzeit, ob es einen Sozialplan für die 130 Angestellten
und die rund 80 freien Mitarbeiter der Station geben wird.  Der Sender
gehört nicht dem Tarifverband privater Rundfunkanbieter an.  Bereits
seit dem 29. Mai sendet die Station ein Notprogramm, das vor allem aus
gekürzten und seltener gesendeten Nachrichten und Wiederholungen
besteht.  Nur die Lokalberichterstattung mit dem Titel "Kiezreporter"
soll vorerst weiterproduziert werden.  (mr)


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